Henstedt-Ulzburg. René Klingbeil, Pflegeleitung in der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg, über Fachkräftemangel, übergriffige Patienten und den Umgang mit Corona.
Seit Jahresbeginn ist er verantwortlich für über 200 Menschen: René Klingbeil leitet den Pflegedienst in der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg – sowohl auf den Stationen als auch im OP, in der Notaufnahme, in der Endoskopie und der Anästhesie. Zuvor war er in der Medizinischen Klinik des Lungenzentrums in Borstel tätig, die Ende 2021 geschlossen wurde. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt anlässlich des Tages der Pflege am 12. Mai spricht Klingbeil über den schwierigen Arbeitsmarkt, die immer komplexeren Anforderungen an Pflegekräfte, und über die vorsichtige Rückkehr zur Normalität während der Pandemie.
Wie sind Sie zur Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg gekommen?
René Klingbeil: Eigentlich durch Zufall. Ich war sehr beschäftigt mit der Situation in Borstel, hatte durch die Sozialpläne viel um die Ohren. Meine Frau ist dann angesprochen worden, sie hatte erfahren, dass hier eine Pflegedienstleitung gesucht wird. Ungefähr vor 20 Jahren hatte ich mich schon einmal hier beworben auf die stellvertretende Leitung – bevor ich nach Borstel gegangen bin. Damals hatte man sich anders entschieden.
Was haben Sie gelernt?
Ich habe Krankenpfleger gelernt, über die Ausbildung im Altonaer Krankenhaus bin ich dann ins Berufsgenossenschaftliche Unfall-Krankenhaus gekommen. Meinen Zivildienst habe ich im UKE auf der Herzchirurgie-Intensivstation gemacht. Dann wurde ich gefragt, ob ich mitmache, die Kardio-Klinik mit aufzubauen. In Borstel bin ich 20 Jahre geblieben. Und wohl auch länger, wenn die Klinik nicht geschlossen worden wäre. Mein Lebenslauf ist geprägt davon, längere Zeit vor Ort zu sein.
Wie denken Sie über das Ende der Borsteler Klinik?
Ich wohne noch in der Nachbarschaft. Es tut weh, es sind 20 Jahre Arbeit. Ich glaube, ich bin dort ziemlich weit mit der Entwicklung in der Pflege vorangekommen. Im letzten Jahr der Existenz fing der Pflege-Notstand an, kein Problem mehr zu werden. Wir brauchten kaum noch Stellenanzeigen zu schalten. Der Zulauf verbesserte sich durch Mund-Propaganda. Aber ich freue mich auch sehr, dass ich diesen Weg genommen habe. Ich habe hier bei Paracelsus ein hervorragendes Team vorgefunden. Stück für Stück versuche ich zu etablieren, was ich in Borstel gemacht habe. So langsam merke ich, dass Bewegung hineinkommt, dass ich viele Anfragen aus umliegenden Krankenhäusern bekomme. Darüber freue ich mich natürlich, denn wir haben offene Stellen in allen Bereichen.
Wie viele Personen arbeiten bei der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg in der Pflege?
So 250 bis 270 Köpfe, die mir unterstehen, mit denen ich zusammenarbeite und die überall verteilt sind.
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Was macht eine gute Pflegekraft in einem Krankenhaus aus?
Für mich ist eine Pflegekraft dann am richtigen Ort, wenn sie vorbehaltlos jeden Menschen gleichbehandelt – unabhängig der Nationalität, der Religion, des Geschlechts, seiner sexuellen oder politischen Ausrichtung. Es erfordert eine große Fähigkeit der Empathie, um sich in Menschen hinein zu versetzen, zwischendurch über Verfehlungen hinweg zu sehen.
Wo liegt die Herausforderung?
Der Beruf hat sich verändert. Die Struktur und die Kultur in Krankenhäusern haben sich verändert, auch die Ansprüche der Patienten. Ein Tabuthema ist Gewalt gegen Pfleger. Dort werden wir bald in Zusammenarbeit mit dem UKSH und vielen weiteren Kliniken ein Projekt starten, um vorbeugend zu arbeiten, gefördert durch die Techniker Krankenkasse. Das Verhalten von Patienten, von Angehörigen hinsichtlich Serviceleistungen, aber auch in Form von Übergriffen jeglicher Art, nicht nur körperlich, auch psychischer Natur, sexuelle Übergriffe, all das spielt eine zunehmend große Rolle. Das gilt meiner Einschätzung nach übrigens gesamtgesellschaftlich. Es gibt wenig Mut, diese Dinge anzusprechen. Ich möchte, dass wir eine Art Frühwarnsystem entwickeln und dem Team eine Chance geben, das mit zu entwickeln.
Welchen Einfluss hatte die Pandemie?
Zum einen hat in der Anfangsphase Angst eine Rolle gespielt. Das wurde dann abgelöst von immer mehr Routinetätigkeiten, aber auch Belastungen vor Ort mit den Schicksalen, die dahinterstehen, den schweren Verläufen, die nicht immer den erfreulichen Weg nehmen. Und die Belastung durch das Äußere – die Schutzkleidung, die Maske. Es sind erschwerte Bedingungen. Das bringt Spannungsfelder, das Nervenkostüm wird immer dünner. Wobei hier, auch retrospektiv, das Gefühl da ist, dass die Pflegenden und auch die Ärzte deutlich zusammengerückt sind.
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Wie ist die derzeitige Corona-Situation?
Auf der Intensivstation haben wir derzeit keine Patienten. Wir sind in der Peripherie stark belastet, es sind sehr viele. Hinzu kommen die Öffnungen, das gesellschaftliche Leben, das wieder hochgefahren wird, das Nicht-Tragen von Masken, wodurch das Personal auch im privaten Bereich stark betroffen wird. Es gibt Infektionen, die von draußen mitgebracht werden oder Quarantänefälle.
Kann jemand, der in einem Krankenhaus arbeitet, unbeschwert mit Covid-19 umgehen, auf ein Konzert gehen, abends feiern?
Einkaufen ohne Maske machen wohl die wenigsten. Und Lockerungen in Form von Konzert- oder Kinobesuchen werden sehr vorsichtig getätigt. Man ist da in einer abwartenden Position. Das liegt auch daran, dass die offiziell registrierten Zahlen zwar sinken, die Dunkelziffer aber so hoch ist, weil so wenig getestet und so viel geöffnet und verbreitet wird. Dazu der Druck, durch Ausfälle die Kollegen zu belasten. Es wird Zeit, dass die Pandemie bald ein Ende findet.
Hat die Impfpflicht etwas grundlegend verändert?
Da sind wir gut davor. Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen hier ist extrem hoch. Wir kommen fast an 100 Prozent ran. Diejenigen, die daran nicht beteiligt sind, arbeiten größtenteils nicht am Bett. Und von denen ist der eine oder andere genesen.
Wie würden sie den aktuellen Pflege-Arbeitsmarkt beschreiben?
Die Pflegekräfte können wählen, wohin sie gehen. Auf lange Sicht werden die Häuser Gewinner sein, die Respekt, Miteinander, Würde vernünftig angehen. Alles im Bereich des kurzfristigen Auflebens von Prämien mag ein Anreiz sein, fördert aber langfristig die Zufriedenheit nicht. Es ist wichtig, ehrlich zu sein gegenüber den Mitarbeitern. Dann wird man auf diesem Markt auch einen guten Bestand haben. Die Bezahlung ersetzt nicht Belastungen, Emotionen, Schicksalserlebnisse. Wenn dort nicht der Austausch stattfindet in den Teams, wird das nichts nützen.
Gibt es ein Optimum an personeller Besetzung?
Der demografische Wandel wird uns vor eine riesige Aufgabe stellen. Die geburtenstarken Jahrgänge verschwinden vom Arbeitsmarkt. Wir in Deutschland haben das große Problem, dass lange versäumt wurde, den Nachwuchs zu fördern. Wir werden eine Riesenlücke haben.
Wie ist die Altersstruktur in der Paracelsus-Klinik?
Gemischt. Tendenziell eher die obere Hälfte des Arbeitslebens, aber es sind auch viele Jüngere. Wir sind bemüht, auch durch eigene Ausbildung für Nachwuchs zu sorgen. Aber es ist ein Spagat. Die Ausgewogenheit zwischen älteren und jüngeren Kollegen muss immer bleiben. Wir sind auf die Erfahrungen angewiesen, auf die Gruppe der Idealisten.
Haben sie auch ausländische Fachkräfte?
Wir haben philippinische Pflegekräfte, die in der letzten Phase der Anerkennung sind. Einen haben wir durch, 13 sind kurz vor der Prüfung. Ich hoffe, dass wir in den nächsten zwei Monaten dreizehn Vollzeitkräfte mehr haben. Aber es ist nicht die Lösung für unsere Probleme, permanent Personal aus dem Ausland zu rekrutieren. Eines muss uns hierbei klar sein: wir schwächen das dortige Gesundheitssystem, dort kommt es zur Unterversorgung. Das betrifft nicht nur die Philippinen, es ist auch Ägypten oder der Bereich des ehemaligen Jugoslawiens.
Braucht die Region eine weitere Pflegeschule?
Wir haben viele renommierte Pflegeschulen im Hintergrund. Wir bilden selbst aus, pro Kursus zwei Schüler im Frühjahr und Herbst, die den schulischen Teil in Norderstedt begehen, die praktischen Einsätze bei uns haben oder in Kooperationshäusern verrichten. Und ich strebe eine Kooperation mit der Krankenpflegeschule Rickling im Rahmen der Generalistischen Ausbildung an. Der Vertrag ist schon unterschrieben.
Aber ist der Beruf attraktiv für junge Menschen?
Die Generationen haben sich verändert. Früher hieß es ,Ich lebe für die Arbeit‘, heute arbeitet man, um zu leben. Die Pflegeausbildung ist hoch qualifiziert, oft sehr anstrengend, so vernetzt und kompakt muss gelernt werden, dass es für jeden interessant sein müsste. Aber dafür müssen die umliegenden Strukturen passen mit guter Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen.