Norderstedt. Mit offiziell 79.746 Einwohnerinnen und Einwohner überholt Norderstedt die Stadt Neumünster.
Sie schien immer wie in Stein gemeißelt, die Reihenfolge der größten Städte im echten Norden: erst kommt Kiel, dann Lübeck, dann Flensburg und dann – Neumünster. Und eben nicht Norderstedt.
Doch seit Mittwoch ist das Geschichte – und Norderstedt ist offiziell an Neumünster vorbeigezogen und damit nun die viertgrößte Stadt des Landes Schleswig-Holstein
Noch im September lagen die Städte Kopf an Kopf bei der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner. Die Datensätze des Statistikamt Nord mit dem Stichtag 31. Dezember 2020 sahen Norderstedt mit 79.155 Menschen knapp hinter Neumünster mit 79.905 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Doch nun liegen die Zahlen des zweiten Quartals 2021 zur Bevölkerungsentwicklung in Schleswig-Holstein auf dem Tisch und machen Norderstedts neue Position im Land amtlich. Norderstedt hat demnach 79.746 Einwohnerinnen und Einwohner – die Stadt Neumünster schrumpfte im Vergleich zu Dezember 2020 auf 79.683 Köpfe.
Seit Jahrzehnten hatte sich abgezeichnet, dass dieser Tag kommen wird. Neumünster verzeichnete in allen Jahren eine kontinuierliche Abnahme an Menschen in seinen Stadtgrenzen. Norderstedt hingegen, die gerade mal 51 Jahre junge Stadt, wuchs mit enormer Dynamik, befeuert auch von der Ansiedlung immer neuer Firmen mit vielen Arbeitsplätzen und dem Bau von immer mehr Wohnraum für immer mehr Neubürgerinnen und Neubürger.
Für Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder kommt die Entwicklung der Bevölkerungsstatistik dann auch nicht wirklich überraschend: „Wir erleben einen weiterhin anhaltenden Wachstumstrend in unserer Stadt. Norderstedt ist und bleibt als Wohnort attraktiv – und auch die Wirtschaftsentwicklung ist, trotz der Corona-Pandemie, positiv.“
An die neue Rangfolge im Land muss aber auch sie sich nun gewöhnen. An der Spitze der landesweit größten Städte bleibt nach den aktuellen Zahlen die Landeshauptstadt Kiel mit 245.841 Einwohnerinnen und Einwohnern vor der Hansestadt Lübeck (215.051) und Flensburg (89.949). Bis Norderstedt es also aufs sprichwörtliche Treppchen schafft und den dritten Platz im Land übernimmt, dürfte es noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.
Obwohl: Wenn man sich die Zahlen des Norderstedter Einwohnermeldeamtes anschaut, dann ist Flensburg schon gar nicht mehr so weit entfernt. Denn dort wird die Zahl der Norderstedterinnen und Norderstedter derzeit mit 81.603 angegeben,
Zu der Diskrepanz von 1857 Bürgerinnen und Bürgern zwischen dem Statistikamt Nord und dem Norderstedter Standesamt kam es ursprünglich bei der Volkszählung von 1987. Damals zählten die Beamten des Landes etwa 4000 Norderstedter weniger als die Kollegen auf kommunaler Ebene im Rathaus. Da der Datenschutz ein simples Abgleichen der Daten untersagt, blieb es über Jahrzehnte bei der Diskrepanz, sie wuchs zeitweise sogar deutlich an. Mit dem Zensus von 2011 rückten die Zahlenbasen wieder etwas näher zusammen – doch die Diskrepanz blieb. Gründe für die unterschiedlichen Zahlen sieht das Statistikamt Nord in städtischen Registern, die nicht von den sprichwörtlichen Karteileichen bereinigt wurden – etwa nicht gemeldete Todesfälle – oder von Menschen, die sich nicht an-, oder abgemeldet haben. Der Datenschutz verhindert, dass dem jemals endgültig auf den Grund gegangen wird.
Am Ende ist ja ohnehin wichtiger, was der Titel der viertgrößten Stadt überhaupt bringt – außer vielleicht ein Hauch von Prestige. Ganz egal, ob Ex-Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote oder seine Nachfolgerin Roeder – beide betonten immer, wie nebensächlich die Rangfolge sei.
Und de facto bringt der Titel der Stadt auch rein gar nichts. Oberbürgermeisterin Roeder bekommt zum Beispiel keinen Cent mehr Geld als Verwaltungschefin der viertgrößten, statt der fünftgrößten Stadt. Manche in der Stadt sehen jetzt vielleicht die gerade gutachterlich in der Prüfung stehende Idee der Kreisfreiheit für die Stadt Norderstedt gestärkt. Und die Autofahrer werden sich vielleicht fragen, warum die Neumünsteraner ein eigenes Kennzeichen haben, die Norderstedter aber weiterhin mit SE herumfahren, obwohl man doch größer ist?
Für die Finanzen der Stadt Norderstedt wäre es sogar besser, wenn die Stadt weniger als mehr Einwohnerinnen und Einwohner hätte. Weniger offizielle Norderstedter bedeuten nämlich auch weniger zu zahlende Kreisumlage.
Und angesichts von immer häufiger aufkeimenden Konflikten zwischen Anwohnerinnen und Anwohnern und Planern von Neubauprojekten in der Stadt, wäre es sicher nicht wenigen ganz recht, wenn die Stadt Norderstedt nicht immer weiter wachsen und immer neue Neubaugebiete ausweisen würde.
Überraschung: Es herrscht beinahe Gleichstand!
Das Rathaus von Neumünster macht indes eine ganz andere Rechnung auf. ,,Wir haben die aktuellen Zahlen des Statistikamtes zur Kenntnis genommen“, sagt Stephan Beitz, Sprecher der Stadt Neumünster. Doch auch die fünftgrößte Stadt führt ihre eigene Einwohnerstatistik. Und die zeitigt eine überraschende Erkenntnis: Es herrscht beinahe Gleichstand zwischen Norderstedt und Neumünster. Laut Beitz habe Neumünster nämlich 81.046 Einwohnerinnen und Einwohner – Tendenz steigend.
,,Neumünster schrumpft keineswegs, sondern verzeichnet einen leichten Anstieg. Dieser ist in Norderstedt wohl etwas höher, was vielleicht auch ein Stückweit an der direkten Nähe zur Hansestadt Hamburg liegt“, sagt Stadtsprecher Beitz.
„Für uns ist jedoch nicht nur die Anzahl, sondern vielmehr eine gute Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger wichtig. Durch unsere Mitgliedschaft zur Metropolregion haben wir eine Bindung nach Hamburg geschaffen und viele Menschen, die in Hamburg arbeiten, wollen gerne in Neumünster wohnen.“