Norderstedt. Die Kommunalpolitik beauftragt die Verwaltung, Vor- und Nachteile als kreisfreie Stadt zu analysieren. Externer Gutachter soll Klarheit bringen.

Welche Folgen hätte es für Norderstedt, wenn die Stadt den Kreis Segeberg verlassen und kreisfrei werden würde? Lohnt sich eine Abspaltung? Norderstedts Stadtvertreter haben die Verwaltung nun offiziell beauftragt, die Vor- und Nachteile einer möglichen Kreisfreiheit zu prüfen.

Diese Idee geistert schon seit Jahrzehnten in den Köpfen der Kommunalpolitik herum – und taucht immer in jenen Momenten wieder auf, in denen es zu Unstimmigkeiten mit dem Kreis kommt. Das Verhältnis gilt als belastet. Zuletzt hat es weitere Risse bekommen, als über den Betrieb des Recyclinghofes an der Oststraße, die Verkehrsüberwachung, ein Norderstedter Impfzentrum sowie die exakten Corona-Infektionszahlen, die der Kreis nicht für die Stadt herausgeben möchte, gestritten wurde.

Mit mehr als 80.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Norderstedt der größte und zugleich finanzstärkste Ort im Kreisgebiet. Mit einer jährlichen Kreisumlage von mehr als 40 Millionen Euro ist die Stadt zudem Rekordzahler und wichtigster Geldgeber des Kreises. Für Norderstedt könnte es durchaus lukrativ sein, die Umlage einzusparen – allerdings nur, wenn die Mehrkosten, die bei einer Autonomie entstehen würden, diese Summe nicht übersteigen. Denn Fakt ist auch: Der Kreis Segeberg übernimmt derzeit viele Aufgaben, für die dann die Stadt verantwortlich wäre. Norderstedt bräuchte beispielsweise ein eigenes Gesundheitsamt und eine Untere Naturschutzbehörde. Dafür müsste die Verwaltung Investitionen tätigen und mehr Personal beschäftigen. Bisher ist unklar, ob Norderstedt als kreisfreie Stadt ein eigenes Krankenhaus bauen und eine Berufsfeuerwehr installieren müsste. Wie sinnvoll ein Alleingang und mehr Eigenverantwortung wirklich wären, muss jetzt Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD) herausfinden.

In der Sitzung der Stadtvertretung am Dienstag wurden gleich zwei nahezu identische Anträge bezüglich der Kreisfreiheit gestellt. Die WiN-Fraktion bat die Verwaltung ebenso um eine ausführliche Analyse zu den Auswirkungen wie die Fraktionen der Grünen, SPD, CDU, FDP und Linken, die gemeinsam einen Prüfauftrag forderten. „Ich bin verwundert, dass andere Parteien einen gleichlautenden Antrag gestellt haben“, sagte Reimer Rathje, Fraktionsvorsitzender der WiN. Die anderen Parteien formulierten ihren Antrag etwas differenzierter, setzten der Verwaltung zudem ein zeitliches Limit bis zum 31. Dezember dieses Jahres. „Es muss viel geprüft werden. Niemand hat alle Verträge im Kopf, das braucht Zeit“, sagte Marc Muckelberg von den Grünen.

Der fraktionsübergreifende Antrag fand letztlich eine Mehrheit, der Vorschlag der WiN wurde abgelehnt – obwohl sich die Stadtvertreter in der Sache einig waren. Die Verwaltung beauftragt nun einen externen Prüfer. „Es gibt so viele Dinge, die einer gründlichen Prüfung bedürfen, das können wir mit unserem eigenen Personal nicht leisten“, sagte Oberbürgermeisterin Roeder. Die Verwaltungschefin rechnet mit Auftragskosten von mindestens 100.000 Euro und gab zu Bedenken, dass die Mitarbeiter der Stadt dennoch viele Daten und Fakten zuliefern müssen. „Wir werden einen hohen Verwaltungsaufwand haben.“

Stadt und Kreis müssten sich einig über Abspaltung sein

Dass alle Fraktionen – bis auf die AfD und FWuD – einen Ausstieg aus dem Kreis Segeberg prüfen lassen möchten, heißt aber noch lange nicht, dass sie diesen auch befürworten. Das machte Tobias Mährlein deutlich. „Wir wollen das Thema versachlichen“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende. Es handele sich lediglich um einen Prüfauftrag. „40 Millionen Euro Kreisumlage klingen gewaltig – aber lassen Sie uns doch erst einmal in Ruhe betrachten, welchen Gegenwert es dafür gibt.“

Mährlein betonte, dass Norderstedt nicht nur von Hamburg profitiere, sondern auch von seinem Segeberger Umland. „Hier möchte ich besonders an die A-7-Achse erinnern. Das Nordgate ist die zweitstärkste Wirtschaftsregion in Schleswig-Holstein.“ Für Reimer Rathje passt das urbane Norderstedt nicht zum eher ländlich geprägten Rest des Kreises. Der WiN-Politiker empfindet es den Umlandgemeinden gegenüber nicht als unsolidarisch, aus dem Kreis auszutreten. „Es muss kein Nachteil für sie sein. Vielleicht wäre es für Umlandgemeinden ein Anschub, selbstständiger zu werden.“

Sollte die Politik tatsächlich nach Abwägung aller Vor- und Nachteile befürworten, die Kreisfamilie zu verlassen, heißt das noch lange nicht, dass Norderstedt dies so einfach kann. Dazu müssten sich Stadt und Kreis einig sein. „Im Schleswig-Holsteinischen Landtag gibt es seit Jahren einen parteiübergreifenden Konsens, Änderungen der Gebiete kommunaler Gebietskörperschaften nicht gegen deren Willen vorzunehmen“, sagte Dirk Hundertmark, Sprecher des Innenministeriums, dem Abendblatt. Eine Veränderung des Kreisgebiets käme nur dann in Betracht, wenn Norderstedt und der Kreis dies beide wünschen. Danach sieht es nicht aus. „Aus meiner Sicht sollten der Solidaritätsgedanke und ein Denken in Regionen, nicht in Gemeindegrenzen, im Vordergrund stehen. Beide Seiten profitieren von der bisherigen Lösung, etwa bei den Themen Personal und Kostenaufwendungen“, sagte Landrat Jan Peter Schröder.

In diesem Jahr wird es aus Norderstedter Sicht keine Entscheidung mehr geben. So lange spukt das Gespenst der Kreisfreiheit weiter durch die Stadt.