Bad Bramstedt. Das Gutsmann war mal das erste Haus am Platz in Bad Bramstedt. Heute ist die Brandruine bei den Fans „verlorener Orte“ sehr beliebt.

Er nennt sich Deafsral. Die Basecap tief heruntergezogen, das Gesicht bis auf die Augen hinter einem hohen Kragen verborgen – so steht der 49-Jährige vor einem Gebäude in Bad Bramstedt, das dort jeder kennt, von dem jedoch kaum jemand weiß, wie es heute drinnen aussieht. Seit einem Großbrand im Jahr 2013 steht der Gebäudekomplex des einstigen Hotels Gutsmann an der Birkenallee leer. Dort, wo einst Hochzeiten und Konfirmationen gefeiert wurden, wo man sich zum Tanz traf und wo die Kurgäste abends in der „Schwemme“ ihr Bier tranken, dort machen sich Schimmel und Verfall breit. Deafsral hat das Hotel besucht und Fotos veröffentlicht.

Er zählt sich zu den Urbexern. Ein Begriff, der sich von „Urban Expedition“ ableitet und eine Szene definiert, die weltweit Seiten im Internet mit ihren Trophäen füllt: Fotos von Gebäuden, die verlassen und sich selbst überlassen sind. Urbexer sprechen von Lost Places, verlorenen Orten. Dazu zählen alte Bunker und Plattenbauten im Osten, leere Hotels und stillgelegte Fabriken. Und auch Hotels wie das Gutsmann. Vor dem mit Brettern vernagelten Eingang steht das Hinweisschild eines Sicherheitsdienstes, der den Komplex bewacht.

Adressen werden nur untereinander preisgegeben

Adressen werden in der Szene nur untereinander preisgegeben. Die Urbexer präsentieren sich öffentlich im Netz und verhalten sich dabei trotzdem konspirativ, weil nahezu jede Expedition einem Hausfriedensbruch gleichkommt.

Zweimal sei er im Gutsmann gewesen, berichtet Deafsral. Seine Worte muss er auf einem Handy eintippen. Der sportliche Mann mit dem skurrilen Hobby ist seit seiner Geburt gehörlos, Kommunikation funktioniert fast nur mit Handy und Apps. Seine Behinderung sei ein Grund dafür, an fast jedem Wochenende in dunkle Gemäuer zu steigen und Nostalgie oder auch Grusel vergangener Zeiten auf sich wirken zu lassen.

„Das sind starke visuelle Eindrücke“, schreibt Deafsral. „Ich mag die traurige Atmosphäre. Das ist wie ein Museum. Und es macht Spaß und lenkt von der realen Welt ab.“ Er sei viel unterwegs, demnächst geht der Frührentner nach Rügen und Polen auf „Urban Expedition“.

„Urbexer“, abgeleitet von Urban Expedition, nennen sich Menschen wie „Deafsral“ aus Hamburg – hier vor dem Gutsmann an der Birkenallee.
„Urbexer“, abgeleitet von Urban Expedition, nennen sich Menschen wie „Deafsral“ aus Hamburg – hier vor dem Gutsmann an der Birkenallee. © Wolfgang Klietz | Wolfgang Klietz

Die Expedition ins Gutsmann hat gezeigt, dass vom Glanz des einstigen Vier-Sterne-plus-Hotels nichts mehr geblieben ist. Eher zufällig und aus Langeweile sei er auf das Gebäude im Kurgebiet gestoßen und habe eine offene Nebentür gefunden. Gut, dass er seine FFP3-Atemschutzmaske immer dabei hat. Eine Ausrüstung, die in Zeiten der Corona-Pandemie begehrt ist und Deafsral vor dem Schimmelbefall im Keller geschützt hat.

Das Feuer hatte das Gebäude und Inventar kaum beschädigt, doch weil der Qualm in alle Räume gezogen war, musste das Gutsmann schließen. Deafsral fand verlassene Schwimmbecken und ging durch die Zimmer, die 239 Gäste bei dem Brand fluchtartig verlassen mussten. In der Bar stehen noch Gläser, in den Zimmern Betten und Schränke. Manches Möbelstück ist umgestürzt, Müll liegt herum.

Ungebetene Besucher dringen immer wieder ins Gebäude ein

Zwar wird das Gebäude von dem Sicherheitsdienst bewacht, doch offenbar gelingt es ungebetenen Besuchern immer wieder, ins Hotel einzudringen. Bei Jugendlichen aus der Region gilt es als Mutprobe, durch den verlassenen Komplex zu schleichen. Im Keller hat Deafsral Kanister mit gefährlichen Chemikalien gefunden. Damit sich niemand daran vergiftet, hat er sie versteckt.

Auch bei dem Besuch des Bramstedter Hotels habe er sich an den Ehrenkodex der Urbexer gehalten, beteuert Deafsral: kein Einbruch, kein Diebstahl, keine Graffiti und erst recht kein Feuer legen. Dass der Einstieg in fremdes Eigentum illegal ist, weiß der Hamburger und nimmt es hin. Darum gibt er seine Identität nicht preis.

Rund 1000 Lost Places habe er seit 1990 schon besucht, doch noch nie habe die Polizei ihn erwischt. Zweimal traf der 49-Jährige Mitarbeiter eines Sicherheitsdiensts, doch sie ließen ihn laufen. „Ich habe einen Fehler gemacht, ich trug keine Tarnkleidung. Hören konnte ich die Leute ja nicht“, tippt der Urbexer

Nicht hören zu können, ist für Deafsral ein großes Problem. Er hat kaum eine Chance zu bemerken, wenn er entdeckt wird. Geht er nachts in ein Gebäude, trägt er schwarze Kleidung und Sicherheitsstiefel, hat eine Taschenlampe, ein Taschenmesser und seine Atemschutzmaske dabei. Dauern die Ausflüge länger, gehören auch Speisen, Getränke und ein Gaskocher zur Ausrüstung.

Zum Beispiel beim zweitägigen Besuch des ehemaligen sowjetischen Militärstandorts Vogelsang bei Berlin. Im Gutsmann war Deafsral vier Stunden unterwegs – ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit.