Negernbötel. Berliner Sprachwissenschaftler befeuert die alte Diskussion über die Frage, ob sich die Gemeinde nicht schleunigst umbenennen sollte.

Einheimische haben sich mehr oder weniger daran gewöhnt. Doch viele Reisende, die den Namen „Negernbötel“ auf der Hinweistafel an der A 21 bei Wahlstedt oder an einem der Ortseingänge zum ersten Mal erblicken, reiben sich vermutlich verwundert die Augen. Negernbötel? Neger und Bötel? Was bitte schön soll das denn heißen? Ein schlechter Scherz?

Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler aus Berlin und Experte für politisch korrekte Sprache, ist im Zuge der aktuellen Debatte um Ortsnamen auf die idyllische 1000-Seelen-Gemeinde im Amt Trave-Land nördlich von Bad Segeberg gestoßen. Für ihn ist der Ortsname nicht akzeptabel.

,,Das N-Wort ist extrem herabwürdigend. Es ist in der deutschen Sprache eines der am schlimmsten diskriminierend empfundenen Wörter überhaupt”, sagt der Sprachwissenschaftler und liefert damit der Diskussion über Alltagsrassismus neuen Zündstoff.

Negernbötel: Kann ein Ortsname rassistisch sein?

Kann ein Ortsname rassistisch sein? Die Frage gilt es zu klären. Geschichtlich lasse sich am Beispiel des Ortsteils Negernbötel die Entstehung bis Ende des 12. Jahrhunderts zurückverfolgen, wobei der Namensteil ,,Botele“ oder ,,Bötel“ vermutlich aus dem Niedersächsischen kommt und Wohnstätte bedeutet, steht auf der Internetseite der Gemeinde. Nachdem 1306 auch das Dorf Fehrenbötel zum Kloster Segeberg kam, habe man die beiden Dörfer, die unter dem Namen ,,Botele“ bekannt waren, unterscheiden wollen. Da Negernbötel näher an Bad Segeberg liegt, sei der Name ,,Negern“ hinzugekommen – was so viel wie ,,näher“ bedeutet. Im Gegensatz zum Ortsteil Fehrenbötel im Sinne von ,,fernes Bötel“.

Im Historischen Ortsnamenlexikon von Schleswig Holstein wird das Dorf erstmals im Jahr 1434 mit dem Namen Negerenbotel in Verbindung gebracht. ,,Also schon lange vor der plattdeutschen Zeit“, sagt der Heimatkundler und ehemalige Stadtarchivar von Kaltenkirchen, Karl-Michael Schroeder. Gut 200 Jahre später, im Jahr 1650, wurde daraus die heutige Schreibweise Negernbötel. Demnach ist der Name Jahrhunderte alt.

Also alles alte Tradition und halb so wild? ,,Keineswegs“, betont Sprachwissenschaftler Stefanowitsch und legt nach: ,,Sprachhistorische Argumente sind problematisch, wenn durch ein Wort oder einen Namen Personengruppen bezeichnet werden. Insbesondere dann, wenn sich diese beleidigt fühlen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Wort früher auch ohne Stigmatisierung verwendet worden ist.“

In der USA haben sich viele Gemeinden umbenannt

Hinzu komme, dass der Name Negernbötel ,,einzigartig in Deutschland“ sei und es für dessen Herkunft keine allgemeintypische Herleitung gebe. ,,Sonst könnte man gegebenenfalls sagen, es ist etwas tradiertes, das überall in Deutschland zu finden ist. Es würde nicht so auffallen, es hätte sich abgeschliffen.“

So aber reihe sich Negernbötel nahtlos ein in Ortsnamen wie Mohrkirch bei Flensburg oder Groß Mohrdorf in Mecklenburg-Vorpommern, die ebenfalls umstritten sind. Man wolle den Bewohnern keinen Vorwurf machen, dass sie in einem Ort leben, der so heißt, stellt der Wissenschaftler unmissverständlich klar. ,,Aber die Debatte muss geführt werden. Ortsnamen sind nicht heilig, wenn eine Gesellschaft und ihre Werte sich ändern.“

Das Wort ,,Neger“ habe seinen Ursprung in der Rassentheorie des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In der Nachkriegszeit, als der Blues und Jazz aufkam, hätten in Deutschland viele das ,,vergiftete Wort“ arglos übernommen. Doch schon seit 1984 stuft der Duden den Begriff als problematisch ein. ,,Heute leben eine Million schwarze Menschen in Deutschland. Um die geht es!“, sagt Stefanowitsch.

Bürgermeister von Diskussion genervt

Dies sei keine Aufforderung, den ,,rassistisch aufgeladenen Namen“ kurzerhand zu ändern. Man solle aber zumindest einmal darüber nachdenken, ob es vielleicht einen anderen Namen ohne das N-Wort gibt, der die Tradition des Ortes an der Trave widerspiegele und nicht verschleiere.

In den USA habe es zahlreiche rassistisch motivierte Ortsnamen gegeben. ,,Viele von ihnen sind geändert worden“, sagt Stefanowitsch. In Österreich hat man sich vor Kurzem entschlossen, die Gemeinde Fucking im Inntal in Fugging umzubenennen, nachdem man die Nase voll hatte von Touristen, die scharenweise in die 100-Seelen-Gemeinde einfielen und es offenbar witzig fanden, sich vor einem der Ortsschilder ablichten zu lassen – oder es abzuschrauben und als Souvenir mitzunehmen.

So weit ist es in Negernbötel noch nicht. ,,Die Diskussion über den Ortsnamen ist wichtig. Am Ende sollen es die Menschen die dort leben, selbst entscheiden, was sie wollen“, sagt Stefanowitsch. Die scheinen indes eher genervt zu sein über die aktuelle Debatte und das Medieninteresse an ihrem Dorf, das mittlerweile auch in den Kommentarspalten gängiger Internetforen Kreise zieht.

Marco Timme, der Bürgermeister der Gemeinde, lehnte eine Stellungnahme zum Thema im Abendblatt ab. Es sei alles gesagt, und er habe Wichtigeres zu tun. Wem der Ortsname nicht gefällt, könne einen Bogen um Negernbötel machen – und statt der A 21 die A 7 nehmen.