Norderstedt. Betriebsamt schickt Spülfahrzeug nach Rheinland-Pfalz – Stadtwehrführer gibt emotionalen Bericht in Stadtvertretung.

Die Stadtvertretung tagte am Dienstagabend – während Mitarbeiter des Norderstedter Betriebsamtes mit Anspannung zu Hause saßen und warteten. Darauf, dass es grünes Licht der Politik geben würde für eine Sonderaufgabe, die sinnvoller nicht sein könnte. Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder hatte den Dringlichkeitsantrag in das Gremium eingebracht, ein Kanalspülfahrzeug samt Besatzung zur Unterstützung der Aufräumarbeiten in das Flutkatastrophengebiet im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz zu schicken.

„Es wäre schön, wenn Sie sich schnell entscheiden könnten. Die Kollegen des Betriebsamtes sitzen wirklich auf heißen Kohlen. Und wenn wir jetzt schnell entscheiden, dann müssen die nicht ganz so spät in Richtung Landkreis Ahrweiler losfahren“, bat Roeder die Stadtvertreterinnen und Stadtvertreter. Da der Einsatz auf Kosten der Stadt gehen soll, musste die Politik Ja dazu sagen. Und das tat sie, schnell und – was selten geworden ist – einstimmig.

Vierwöchiger Einsatz – alle sieben Tage Personalwechsel

Und kurz danach setzte sich das Spülfahrzeug auch schon in Bewegung. Der Hilferuf kam vom Abfallwirtschaftsbetrieb Ahrweiler. Das Betriebsamt prüfte seine Kapazitäten. „Die Aufgaben der Stadtentwässerung können fortgeführt werden, die Sicherstellung der abwassertechnischen Anlagen wird zu keiner Zeit gefährdet sein, Regelarbeiten werden auf ein Minimum reduziert“, teilt das Betriebsamt mit.

Der Einsatz in Ahrweiler wird auf vier Wochen begrenzt. Das Personal im Fahrzeug wird wöchentlich ausgetauscht, um eine Überanstrengung zu verhindern. „Alle Mitarbeiter sind gegen Corona und Hepatitis geimpft“, sagte Oberbürgermeisterin Roeder.

Das Spülfahrzeug ist eine weitere humanitäre Hilfe aus Norderstedt für die von der Katastrophe betroffenen Menschen. Denn nicht nur das Betriebsamt und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählen zu den Helferinnen und Helfern, sondern auch die Kräfte der Feuerwehr der Stadt.

Norderstedts Wehrführer berichtet aus Katastrophengebiet

Norderstedts oberster Feuerwehrmann, Stadtwehrführer Fabian Wachtel, war am Dienstag ebenfalls in der Sitzung der Stadtvertretung. Er ist gerade zurückgekehrt von seinem Einsatz als Feuerwehrmann im Ahrtal. Stadtpräsidentin Kathrin Oehme bat Wachtel um einen Bericht – und der fiel emotional aus.

 „Was ich im Ahrtal erlebt habe, hat mich tief beeindruckt und meine Sichtweise auf viele Dinge um 180 Grad gedreht“, sagt Fabian Wachtel, Stadtwehrführer Norderstedt.
„Was ich im Ahrtal erlebt habe, hat mich tief beeindruckt und meine Sichtweise auf viele Dinge um 180 Grad gedreht“, sagt Fabian Wachtel, Stadtwehrführer Norderstedt. © Florian Büh | Florian Büh

„Es fällt mir nicht einfach, darüber zu sprechen“, sagte Wachtel. „Meine Familie fragte nach meiner Rückkehr auch, was ich alles erlebt habe. Aber ich konnte darüber zunächst nicht reden. Ich musste das ganze erst mal in Schubladen packen.“ Denn Worte, so Wachtel, könnten nur schwer beschreiben, was man im Ahrtal sieht, riecht, spürt und fühlt. „Das alles hat mich tief beeindruckt und meine Sichtweise auf viele Dinge um 180 Grad gedreht.“ Es seien Bilder gewesen wie aus der Dritten Welt.

„Ahrweiler ist eigentlich ein Urlaubsparadies. Als wir ankamen, schien die Sonne. Wir standen auf dem Bereitschaftssammelplatz und dachten: Wo soll denn in dieser Idylle die Katastrophe sein? Und dann gehst du in eine Nebenstraße und siehst Dinge, die du in Deutschland nicht für möglich gehalten hättest.“ Durch die Wärme seien mittlerweile Schlamm und Müllmassen zu einem steinharten Verbund geworden. Der Wind wirbele Staub auf, der überall in der Luft liege und in der Lunge brenne.

Wachten: „Täglich Hilferufe aus allen Regionen“

„Ich sah – so viele Tage nach der Flut – eine völlig mit Schlamm verdreckte Familie, die Unrat aus ihrem Haus schaufelte – und deren vierjährigen Sohn, der, ebenso dreckig, vor dem Haus an Kartons zerrte und versuchte, mitzuhelfen. Ich habe selbst einen dreieinhalbjährigen Sohn. Ich musste sofort meine Frau anrufen“, sagte Wachtel.

Das Katastrophengebiet sei im Ahrtal nicht lokal begrenzt, wie man das als Feuerwehrmann gewöhnt sei. „Es erstreckt sich über 40 Kilometer. Das war keine Feuerwehrarbeit, das war ein humanitärer Einsatz. Wir bekamen täglich Hilferufe aus allen Regionen, weil etliche Menschen den Suizid angekündigt hatten.“

Wachtel kann sich nicht vorstellen, dass der Einsatz der Helferinnen und Helfer in den Flutgebieten so schnell beendet sein wird. „Die Menschen werden lange brauchen, um all das wieder aufzubauen. Und die können jeden und jede brauchen, die dabei hilft. Deswegen ist es so wichtig, dass nun auch das Betriebsamt diesen Spülwagen schicken darf.“ Denn das tröstliche in der katastrophalen Situation sei das soziale Miteinander. Wachtel: „Es ist toll zu erleben, wie Helferinnen und Helfer aus allen Teilen Deutschlands dorthin kommen, um gemeinsam für die Opfer der Katastrophe da zu sein.“