Kiel/Kaltenkirchen.. Der Angeklagte (52) aus Kaltenkirchen soll jahrelang nicht existente Leistungen abgerechnet haben. Prozess in Kiel gestartet.
Wegen gewerbsmäßigen Betrugs mit fiktiven Leistungsabrechnungen im Umfang von 1,2 Millionen Euro und anderer Vermögensdelikte muss sich seit Mittwoch ein Zahnarzt aus dem Kreis Segeberg vor dem Kieler Landgericht verantworten. Der in U-Haft sitzende Dentist soll nicht nur Krankenkassen, sondern auch einzelne Patienten um fünfstellige Summen geprellt haben.
Im Tatzeitraum der beiden Anklagen 2008 bis 2018 betrieb der promovierte Mediziner eine eigene Zahnarztpraxis in Kaltenkirchen. Wie in der Branche nicht unüblich, überließ der 52-Jährige die Rechnungsstellung mehreren Dienstleistungsgesellschaften, die seine Forderungen an die Kassen weiterleiteten („Factoring“).
Laut Vorwurf stellte der Angeklagte von Februar 2008 bis April 2011 insgesamt 47 frei erfundene Zahnbehandlungen in Rechnung und kassierte dabei in drei Einzelfällen mehr als 50.000 Euro. Ab dieser Summe nimmt das Gesetz einen „Vermögensverlust großen Ausmaßes“ an – Rechtsgrundlage für eine Verurteilung wegen Betrugs im besonders schweren Fall.
Abrechnungsbetrug? Anberaumt sind 15 weitere Verhandlungstage
Für den Fall eines Schuldspruchs hat die 7. Große Strafkammer in Vorgesprächen mit Staatsanwaltschaft und Verteidigung eine Bewährungsstrafe bereits verneint. Die Anklage stellt sich je nach Höhe der Wiedergutmachung viereinhalb bis fünfeinhalb Jahre vor. Für Strafverteidigerin Kerstin Raber ist da noch „Luft nach unten“: Die meisten Vorwürfe lägen lange zurück. Und der Großteil des Schadens sei inzwischen beglichen.
Nach Verlesung der umfangreichen Vorwürfe bemühten sich die Prozessbeteiligten intern um eine Verständigung zur Abkürzung des Verfahrens. Vorsorglich hat die Kammer bis Anfang April 15 weitere Prozesstage für die Beweisaufnahme terminiert. Als Zeugen will man neben Vertretern von Kassen und Abrechnungsfirmen auch Patienten hören.
Besonders schäbig soll sich der „Oralchirurg“ gegenüber einem Schwerbehinderten verhalten haben, dem er laut Vorwurf Ersparnisse in Höhe von 60.000 Euro abschwatzte. Das gutgläubige Opfer soll er mit drei Prozent Verzinsung durch eine „Schweizer Stiftung“ geködert haben, die nicht existierte.
Im Rahmen seines Insolvenzverfahrens soll der Zahnarzt zudem Einkünfte und Konten verschwiegen haben. Auch deshalb will die Staatsanwaltschaft dem mutmaßlichen Serienbetrüger ein dreijähriges Berufsverbot aufbrummen.
Der Zahnarzt äußerte sich bisher nicht
Wegen Begünstigung sollten am Mittwoch ursprünglich auch eine Ex-Lebensgefährtin des geschiedenen Mediziners und sein ehemaliger Rechtsanwalt auf der Anklagebank sitzen. Beide Verfahren wurden kurz vor Prozessbeginn abgetrennt: das der Praxishelferin wegen Krankheit, das des Juristen wegen Geringfügigkeit.
Der Ex-Anwalt hat seine Zulassung verloren und jobbt in einer Autowaschanlage, hieß es. Sein Verfahren soll gegen eine Geld- oder Arbeitsauflage eingestellt werden. Der Hauptangeklagte wollte sich am Mittwoch nicht äußern. Offen blieb zunächst die Frage, wie und warum er als Zahnarzt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten konnte.
Folgende Patientenbewertung aus dem Internet stammt vom November 2012: „Leider war Dr. (…) nach der Behandlung nicht mehr erreichbar. Die Arzthelferinnen (…) waren unhöflich. Ich bin Privatpatient, und die Rechnung war extrem hoch. Eine Krone ist nach 3 Monaten zerbrochen.“