Norderstedt. Ignorieren, diskutieren, löschen: Wie Bürgermeister und Bürgermeisterinnen im Kreis auf verbale Attacken in sozialen Medien reagieren.
Hass und Hetze in den sogenannten sozialen Medien wie Facebook und Co. nehmen zu. Immer öfter geraten nicht nur Berufspolitiker, sondern auch Gemeindevertreter auf kommunaler Ebene ins Visier „digitaler Trolle“. Beschimpfen, Beleidigen, Bedrohen – im Schutze der scheinbaren Anonymität des digitalen Netzes sinkt die Hemmschwelle für verbale Attacken. Was sagen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Kreis Segeberg zum Thema? Welche Anfeindungen haben sie selbst erlebt? Wie gehen sie persönlich mit einem Shitstorm um? Und: Wie agiert die Polizei?
Nicht alle, die wir fragten, waren bereit, sich zu äußern. Andere dagegen schon. Verena Jeske etwa, Bürgermeisterin von Bad Bramstedt, nimmt kein Blatt vor den Mund. ,,Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, ist dem Shitstorm ausgeliefert. Das beginnt mit der Amtszeit und endet mit der Amtszeit“, sagt die Verwaltungschefin selbstbewusst.
Verena Jeske spricht aus Erfahrung. Sie und ihr Team erlebten einen ungeahnten Shitstorm, als sie es ,,gewagt“ hatten, gegen Ende vorigen Jahres über ihren Facebook-Account ein paar weihnachtlich geschmückte Buden rund um den Roland anzukündigen, um den Bramstedtern und ihren Familien den Aufenthalt in der vorweihnachtlichen Innenstadt zu versüßen. Alles coronakonform - unter Einhaltung der gängigen AHA-Regeln, versteht sich.
Argumente interessieren viele „digitale Trolle“ nicht
Die charmante Idee von der kleinen Budenstadt bekam viel öffentlichen Zuspruch. Gleichzeitig prasselte eine geballte Ladung Häme und Hass auf die Gemeindevertreterinnen nieder. ,,Absoluter Irrsinn!!!“ oder ,,Fröhliches Infizieren wünsche ich euch!“ war da auf einmal im Netz zu lesen. Oder: ,,So viel Rücksichtslosigkeit und Ignoranz von Leid und Tod erlebt man selten. Ich gehe davon aus, dass Sie ein Spreader-Event inszenieren – und dann einige Tote auf ihre persönliche Kappe gehen werden!“. ätzte ein Anonymus aus dem Hinterhalt.
Die Bürgermeisterin löschte die Posts, ohne darauf einzugehen. ,,Die Goldene Regel lautet: Don’t feed the troll!“ sagt Verena Jeske, was frei übersetzt so viel bedeutet wie: ,,Geh nicht darauf ein!“ Im Netzjargon werden Personen als Trolle bezeichnet, die mit flammenden, oftmals verunglimpfenden oder verletzenden Kommentaren im Internet einen verbalen Disput entfachen – oder Menschen einfach nur verärgern wollen. ,,Es fühlt sich nicht gut an, wenn Menschen so etwas über Fake-Profile machen“, gibt Bad Bramstedts Bürgermeistern zu. ,,Aber ich bin da sehr ruhig. Diese Leute verstecken sich hinter der Anonymität. Sie wollen rumstänkern. Argumente oder eine andere Sicht der Dinge interessieren sie nicht. Sie wollen keinen Austausch. Diese Leute können Sie in der Regel nicht überzeugen.“
Einmal habe sie eine Ausnahme gemacht – und einen Mann, der mit unflätigen Kommentaren aufgefallen war, eingeladen. ,,Anderthalb Stunden saßen wir beim Kaffee zusammen im Rathaus und haben Argumente ausgetauscht. Es ging um ein kommunales Projekt. Er empfand das Ganze, glaube ich, als sehr große Wertschätzung“, sagt Verena Jeske.
Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder nutzt für die digitale Kommunikation neben der Internet-Seite der Stadt auch ihren privaten Facebook-Account und Instagram. ,,Natürlich wird man im Netz hin- und wieder angeprangert. Das bleibt nicht aus. Manch einer ist da sehr emotional“, sagt die SPD-Politikerin.
Üble Nachrede und Verleumdung sind strafbar
Für sie gibt es verschiedene Möglichkeiten, auf Posts von ,,Hatern“ zu reagieren. ,,Ignorieren, diskutieren, löschen. Oder die Polizei verständigen“, sagt Elke Christina Roeder. Auch sie kennt das Gefühl unsichtbarer Bedrohung. Bei der Oberbürgermeisterwahl 2015 in Neumünster wurde sie Zielscheibe anonymer Attacken im Netz. Einzelheiten will sie nicht nennen. ,,Die Polizei rief bei mir an und sagte, sie beobachte meinen Account und verfolge die Angelegenheit“, sagt die Oberbürgermeisterin. ,,Die Polizei geht Streife im Netz. Sie beobachtet Kommentarspalten.“
Mit etwas Aufwand und dem nötigen Fachwissen lassen sich anhand von IP-Adressen ohne Probleme Absender anonymer Hass-Kommentare ermitteln – oder zumindest die Computer identifizieren, von denen solche Posts versendet wurden. So geschehen beim aktuellen Fahndungserfolg im Zusammenhang mit dem Rechtsextremen ,,NSU 2.0“.
,,Wenn der Polizei entsprechende Delikte angezeigt werden, gehen wir konsequent dagegen vor und leiten entsprechende Strafverfahren ein“, sagt Segebergs Polizeisprecher Lars Brockmann. In vielen Fällen sind die Betreiber in der Pflicht, sofort zu reagieren. Regelrechte „Internet-Streifen“, die aus eigenem Antrieb tätig werden, gebe es im Kreis Segeberg aber nicht.
,,Beleidigung, Diskriminierung oder extremistische Parolen: Hass-Reden, die sich gegen bestimmte Personen und Personengruppen richten, finden über das Internet schnell Verbreitung und sind oft strafbar“, betont der Polizeisprecher. Regelmäßig kommen dabei Straftatbestände wie Beleidigung oder Bedrohung infrage, die mit einer Freiheitsstrafe von bis einem oder bis zu zwei Jahren geahndet werden können. ,,Üble Nachrede und Verleumdung sind ebenfalls Straftatbestände“, betont der Sprecher.
Die Polizei rät grundsätzlich dazu, Strafanzeige zu erstatten. Aber muss es überhaupt soweit kommen? Wäre es nicht besser, dass Veröffentlichungen im Netz - auch Kommentare in Kommentarspalten – grundsätzlich immer mit dem Klarnamen versehen werden müssen, um Beleidigungen, Verunglimpfungen und Fake-Nachrichten von vornherein einzudämmen?
Wahlstedts Bürgermeister Matthias Bonse hat dazu eine klare Meinung. ,,Ich halte sehr viel davon, dass Menschen im Netz immer mit ihrem Klarnamen zu ihrer Meinung stehen sollten. Das ist für mich wahre Meinungsfreiheit.“
Der Bürgermeister hat vor drei Jahren seinen privaten Facebook-Account gelöscht. ,,Es ist ein Medium, in dem der ursprüngliche Sinn, ein vernünftiger Austausch von Meinungen, nicht mehr möglich ist. Das driftet zu sehr ab“, sagt Matthias Bonse. ,,Ich bin lieber in der richtigen Welt unterwegs. Ich treffe mich mit Menschen und diskutiere mit ihnen.“
Wer nicht mit Namen zu seiner Meinung steht, habe auf Facebook nichts verloren, findet auch Verena Jeske. ,,Ich finde, bei Facebook sollte nur reinkommen, wer seinen Klarnamen hinterlegt“, sagt die Bürgermeisterin. ,,Man sollte Menschen, die nur beleidigen wollen, keine Bühne geben. Wenn der Klarname genannt wird, geht es wieder mehr um die Sache“, ist sie überzeugt.
Kommentare im Netz liest Verena Jeske nur noch selten. Elke Christina Roeder lehnt Freundschaftsanfragen auf Facebook ohne Bild mittlerweile ab. Auch sie hält Klarnamen im Netz für eine gute Idee. Die Bürgermeisterinnen zeigen sich sehr offen für sachliche Kritik. Dabei bevorzugen beide das persönliche Gespräch. Verena Jeske: ,,Ich habe ein offenes Rathaus. Jeder kann kommen und mit mir reden.“