Norderstedt. DRK unterstützt mit seinem Projekt ältere Norderstedter, die einem Termin im Corona-Impfzentrum haben.
Die Schiebetür öffnet sich. Peter Franke (83) aus Norderstedt steigt aus dem Großraumtaxi und sinkt in den Rollstuhl, den Taxifahrer Christoph Klee vom „Autoruf Norderstedt“ für ihn bereit gestellt hat. Kaja Hilpert (28), Impfpatin vom Deutschen Roten Kreuz, und Helga Franke (84), seine Frau, begleiten ihn. Für Peter Franke ist heute ein besonderer Tag: Er hat seinen ersten Impftermin im Impfzentrum in der Norderstedter „TriBühne“.
,,Etwas aufgeregt bin ich schon“, sagt der Norderstedter. ,,Wir haben ja noch keine Erfahrungen mit dem Impfen. Aber ich freu‘ mich, dass es nun endlich losgeht. Impfen ist ein Privileg. Es ist das Thema bei all unseren Freunden und Bekannten.“ Peter Franke leidet an Parkinson – einer Nervenkrankheit, die seine Muskelfunktion beeinträchtigt. Deshalb sitzt er im Rollstuhl.
Über die Zeitung haben sie von dem Angebot erfahren
Es ist 17.15 Uhr. Im Impfzentrum hat sich eine kleine Schlange gebildet. Das Ehepaar reiht sich zusammen mit Impfpatin Kaja Hilpert an seiner Seite ein und wartet geduldig. Hinter ihnen stehen Jürgen und Silvia Schmidt aus Norderstedt. ,,Es wird höchste Eisenbahn, dass wir geimpft werden“, sagt Jürgen Schmidt (85), ehemaliger Quartiersmann aus dem Hamburger Hafen. Er hat einen Termin – und würde seine Frau am liebsten gleich mitimpfen lassen. Aber ohne Termin läuft für sie nichts.
Am Empfang begrüßt Soldat Rex die Ankömmlinge. Er misst Fieber, kontrolliert, ob die Unterlagen vollständig sind und erklärt den weiteren Ablauf. Kaja Hilpert zückt eine Klarsichthülle mit Peter Frankes Unterlagen: Personalausweis, Impfpass, Informationsblatt über den Biontech-Impfstoff, ein so genanntes Impfticket, der Anamnese-Bogen. Alles feinsäuberlich sortiert. Zwei Wochen vor dem Impftermin hatten die Frankes ihre Impfbenachrichtigung mit einem Pin-Code vom Gesundheitsministerium in Kiel erhalten. Soldat Rex mustert die Dokumente und drückt Hilpert eine Laufkarte in die Hand.
,,Wir haben in der Zeitung gelesen, dass das Rote Kreuz Impfpaten anbietet für Menschen, die nicht so mobil sind oder für Alleinstehende über 80, die beim Organisieren eines Impftermins jemanden an ihrer Seite brauchen. Das hilft auch bei dem ganzen Drumherum und dem Papierkram. Darüber sind wir sehr froh“, erzählt Helga Franke. ,,Wir haben ja kein Auto.“
Ein Soldat hinter einer Plexiglasscheibe registriert im nächsten Schritt die Impflinge. Vor ihm liegen zahllose Listen. Er notiert die Telefonnummer der Frankes, studiert ihre Unterlagen – drückt Kaja Hilpert schließlich einen Zettel mit einer Wartenummer in die Hand: A 12. ,,Normalerweise gibt es hier Getränke“, verrät Peter Franke, der das Norderstedter Kulturzentrum „TriBühne“ mit seiner Frau regelmäßig besucht. Beide wünschen sich, dass es hoffentlich bald wieder öffnet. Doch in Pandemie-Zeiten ist vieles anders. Künstler in der Warteschleife wie Annett Louisan, Stefan Gwildis und Co. blicken stumm von Plakaten im Foyer auf die gut zwei Dutzend älteren Damen und Herren, die hier maskiert und mit Abstand an schlichten Zweiertischen ihren Aufruf zum Impfen erwarten.
Impfpatin Hilpert nutzt Zeit vor Master-Studium
,,Null sieben! Null sieben an Impflinie 1!“, durchdringt die schneidige Stimme eines Soldaten das Getuschel im Warteraum. ,,007? Das bist doch Du?“, scherzt eine ältere Dame kaum hörbar und knufft ihren Mann mit dem Ellenbogen heimlich in die Rippen. Die Frankes sitzen ebenfalls an einem Zweiertisch und unterhalten sich mit Kaja Hilpert. Die Norderstedterin hat Betriebswirtschaftslehre studiert und möchte demnächst ihren Master machen. ,,Ich habe gerade Zeit. Da passte es mir ganz gut, ehrenamtlich als Impfpatin mitzumachen“, sagt die junge Frau. ,,Meine Großeltern leben leider nicht mehr. Ich möchte den alten Menschen mit meiner Tätigkeit etwas zurückgeben.“
Die Frankes sind seit 62 Jahren verheiratet. Er war in seinem Berufsleben Speditionskaufmann, sie hat als Buchhalterin gearbeitet. Gemeinsam ging das Paar durch dick und dünn. Helga Franke erzählt von der Schneekatastrophe im März 1969. Damals, als der Norden an einem Sonntag urplötzlich unter einer meterhohen Schneelast versank. Das ist jetzt, als sie hier zusammen im Impfzentrum sitzen, auf den Tag genau 52 Jahre her. Im selben Jahr feierte das Ehepaar seinen zehnten Hochzeitstag.
„Die Zwölf. Die Zwölf an Impflinie 1!“ Die Stimme des Soldaten reißt die Frankes aus ihren Erinnerungen in die Gegenwart. Sie folgen dem Soldaten und nehmen erneut vor einem grauen Vorhang Platz. Wieder heißt es warten. An der verwaisten Bar lehnt ein Soldat und starrt versunken auf sein Handy. Ein paar Getränkekisten stehen verloren auf dem Tresen. Das Luftholen unter der Maske fällt schwer. Peter Franke würde gern etwas trinken. Ob es für ihn vielleicht ein Glas Wasser gibt? ,,Kein Problem. Mit oder ohne Kohlensäure?“ sagt der Soldat und nestelt eine Plastikflasche aus der Box. ,,Bitteschön!“
Der Vorhang öffnet sich. Impfarzt Thomas Lamprecht erscheint im weißen Kittel und bittet zum Vorgespräch. Der ärztliche Psychotherapeut aus Norderstedt nimmt sich Zeit. Und stellt freundlich Fragen. Haben Sie Allergien? Nehmen Sie Blutverdünner? Wurden Sie in letzter Zeit geimpft? Der Arzt klärt Peter Franke noch einmal sehr genau über den Biontech-Impfstoff auf und macht ihn auf mögliche Nebenwirkungen der Impfung aufmerksam. ,,Die allermeisten spüren gar nichts“, versichert der Arzt. ,Wenn überhaupt, dann meist erst nach dem zweiten Impftermin.“ Peter Franke scherzt: „Das machen Sie wohl extra so, damit auch alle zum zweiten Termin wiederkommen.“
Die Covid-Impfung dauert nur wenige Sekunden
Hinter dem nächsten Vorhang geht es zur Sache: Peter Franke krempelt den linken Ärmel hoch. Tobias Stahm (30), Notfallsanitäter und Medizinstudent aus Hamburg, desinfiziert den Oberarm, zieht den glasklaren Impfstoff auf eine Spritze und drückt dem Senior das begehrte Serum in die Muskulatur. Die Prozedur, die Menschenleben retten kann, dauert nur wenige Sekunden. Und sie tut nicht einmal weh. „Ich habe gar nichts gemerkt“, sagt Peter Franke. ,,Dann war die Nadel wohl doch zu dünn“, scherzt Tobias Stahm, als er die winzige Einstichstelle an Peter Frankes Oberarm sucht, um sie mit einem kleinen Pflaster zu versorgen.
Anschließend nehmen die Frankes noch einmal für 30 Minuten im Beobachtungsraum Platz. Um sicherzustellen, dass die Impfung tatsächlich gut vertragen wurde. Um 18.30 Uhr bekommt Peter Franke seinen Impfpass mit dem neuen Eintrag zurück. Eine gute Stunde hat alles gedauert. Die Frankes sind zufrieden. ,,Es verlief anfangs etwas schleppend“, sagt Peter Franke. ,,Generell war es aber alles gut organisiert“, betont seine Frau. ,,Alle waren sehr freundlich. Es wurde auf Fragen eingegangen und von ärztlicher Seite her gut erklärt.“
Über 20 Personen engagieren sich bei dem DRK-Projekt
Anteil daran, dass alles so gut geklappt hat, hat auch Kaja Hilpert. Sie erkundigt sich am selben Abend und nach drei Tagen noch einmal, wie es Peter Franke geht. Inzwischen ist Helga Franke ebenfalls geimpft. Auch sie hat die Prozedur sehr gut vertragen. Sie hatte ihre ganz persönliche Impfpatin mit dabei: Ihre Enkelin Jelissa (27) aus Henstedt-Ulzburg. Sie arbeitet als Polizistin im Schichtdienst in Norderstedt – und hat sich als Freiwillige gemeldet, um in ihrer Freizeit als eine von 26 Impfpatinnen und Impfpaten älteren Menschen zu helfen.