Bad Segeberg. Ein CDU-Politiker soll während einer Diskussion eine Grenze überschritten haben und muss eventuell Schadensersatz zahlen.

Wie weit dürfen Kommunalpolitiker in einer politischen Diskussion gehen? Wann werden Grenzen überschritten? Müssen Ehrenamtliche jederzeit damit rechnen, vom jeweils anderen politischen Lager angezeigt zu werden? In Bad Segeberg droht ein kommunalpolitischer Streit zwischen zwei Politikern zu eskalieren: Es geht um eine Unterlassungserklärung und Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro.

Aneinandergeraten sind Dr. Henning Vollert, Mitglied der Grünen-Fraktion, und Torben Fritsch, CDU-Fraktionschef in der Segeberger Stadtvertretung. Der Vorwurf: Fritsch habe „unwahre Tatsachenbehauptungen“ über seinen Grünen-Kollegen verbreitet.

Schmerzensgeld? Wie es zu dem Streit kam

Auslöser des Zoffs ist eine Pressemitteilung der Grünen aus dem vergangenen Jahr. Darin hatte Henning Vollert unter anderem der CDU vorgeworfen, Interessen von Investoren höher zu gewichten als den Naturschutz. Ein Antrag der Grünen, die den Ihlsee und den Ihlwald in Bad Segeberg vor der Umwidmung in neue Baugebiete schützen wollten, war zuvor im Stadtrat gescheitert. Die Segeberger Lokalzeitungen hatten über den Fall berichtet.

Die CDU ließ das nicht auf sich sitzen und schoss scharf zurück: Sie warf dem Grünen-Politiker in einem Zeitungsinterview die Verbreitung von „Fake News“ vor. Dieser Ausdruck war bereits zuvor in einer öffentlichen Stadtvertretersitzung gefallen.

Uni Lübeck verlieh Vollert den Innovationspreis

Der Neurobiologe Vollert wiederum sieht seine Reputation als Wissenschaftler beschädigt, seinem Unternehmen sei ein Schaden zugefügt worden, da es auf Fördermittel angewiesen sei, heißt es in den „Lübecker Nachrichten“. 30.000 Euro fordert er nun von seinem Kontrahenten, jeder weitere Verstoß soll laut Klageschrift weitere 10.000 Euro kosten.

Vollert leitet in Bad Segeberg ein Unternehmen, das Nahrungsergänzungsmittel erforscht, entwickelt und produziert. Bekannt geworden ist er durch seine „Grünkohl-Forschung“. Er produziert ein Nahrungsergänzungsmittel auf Grünkohlbasis (das Abendblatt berichtete). Die Innovationsstiftung Schleswig-Holstein hat die Entwicklung des Präparats finanziell unterstützt, die Universität Lübeck hat Vollert den Innovationspreis verliehen.

Rathaus-Regel: Mindestmaß an Anstand

Aktuell möchte der Grünen-Politiker zu dem Fall nicht Stellung nehmen, da er sich von der örtlichen Presse falsch behandelt fühlt. Er selbst habe während der öffentlichen Diskussionen die Argumente von Stadt, Land und Kreis verbreitet. Das Risiko, in der Kommunalpolitik verklagt zu werden, ist seiner Ansicht nach „sehr, sehr gering“, was an der in Deutschland geltenden Meinungsfreiheit liege.

Allerdings dürfe auch das Rathaus nicht als rechtsfreier Raum betrachtet werden. Es gelte ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit und Anstand, bei Tatsachenbehauptungen müsse aber aufgepasst werden. „Wenn man beispielsweise politische Entscheidungen kritisiert oder Dinge anders priorisiert, so ist dies vollkommen in Ordnung und sogar Aufgabe der Opposition“, sagt Vollert. „Wenn ich allerdings aus E-Mails oder Gutachten der Behörden zitiere, und der politische Gegner fälschlicherweise behauptet, ich würde Lügen oder Fake News verbreiten, so ist dies eine falsche Tatsachenbehauptung, und eine Unterlassungsklage könnte die Folge sein.“

Vollert plädiert für eine Art „unabhängigen Schiedsrichter“, der Gelbe und Rote Karten verteilt, um die Sachlichkeit in der Politik zu erhöhen.

CDU schaltet Anwalt ein

Die CDU hat einen Anwalt eingeschaltet, eine öffentliche Erklärung soll demnächst folgen. Ortsvorsitzender Tristan Jadzewski ist allerdings nicht froh über die Entwicklung: „Wir haben Angst, dass das Ehrenamt auf diese Weise geschädigt wird.“ Eine Klage sei in diesem Fall der verkehrte Weg. „Kein ehrenamtlicher Politiker darf mit der Angst leben, nach politischen Diskussionen verklagt zu werden“, stellt der CDU-Vorsitzende fest und weist darauf hin, dass dieser Fall im Vorstand seiner Partei heftig diskutiert werde. Torben Fritsch selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Der Segeberger Streitfall ist in der kommunalpolitischen Landschaft deutschlandweit offenbar einmalig. Zwar kommt es immer wieder vor, dass Politiker pauschal von Bürgern verklagt werden, dass Politiker die Verwaltung verklagen oder Bürgermeister die Politiker. In Niedersachsen klagt aktuell eine Gemeinderätin gegen einen Fraktionskollegen. Anlass ist aber kein politischer, sondern ein persönlicher Streit.

Kommunalaufsicht und Städtebund sind ratlos

Die im Innenministerium angesiedelte schleswig-holsteinische Kommunalaufsicht fühlt sich nicht in der Lage, einen Fall wie diesen zu bewerten. Der Städteverband Schleswig-Holstein hält sich ebenfalls bedeckt und antwortet nicht. Fachanwalt Stefan Mager aus Essen gibt Kommunalpolitikern im Internetforum „Kommune.Heute“ pauschal den Rat, Entscheidungen zu überdenken und nicht gedankenlos abzustimmen. Demnach können sich Mitglieder von Gemeinderäten bei Sachentscheidungen nicht auf ihre Stellung als Laien berufen. Auf Anfrage des Abendblatts gibt Mager aber zu, dass er noch nie von einem Fall wie in Bad Segeberg gehört habe.

Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die grundlegendes Wissen über Politik vermittelt, urteilt pauschal: „Verletzen Gemeinderatsmitglieder, die bei Ausübung ihres Amtes als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen sind, die einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so haben sie den dem Dritten daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“

Cordula Schultz, stellvertretende Kreispräsidentin und seit mehr als 30 Jahren in der Kommunal- und Kreispolitik im Kreis Segeberg tätig, weiß, dass in der Vergangenheit nach politischen Auseinandersetzungen immer mal wieder mit Anzeigen gedroht wurde. Vor allem in früheren Jahrzehnten sei das nach bierseligen Gemeinderatssitzungen vorgekommen. Von einer wirklichen juristischen Auseinandersetzung habe sie jedoch noch nie gehört. „Persönliche Verunglimpfungen haben in politischen Auseinandersetzungen nichts zu suchen“, sagt die SPD-Politikerin.