Kaltenkirchen. Zu Kriegsbeginn war Oksana Ulan aus Henstedt-Ulzburg wie erstarrt vor Angst. Jetzt will sie helfen – mit aller Kraft.
Es ist sehr bedrückend, Oksana Ulan zuzuhören. Die 46 Jahre alte Ärztin aus Henstedt-Ulzburg leidet mit ihrem Geburtsland, der Ukraine. „Am Donnerstag ging es los mit dem Angriff. Den ersten Tag, die Hälfte des zweiten Tages war ich wie erstarrt. Ich konnte nichts essen, nichts trinken. Ich hatte nicht geglaubt, dass es so weit geht.“ Sie telefonierte mit Angehörigen – die Leitungen funktionieren in der Regel immer noch gut. „Ich habe meine komplette Familie dort, meine Eltern, meine Schwester, Cousinen, überall, in Kharkiw, Poltawa, in Kiew.“
Sie stammt aus Lemberg im Westen des Landes, lebt seit 26 Jahren in Deutschland, hier hat sie studiert, sie ist deutsche Staatsbürgerin. Ihr Mann stammt aus Dnipro, einer weiteren ukrainischen Großstadt, zusammen haben sie zwei Kinder, die 15 und 18 Jahre alt sind. Sie haben bereits eine Freundin aufgenommen, die mit ihrer Tochter geflohen ist, die letzten 40 Kilometer bis Polen zu Fuß ging, das Auto zurückließ.
Am Wochenende sammelte Ulan ihre Kraft. „Ich wollte etwas tun.“ Und nutzte ihre Reichweite als Vorstandsmitglied der Ukrainischen Ärztevereinigung in Deutschland, schrieb eine Mail an ihren Verteiler, verbunden mit einem Aufruf an alle Praxen, an Krankenhäuser, an die Branche: Die Ukraine braucht dringend jegliches medizinisches Material für die Versorgung von verwundeten Menschen, sowohl Soldaten als auch der Zivilbevölkerung. Denn auch in Krankenhäusern könnte die Versorgung etwa mit Insulin bald stark eingeschränkt sein.
Ihr Aufruf fand sofort große Resonanz in der Region
„Das hat große Wellen geschlagen.“ Parallel formierte sich binnen kurzer Zeit der Norddeutsch-Ukrainische Hilfsstab (hilfe-ua.de), über den das Abendblatt bereits berichtet hat. 22 Koordinatoren gibt es hier, alle wichtigen Bereiche sind abgedeckt. „Jeder hat eine Aufgabe. Ich bin 20 Stunden am Tag beschäftigt, mein Telefon klingelt alle zwei Sekunden.“
Eine der ersten Rückmeldungen kam aus Lentföhrden von der Firma MedX Project. Ulan kennt den Geschäftsführer Andreas Moll sowie den Leiter für Projektmanagement, Florian Gottschalk, gut. Das Unternehmen bietet nicht nur Schulungen an, sondern betreibt im Kaltenkirchener Einkaufszentrum Ohland-Park die Corona-Impfstelle und ein Testzentrum. Und, das ist hier besonders wichtig, man hat viel Expertise in Kriseneinsätzen. Andreas Moll war mit der Bundeswehr in Afghanistan, Florian Gottschalk mit dem Technischen Hilfswerk in 16 Ländern, darunter auch im Irak. „Man weiß grob, was los ist.“
Genau dort, wo bisher geimpft wurde, können nun montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr die medizinischen Spenden abgegeben werden. Andreas Findeisen, Leiter des Ohland-Parks, hatte sofort zugestimmt, als es darum ging, die Immobilie hierfür zu nutzen. „Gegebenenfalls stellen wir auch zusätzliche Lagerflächen bereit“, verspricht er. Vor Ort wird gesichtet, es gehen möglichst mehrmals am Tag Touren in das polnisch-ukrainische Grenzgebiet. „Sobald ein Fahrzeug gefüllt ist, ob nun Transporter oder 40-Tonner“, so Andreas Moll. In rund 70 Stunden werde man die 2000 Kilometer lange Strecke schaffen, schätzen die Helfer. Begleitet werden die Fahrten von mehreren Mitarbeitern – auch aus Sicherheitsgründen, denn man befürchtet sowohl Diebe als auch russische Saboteure. Der Zeitdruck ist hoch, niemand weiß schließlich, wie lange zum Beispiel Kiew noch erreichbar sein wird.
Die Paracelsus-Klinik stellte schnell eine Ladung zusammen
An Spenden mangelt es nicht, Dutzende Paletten sind bereits eingetroffen und verladen worden. Die Paracelsus-Klinik in Henstedt-Ulzburg hat Masken, OP-Kleidung, Beatmungszubehör, Desinfektionsmittel gegeben. Und auch Leichensäcke. Das Forschungszentrum Borstel brachte Material aus den Beständen der früheren Lungenklinik. Auch der Asklepios-Konzern hat etwas zugesagt. Doch ebenso kamen Privatpersonen spontan vorbei.
Oksana Ulan wird, unterstützt von immer mehr Freiwilligen, jede Minute zur Koordination nutzen. Sie hat sich Urlaub genommen, ihre Kolleginnen aus der Praxis springen ein. Wie sie das schafft? „Ich muss das alles auf die Beine stellen. Meine Gesundheit steht jetzt hinten an.“
In der Nachbargemeinde Kisdorf wird die Ukrainische Ärztevereinigung vom Sportverein SSC Phoenix unterstützt. In dessen Clubheim am Strietkamp 25 können am Sonntag, 6. März, von 12 bis 17 Uhr ebenfalls Sachspenden abgegeben werden – neben medizinischem Material werden unter anderem auch Babykleidung, Babynahrung, Windeln, Hygieneartikel, Schlafsäcke und Zelte, Powerbanks oder Taschenlampen gerne entgegengenommen.