Kreis Segeberg. Serie – Das Abendblatt hat sich auf Spurensuche begeben und Geschichten entdeckt, die fast in Vergessenheit geraten waren.

Silke Frese geht jeden Morgen den etwa 200 Meter langen Weg von ihrem Haus bis zum Waldrand an der Glückstädter Straße. In der kleinen Waldkapelle zündet sie die Kerzen an und kontrolliert, ob noch alles an Ort und Stelle ist. Diese Aufgabe hat sie von ihrem Mann übernommen: Hans-Jürgen Frese, der vor zwei Jahren verstorben ist, hat hier das kleinste Gotteshaus Norddeutschlands errichten lassen. Es steht am Rande des Rantzauer Forstes und ist Bestandteil des 343 Kilometer langen Mönchsweges, der von Glückstadt im Südwesten bis Fehmarn im Nordosten Schleswig-Holsteins verläuft.

Der Besuch der Kapelle ist für viele etwas Besonderes

Hans-Jürgen Frese pachtete den Flecken 2001 von der Landesforstverwaltung und ließ das kleine Kirchlein in Eigenregie unter sieben prachtvollen Buchen errichten. Die Bäume symbolisieren die Apostel und bieten Schutz vor Sonne und Regen. Seitdem findet jeweils am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, ein ökumenischer Gottesdienst unter Beteiligung katholischer und protestantischer Geistlicher statt. Mehrere Hundert Menschen kommen hier jeweils zusammen, um gemeinsam zu beten und zu singen. Anlässlich des zehnten Geburtstages der Mini-Kapelle predigte der damalige Erzbischof Dr. Werner Thissen vor dem kleinen Gotteshaus.

Zahlreiche Wanderer, ob zu Fuß oder per Fahrrad, machen bei den sieben hundertjährigen Buchen, unter denen die herrlich ausgestattete Kapelle steht, Rast. Menschen, die jahrzehntelang kein Gotteshaus von innen gesehen haben, lassen sich von der Mönkloher Kapelle inspirieren und vertrauen dem ausliegenden Gästebuch ihre geheimsten Gedanken an.

Kleines Gotteshaus wird gut angenommen

Auch Jutta Borm (l.) und Karin Gosau machen Station an der Waldkapelle.
Auch Jutta Borm (l.) und Karin Gosau machen Station an der Waldkapelle. © Frank Knittermeier | Frank Knittemeier

So wie Karin Gosau (55) aus Heide und Jutta Borm (65) aus Wesseln. Die beiden Dithmarscherinnen befahren den Mönchsweg von Glückstadt bis Fehmarn mir ihren Fahrrädern, übernachten in Jugendherbergen und machen selbstverständlich Rast an der Waldkapelle. Sie genießen die Ruhe und nutzen die Zeit für eine kleine Andacht. „Wir finden es hier wirklich großartig“, sagt Karin Gosau. „Das ist schon ein ganz besonderes Erlebnis.“ Über den Mönchsweg-Reiseführer sind sie auf die Waldkapelle aufmerksam geworden.

Obwohl Frese damals manchen Widerstand vor Baubeginn überwinden musste, wird das Gotteshaus heute sehr gut angenommen, die Menschen lassen dort ihre Kinder und Enkel in der Kapelle taufen. Neben den Taufen gibt es auch regelmäßig Trauungen sowie silberne, goldene und diamantene Hochzeiten.

Gerade mal fünf Quadratmeter misst die Mini-Kapelle

Von der Entstehungsgeschichte ist das Gebäude genauso einzigartig: Nicht die Kirchen selbst, sondern das Amt Bad Bramstedt-Land, die Gemeinde Mönkloh und private Spender haben die Kapelle 2001 mit Fördermitteln errichtet. Es war eines von mehreren Vorläuferprojekten der heutigen Aktivregion Holsteiner Auenland, seinerzeit noch unter dem Namen „Leader Plus“ – eine von der EU ausgehende Initiative zur Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit.

Gerade mal fünf Quadratmeter misst die Kapelle. Auf weiße Wände folgt nach oben eine helle Holzverkleidung an der Innenseite des Dachs, auf der Spitze lässt ein winziger gläserner Dachreiter ein paar Lichtstrahlen hinein. Allenfalls vier bis fünf Leute können hier auf einer Kirchenbank Platz nehmen. Sie stammt aus Bayern und musste in der Mitte durchgesägt werden, um sie in der kleinen Kapelle platzieren zu können. Ein ewiges rotes Licht nach katholischer Machart sorgt für einen Hauch Heimeligkeit, ebenso die Teelichter oder Kerzen, die Besucher angezündet haben.

Die Einheimischen waren anfangs nicht begeistert

Ein Band mit Losungen des Tages liegt aus, ebenso die Bibel und vor allem ein dickes Gästebuch. Der aktuelle Band fast vollgeschrieben innerhalb von nur einem Jahr, wie die Einträge zeigen. „Es ist ein ruhender Pol“ hat jemand über die Kapelle dort hineingeschrieben. Jemand anderes: „Wenn ich mit meinen Kindern im Wald bin, dürfen sie hier eine Kerze anzünden. So war es eine Herzensentscheidung, mich hier trauen zu lassen.“ Oder: „Wir suchten und fanden hier nicht jede Antwort, aber manche.“

Hans-Jürgen Frese ließ die Mini-Kapelle im Jahr 2001 erbauen.
Hans-Jürgen Frese ließ die Mini-Kapelle im Jahr 2001 erbauen. © Michael Schick | HA

Hans-Jürgen Frese verbrachte die ersten acht Jahre seines Lebens in einem Waisenhaus, bevor er von einer Familie aufgenommen wurde, die es gut mit ihm meinte. „Er hat die Kirche aus Dankbarkeit gebaut“, sagt seine Witwe.

Die Einheimischen waren zunächst nicht unbedingt begeistert, als die Freses die Pläne für das kleine Gotteshaus vorlegten. „Watt schall de Blödsinn, wi sünn hier nich in Bayern“, schallte es dem katholischen Erbauer von der evangelischen Dorfmehrheit entgegen. Diese anfänglichen Vorbehalte haben sich inzwischen gründlich geändert. Die Waldkapelle gilt heute als überkonfessionell, zu sehen sind Gegenstände und Abbildungen, die dem evangelischen und katholischen Glauben zugeordnet werden.

Viele Menschen suchten Kapelle in der Corona-Pandemie auf

Den bisher größten Ansturm erlebte die Kapelle im Oktober 2015: Mehr als 300 Gläubige versammelten sich bei strahlendem Sonnenschein vor der Kapelle im Hasselbusch, um einer ökumenischen Feier beizuwohnen. So viele Besucherinnen und Besucher hatte das kleinste Gotteshaus Norddeutschlands, auch liebevoll „Außenstelle des Vatikans“ genannt, noch nie.

Silke Frese hat festgestellt, dass die Waldkapelle gerade in den vergangenen Monaten häufiger aufgesucht wurde: Während des Corona-Lockdowns waren andere Kirchen geschlossen, diese Kapelle aber nicht. Viele Gläubige entdeckten die Vorzüge dieses kleinen Gotteshauses.

Das hat aber auch Nachteile: Vandalismus ist fast an der Tagesordnung. Immer wieder muss Silke Frese feststellen, dass etwas abgebrochen, herausgerissen oder gestohlen wurde. Die schmiedeeisernen Rosetten an der Eingangstür scheinen beliebt zu sein, das Geld im Kollektenbehälter wird gerne mitgenommen.

Wie geht es weiter mit der Waldkapelle?

„Auch deshalb gehe ich mindestens zweimal am Tag zur Kapelle“, sagt Silke Frese. „Ich muss kontrollieren, ob wieder etwas kaputt gemacht wurde.“ Das Kollektengeld verwendet sie, um zum Beispiel neue Kerzen und Teelichter zu kaufen. Sie hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, die von Besuchern angezündeten Kerzen abends zu löschen. Die Teelichter lässt sie von selbst ausgehen.

Wie geht es weiter mit der Waldkapelle? Silke Frese hofft auf ihre vier Kinder: Sie könnten die Pflege und Überwachung später übernehmen. Die Gemeinde Mönkloh könnte helfen: Es wird über die Gründung eines Fördervereins nachgedacht. Noch ist Zeit: Silke Frese ist 79 Jahre alt und körperlich fit, der Pachtvertrag für das Grundstück läuft noch bis 2030. Danach muss irgendjemand entscheiden, was geschehen soll. Fest scheint aber zu stehen: Auf die Waldkapelle werden weder die Gemeinde Mönkloh noch die umliegenden Kirchengemeinden verzichten wollen. Sie ist längst zu einem unverzichtbaren Allgemeingut geworden.