Norderstedt. Die von ihm trainierte Frauenmannschaft ist mit 15 Punkten Vorsprung Regionalliga-Tabellenführer. Langfristiges Ziel: die Bundesliga.

Am vergangenen Wochenende lieferten die Fußballerinnern des Hamburger SV einmal mehr einen Beweis ihrer Klasse. Mit 6:0 fegten sie den SV Werder Bremen II vom Kunstrasenplatz an der Ulzburger Straße in Norderstedt, bauten ihre Tabellenführung in der Regionalliga Nord auf
15 Punkte aus. Von einem sicheren Aufstieg in die 2. Bundesliga will Trainer Lewe Timm (46) aber nichts wissen: „Wir sind zu nullkommanull Prozent sicher durch. Werden wir Staffelsieger, müssen wir schließlich noch zwei Relegationsspiele gegen den Meister der Regionalliga Nordost bestreiten.“

Allerdings fügt er einen wichtigen Zusatz an: „Ich weiß, dass der Aufstieg über kurz oder lang klappen kann. Um nicht aufzusteigen, ist unsere Qualität im Team einfach zu groß“, erklärt Timm.

Groß ist auch seine Qualität als Coach. Seit Sommer 2021 trainiert er nun das Team. HSV-Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch rief Timm persönlich an, um ihn für das ambitionierte Projekt Frauenfußball zu gewinnen.

Imageschaden von 2012 soll repariert werden

Nach dem Wiedereinstieg der HSV AG in diesen Bereich strebt der Verein danach, den unrühmlichen Imageschaden von 2012 zu reparieren. Damals meldete der Club seine Frauenmannschaft aus wirtschaftlichen Gründen wegen eines Lochs von 100.000 Euro im Etat der Bundesliga-Profis ab und löste so einen Aufschrei der Entrüstung aus.

Nun soll langfristig die Rückkehr in die deutsche Eliteklasse gelingen. Aber erst einmal geht es um die Rückkehr in die 2. Bundesliga. „Mit einem Anruf von Horst Hrubesch habe ich natürlich nicht gerechnet. Und ich habe mich sehr geehrt gefühlt“, sagt Timm.

Verdient hat er sich seinen Karrieresprung zum HSV vor allem durch seine Leistung beim SC Nienstedten. 31 Jahre verbrachte Lewe Timm auf der von ihm geliebten Anlage am Quellental. Und es gibt wohl kaum eine Funktion, die er dort nicht innehatte. Nachdem der Coach seine Karriere als Spieler mit
25 Jahren wegen eines Patellaspitzensyndroms in beiden Knien beenden musste, war er Co- und Cheftrainer. Er coachte in Nienstedten Jungen- und Herrenmannschaften, Mädchen- und Frauenteams. Die Mädchen- und Frauenabteilung baute er mit auf.

Der SC Nienstedten bleibt Lewe Timms Heimat

Im Herrenbereich führte er die Ligamannschaft von der Kreis- bis in die Landesliga, den Frauen gelang der Sprung in die Oberliga Hamburg. Stützpunkt- und Auswahltrainer beim Verband war Timm auch. Man darf ihn wohl als fußballverrückt bezeichnen, denn damals betreute er bis zu fünf Mannschaften parallel! „Ich konnte mir ein Leben ohne Fußball nicht vorstellen. Also bin ich diesen Weg gegangen, und ich habe ihn nicht bereut“, sagt er.

Als Vorstandsmitglied und Hauptkassierer trieb er zusätzlich noch die Entwicklung des Vereins mit voran, der mittlerweile über zwei Kunstrasenplätze und ein modernes Clubhaus verfügt. „Darauf bin ich definitiv stolz. Und ich habe als Hauptkassierer erst aufgehört, als der letzte Cent abbezahlt war und wir schuldenfrei waren. Das passte super“, erinnert er sich.

Noch heute bezeichnet der Vater von vier Kindern Nienstedten als „meine Heimat“. Doch mit seiner neuen Aufgabe beim HSV wirkt er sehr glücklich. Er lacht viel, hat immer einen Scherz auf Lager und wirkt doch jederzeit fokussiert. „Ich habe Fußball nie als Druck empfunden. Sondern als etwas, dass mir einfach Spaß macht“, erklärt Timm.

Der HSV will mit ihm weitermachen

Unabhängig vom Aufstieg will der Hamburger SV mit ihm weitermachen. Denn in den beiden Aufstiegsspielen könnte ja auch der Zufall eine Rolle spielen. „Viele Menschen verkennen die Macht von Trainern“, sagt Lewe Timm. „Sie denken, ein neuer Mann schwingt seinen Zauberstab, und dann wird alles gewonnen. So einfach ist das aber nicht. Du kannst durch akribische und gute Arbeit die Wahrscheinlichkeit auf Siege sehr erhöhen. Das Spiel aber kannst du nicht zu 100 Prozent kontrollieren.“

Diese Erkenntnis gibt ihm trotz all seiner Detailverliebtheit einen Schuss Lockerheit. Seine Mannschaft, betont er, mache es ihm aber auch leicht. „Es gab noch nicht eine Trainingseinheit, wo meine Spielerinnen nicht alles gegeben haben. Sie sind extrem leistungsbereit, gierig auf Erfolg und sehr lernwillig“, lobt der Coach sein junges Team. Er weiß das zu schätzen, da die Relationen bezüglich Männer- und Frauenfußball immer noch nicht im Lot seien.

„Bei den Herren verdienen manche Oberliga-Spieler mehr als Bundesliga-Kickerinnen Ich finde das komplett absurd“, sagt Timm. „Im Frauen- und Mädchenfußball steht das ,Wir‘ deutlich vor dem ,Ich‘. Und das gefällt mir, weil Fußball ein Teamsport ist.“

Langfristiges Ziel: die Rückkehr ins Oberhaus

Bleibt die Frage: Wie sieht Timms weitere Karriereplanung aus? „Ich habe keine“, bekennt er, „ich möchte mich jeden Tag weiterentwickeln.“ Ob er einmal der Trainer sein wird, mit dem der Hamburger SV auf die große Bühne des Frauenfußballs zurückkehrt? Darauf gibt er keine Antwort, sagt aber: „Der HSV muss langfristig in die Bundesliga streben.“