Norderstedt. Anette Reinders verlässt Ende 2021 das Rathaus – nach zehn Jahren in der Verwaltung und ein Jahr vor Ende ihrer Wahlzeit.

Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, sang schon Udo Jürgens – eine Botschaft, der Anette Reinders jetzt folgt. Norderstedts Sozialdezernentin will durchstarten, ihr neues Leben beginnt im Januar 2022. Ein Abschnitt ohne Arbeit, ohne 50-Stunden-Wochen, ohne Ausschusssitzungen am Abend. Die stellvertretende Bürgermeisterin hört Ende des Jahres auf, ein Jahr, bevor ihre Wahlzeit endet.

„Ich merke einfach, dass ich keine 40 mehr bin“, sagt Reinders, die seit fast zehn Jahren ein Dezernat leitet, das so stark in die Öffentlichkeit hineinwirkt wie kaum ein zweites. Dazu zählen das Amt Familie und Soziales und das Amt für Schule, Sport und Kitas – Bereiche, die Familien, alte und junge Norderstedter gleichermaßen berühren. Die Arbeit sei während ihrer Amtszeit deutlich belastender geworden. Die Corona-Pandemie habe sie besonders gefordert und sie letztlich darin bestärkt, das Rathaus vorzeitig zu verlassen.

Sie habe fortwährend reagieren müssen, pausenlos seien Schreiben vom Städteverband und vom Land mit immer neuen Anweisungen und Regelungen auf ihrem Schreibtisch gelandet. Aktuelle Beispiele: die Testpflicht in Schulen und der Testwechsel in den Kitas. Beschäftigte in Krippen, Kitas und Horten sowie Kindertagespflegepersonen müssen sich jetzt selbst testen, bis Ostern konnte bis zu zweimal wöchentlich geschultes Personal Antigen-Tests in den Einrichtungen vornehmen.

Da sei die Flüchtlingskrise viel problemloser zu bewältigen gewesen. Das Land habe das Budget bereitgestellt, den Städten und Gemeinden aber relativ viel Freiraum gelassen, wie sie geflüchtete Menschen unterbringen und betreuen. Norderstedt ist es fast geräuschlos gelungen, mehr als 1100 Asylsuchende aufzunehmen. Das Erfolgsmodell: dezentrale Unterkünfte an zwölf Standorten im Stadtgebiet. Damit ist Norderstedt Vorbild für viele andere Kommunen. „Zwei Schmierereien, das war alles an sichtbarem Protest“, erinnert sich Anette Reinders, die sich das erfolgreiche Management nicht allein zuschreiben will: Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote und Baudezernent Thomas Bosse hätten mit ihr an einem Strang gezogen, Geld und Gebäude bereitgestellt. Mitarbeiter und Politiker hätten ihren Teil genauso beigetragen wie die Norderstedter, die gezeigt hätten, wie offen und tolerant sie sind und beispielsweise mit dem Willkommen-Team Hilfe für die neuen Nachbarn organisiert haben, freiwillig und ehrenamtlich.

Das Spitzentrio im Rathaus hatte zusammengefunden und Handlungsfähigkeit bewiesen. OB Grote habe sie machen lassen, ihren Kompetenzen vertraut. Schon immer hatte sich die Sozialpädagogin der sozialen Arbeit verschrieben, in den 80er-Jahren im Amt für Soziale Dienste im Norderstedter Rathaus, seit 1989 beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Segeberg. 1991 wurde sie Geschäftsführerin des Norderstedter Kita-Vereins „Der Kinder wegen“, den sie 1984 mit aus der Taufe gehoben hatte. 2000 übernahm sie die Stelle der Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Berufsbetreuer. Bis zum Wechsel als hauptamtliche Dezernentin machte sie den Verband zum bundesweit wichtigsten Sprachrohr für 6000 Betreuer von Menschen, die psychisch oder physisch kranken Menschen bei der Alltagsbewältigung helfen.

Doch Grote ist weg, Bosse auch, von der Dreierbande ist Anette Reinders geblieben, seit gut drei Jahren mit neuer Chefin. Wie ist das Verhältnis zu Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder? „Anders als zu Grote“, sagt ihre Stellvertreterin nur und schwenkt gleich zur Politik. Die liegt seit Monaten mit Roeder im Clinch, kritisiert vor allem mangelnde Transparenz und Kommunikation, fühlt sich zu wenig mitgenommen. „Das schlägt natürlich auch zu uns durch“, sagt die Dezernentin, die sich allerdings bei ihrer Wiederwahl 2016 selbst schon die gleichen Vorwürfe gefallen lassen musste. Sie nehme sich immer wieder vor, den Austausch mit den Politikern zu intensivieren, aber: „Wegen der Themenvielfalt und der fehlenden Zeit kommt die Kommunikation manchmal nicht hinterher. Aber mit den Ausschussvorsitzenden in meinem Arbeitsbereich bin ich in sehr engem Kontakt.“

Anette Reinders kennt die ehrenamtliche Seite der Kommunalpolitik aus dem Effeff, die Sozialpädagogin hat vor ihrer Wahl 16 Jahre lang für die Grün Alternative Liste in Norderstedt (GALiN) Politik gemacht. Wie viel grün ist im Amt geblieben? „Ich stand und stehe für grüne Sozialpolitik“, sagt die erste Frau in der Norderstedter Verwaltungsspitze. Familie und Beruf zusammenzubringen sei da ein wesentlicher Baustein. Und da hat sie angepackt, so wie das Machen und die Orientierung an der Sache ihr eher eigen sind als große Reden zu schwingen oder sich in den Vordergrund zu spielen. Die Grundschulen wurden in ihrer Amtszeit für den offenen Ganztagsbetrieb ausgebaut, die Familienzentren in den Stadtteilen gestärkt, Kitas gebaut und erweitert, Schulen modernisiert, millionenschwere Großprojekte wie das Bildungshaus und der Neubau des Schulzentrums Süd angeschoben.

Aber: „Mir ist durch die Pandemie bewusst geworden, wie schnell sich das Leben verändern oder sogar enden kann“, sagt Anette Reinders. Sie habe ihr Leben lang gearbeitet, erreiche im Sommer das offizielle Rentenalter und befindet: „Nun ist auch mal genug.“ Wie sieht das neue Leben aus? Das Bild ist noch diffus. Die zwei erwachsenen Söhne und die fünf Enkel gehören dazu, Rad fahren und Reisen und ein Ehrenamt.