Norderstedt. Sekretärin Janina Alexander ist eine wichtige Ansprechpartnerin für einsame Menschen in der Corona-Zeit.

Die Hoffnungen waren groß: Drei Impfzentren waren in Norderstedt, Kaltenkirchen und Wahlstedt kurz vor Weihnachten startklar. Anfang des Jahres sollte hier das große Impfen beginnen. Doch der Impfstoff fehlte – und mit dem verschärften Lockdown und den Kontaktbeschränkungen wuchsen Sorgen und Ernüchterung. Vor allem Ältere fühlen sich allein gelassen. Viele wissen bis heute nicht, wann, wo und wie sie einen Impftermin bekommen. Obwohl sie – älter als 80 Jahre – ,,eigentlich“ dran wären. Die Verunsicherung ist groß.

„Die häufigste Frage, die ich höre, ist: ,Ich habe keine Einladung zum Impfen bekommen. Haben die mich vergessen?‘“, berichtet Janina Alexander (43), Sekretärin in der DRK-Geschäftsstelle in Norderstedt. Ihr Telefon steht kaum noch still. Sie stellt Kontakte her, hilft weiter – und ist zugleich Kummerkasten in unruhigen Zeiten.

Anrufer über 80 ohne Impfeinladung kann Janina Alexander indes beruhigen: Viele von ihnen haben noch keine Benachrichtigung vom schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium erhalten. Ein anderes Beispiel. ,,Ich höre, ,Ich bin Pflegestufe III, habe Diabetes und brauche dringend einen Impftermin. Können Sie als DRK nicht was machen?‘“ Doch ohne PIN-Code auf der Impfbenachrichtigung kann Janina Alexander nichts ausrichten.

Impfpaten des DRK konnten bereits 60 Menschen helfen

Wenn ihr der PIN-Code vorliegt, sieht die Sache anders aus: 26 Impfpaten stehen beim DRK in Norderstedt bereit, um Hilfebedürftige oder deren Angehörige zu unterstützen. ,,Wir nehmen ihnen die Arbeit ab, kümmern uns um Impftermine, verschicken Briefe mit allen nötigen Unterlagen, helfen bei Formalitäten, halten Rücksprache und organisieren oder begleiten sie beim Gang zum Impfzentrum“, sagt die 43-Jährige.

In einer Woche haben die ehrenamtlichen Impfpaten bereits 60 Hilfebedürftigen auf diese Weise geholfen. Um die zahllosen Telefonanrufe in der DRK-Geschäftsstelle in den Griff zu bekommen, hat der Ortsverein Norderstedt seine Kapazitäten aufgestockt. ,,Einmal haben wir es am Tag tatsächlich geschafft, bei der Terminbuchungshotline durchzukommen und dann gleich für alle Anrufer eines Tages die Termine gebucht“, sagt DRK-Geschäftsführer Christoph von Hardenberg.

Neben Impfpaten stehen beim DRK ehrenamtliche Einkaufshelfer für nicht mehr so mobile Menschen bereit. ,,Mit unserer Organisation könnten wir gern noch mehr für die Norderstedter tun“, betont Christoph Hardenberg. Obwohl es eigentlich nicht ihre vordringliche Aufgabe ist, hat Janina Alexander immer ein offenes Ohr für Kummer und Sorgen der Anrufer. ,,Ich habe das Gefühl, gerade jetzt in dieser Zeit vereinsamen viele ältere Menschen“, erzählt sie. ,,Die Kontakte zu ihren Kindern und Enkeln fehlen. Und es gibt sie, die 98-Jährige, die keine Kinder hat. Die ist komplett allein. Diesen Menschen fehlt die Ansprache. Ich habe den Eindruck, je mehr soziale Kontakte wegfallen, umso tüdeliger werden sie.“

Wenn besorgte Anrufer plötzlich einen ,,Schwank aus der Vergangenheit“ oder ,,vom Krieg“ erzählen, hört sie einfach zu. ,,Wir haben schon ganz andere Zeiten hinter uns gebracht“ ist ein typischer Satz, mit dem so ein Gespräch losgeht. Janina Alexander sieht es gelassen. ,,So ein Gespräch ist für diese Menschen manchmal wichtiger als alles andere.“

Einfach zuhören und da sein – das machen auch die ehrenamtlichen Besuchsfreunde des DRK, die sich mit einsamen älteren Menschen zum Kaffeetrinken treffen. Doch in Corona-Zeiten ist das alles gar nicht so einfach: Aus Angst vor einer Infektion halten sich offenbar sehr viele Ältere zurück und nehmen lieber Abstand. Dabei kann Reden so viel helfen. ,,Neulich rief ein Mann an, der in den Niederlanden lebt und dessen 80-jährige Mutter kürzlich in das Betreute Wohnprojekt ,Levenslust‘ an der Harksheider Straße gezogen ist“, berichtet die DRK-Mitarbeiterin. ,,Seit ein Besuchsfreund die ältere Dame regelmäßig besucht, ist sie richtig aufgeblüht. Ihr Sohn hat sich mit einem Blumenstrauß bei dem Besuchsfreund bedankt.“

Der Seniorenbeirat spricht von schlechter Informationspolitik

Auch beim Seniorenbeirat Norderstedt rufen täglich viele verunsicherte Senioren an. ,,Manchmal sind es fünf am Tag – manchmal 15“, sagt Jürgen Peters, Sprecher des Seniorenbeirates. Seit Ende Dezember habe die Nachfrage enorm zugenommen – seit das Gesundheitsministerium die Pläne für die Impfung vorgestellt hat. ,,Das hat bei vielen Senioren für Irritation gesorgt, vor allem die Kategorisierung Ü 80“, sagt Peters. ,,Weil viele Menschen nicht wissen, was das heißt. Sind das nur die Menschen, die jetzt schon über 80 sind? Oder die in diesem Jahr 80 werden?“ Ebenso groß sei die Verunsicherung in Hinblick auf die Benachrichtigung zu den Impfungen. „Viele von denjenigen, die jetzt eigentlich schon dran sein müssten, sind extrem besorgt, wenn sie noch keinen Brief bekommen haben.“

Der Seniorenbeirat bemängelt die mangelhafte Informationspolitik und die schlecht durchdachte Planung des Impfprozesses. „Das fing schon damit an, dass man sich online für einen Termin registrieren sollte, was viele Senioren einfach nicht konnten.“ Doch obwohl das Prozedere inzwischen geändert worden sei und Terminvergaben auch telefonisch möglich sind, gebe es immer noch Probleme. „Wir hören von Senioren, die in Norderstedt wohnen, aber Termine in Kaltenkirchen bekommen. Ohne dass sich jemand Gedanken darüber macht, wie sie dorthin kommen sollen.“ Schließlich sei nicht jeder motorisiert oder habe Familienangehörige, die einspringen können. „Und nicht jeder kann sich viermal 30 Euro für ein Taxi leisten. Das darf man nicht vergessen!“, so Peters.

Die Plätze in den Präsenz-Gottesdiensten sind belegt

Die Verunsicherung ist groß – der Zusammenhalt jedoch auch. Das sagt Pastor Martin Lorenz von der Emmaus-Kirchengemeinde Norderstedt. „Viele Kreise, die den Menschen vor Corona Halt gegeben haben, sind auch jetzt aktiv und unterstützen sich gegenseitig“, sagt Lorenz. „Die Leute rufen sich gegenseitig an und reden viel miteinander. Einige Kreise haben richtige Telefonketten aufgebaut, die sie nutzen.“

Die Sehnsucht der Menschen nach Nähe sei groß – das merke man vor allem an den Präsenz-Gottesdiensten, die jede Woche stattfinden. „Von 50 Plätzen, die wir anbieten dürfen, sind 50 belegt“, sagt Lorenz. Einige Gottesdienstbesucher kämen bereits eine halbe Stunde vor Beginn, um sich einen Platz zu sichern. „Die Magie der Begegnung lässt sich durch nichts ersetzen. Kein Zoom-Gottesdienst kann Gefühle transportieren. Das merken die Menschen und wollen Teil daran haben.“