Norderstedt. Viele Menschen im Kreis Segeberg verlieren derzeit ihre Strom- und Gasverträge – und landen in der teuren Grundversorgung.

Wer Geld bei den Energiekosten sparen wollte und deshalb einen Vertrag mit einem Billiganbieter geschlossen hat, erlebt in diesen Tagen womöglich eine böse Überraschung. Denn manche Strom- und Gasanbieter kündigen ihren Kunden derzeit einfach kurzerhand die Verträge. Diese landen dann unfreiwillig in den deutlich teureren Grundversorgungstarifen der kommunalen Unternehmen. So passiert es derzeit deutschlandweit – und auch im Kreis Segeberg.

Mehrere Tausend Kunden landeten bei den Stadtwerken Norderstedt

„Wir haben im Moment ein erhöhtes Aufkommen an Neukunden in der Grundversorgung, sowohl im Strom- als auch im Gasbereich“, sagt Oliver Weiß, Sprecher der Stadtwerke Norderstedt. Die Zahl liege „insgesamt im niedrigen vierstelligen Bereich.“ Ganz ähnlich ist die Situation bei den Stadtwerke Kaltenkirchen und Bad Bramstedt sowie beim Unternehmen Energie und Wasser Wahlstedt und Bad Segeberg (EWS), das der Grundversorger für Bad Segeberg ist. Hier ist jeweils von einer dreistelligen Zahl neuer Kunden die Rede, die ihre Verträge verloren hätten und nun versorgt werden müssten.

Der Hintergrund der Kündigungswelle: Die Einkaufspreise für Strom und Gas sind in den vergangenen Monaten weltweit stark gestiegen. Als Gründe nennen Experten ungewöhnlich lange Winter in vielen Ländern und auch die Tatsache, dass sich Volkswirtschaften in Asien nach der Corona-Krise erholen. Die Konsequenz ist, dass manche Kalkulationen deutscher Anbieter nicht mehr aufgehen. Dazu Heike Vogel, Leiterin der Verbraucherzentrale Norderstedt: „Einige Unternehmen haben mit Dumpingpreisen Kunden zu sich gelockt und dann gemerkt, dass sie zu diesen Preisen gar nicht liefern können.“ Als Beispiele nennt sie die Anbieter Stromio, Grünwelt Energie und Gas.de. Auch bei der Verbraucherzentrale Norderstedt melden sich derzeit viele ehemalige Kunden von Unternehmen wie diesen, denen plötzlich gekündigt wurde. „Manchmal haben sie überhaupt erst davon erfahren, als das Grundversorgungsunternehmen sie angeschrieben hat“, sagt Heike Vogel.

Grundtarife seien teurer, weil Energie zu aktuellen Marktpreisen zugekauft werde

Dass der jeweilige regionale Grundversorger diese Kunden auffängt, ist gesetzlich vorgeschrieben. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Haushalte plötzlich ohne Strom oder Gas dastehen. Doch die Grundversorgungstarife sind in der Regel etwas teurer als andere. So ist es auch bei den Stadtwerken Norderstedt. Warum, erläutert Oliver Weiß: „Der Tarif muss andere Risiken kalkulieren.“ Es könnten, so wie jetzt, plötzlich Neukunden kommen, die versorgt werden müssten und für die man dann kurzfristig auf den Märkten zu den dann geltenden Preisen Energie beschaffen müsse.

Die Situation wurde kürzlich auch im Schleswig-Holsteinischen Landtag diskutiert. Energiewendeminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) richtete sich an die Grundversorger und sagte, diese dürften Neu- und Bestandskunden nicht unterschiedlich behandeln. Wer jetzt neu in die Grundversorgung komme, dürfe nicht mehr bezahlen. Oliver Weiß betont allerdings, dass es ohnehin einen einheitlichen Grundversorgungstarif bei den Stadtwerken gibt. So sei es auch bei den Stadtwerken Kaltenkirchen und Bad Bramstedt sowie bei den EWS, heißt es vonseiten der Unternehmen.

Verbraucherzentrale empfiehlt: Grundversorgungstarif überprüfen

Die Verbraucherzentrale empfiehlt dennoch, den Grundversorgungstarif zu überprüfen und gegebenenfalls schnell wieder zu verlassen. „In der Regel ist das unser zentraler Rat“, sagt Heike Vogel, obwohl „die alte Faustregel, dass das der teuerste Tarif ist, nicht mehr in jedem Fall und in jeder Region“ gelte. Die Kunden hätten aber das Recht, den Grundversorgungstarif nach zwei Wochen zu verlassen. Kunden sollten bei neuen Verträgen darauf achten, „in dieser Zeit keine Vorkasse zu leisten.“

Die Betroffenen hätten unter Umständen auch die Möglichkeit, sich vor Gericht Geld von dem Billiganbieter zurück zu holen. „Der Differenzbetrag zwischen dem einstigen Tarif und dem, was der Kunde nun bei einem anderen Anbieter zahlen muss, lässt sich gegebenenfalls einklagen.“ Das mache insbesondere dann Sinn, wenn der Billiganbieter nicht insolvent sei. Heike Vogel betont, dass die Verbraucherzentrale den Kunden zur Seite stehe. „Unsere Berater helfen beim Anbieterwechsel und prüfen auch Strom- und Gasrechnungen.“

Kommunale Unternehmen stehen vor einer großen Aufgabe

Und die kommunalen Unternehmen? Sie müssen nun erst einmal eine nicht ganz einfache Aufgabe bewerkstelligen. „Diese Situation ist eine enorme Herausforderung für die Stadtwerke Bad Bramstedt, denn für diese ungeplanten zusätzlichen Kunden müssen wir die erforderliche Energie kurzfristig teuer nachbeschaffen“, sagt Sprecherin Vera Kelsch. Olaf Nimz, Geschäftsführer der Stadtwerke Kaltenkirchen, nennt die Lage noch „überschaubar“. Aber er sagt auch: „Wenn jetzt plötzlich noch Tausende kommen, hätten wir ein ganz anderes Problem.“

Auf die steigenden Marktpreise wurde indes schon reagiert. Wie Nimz sagt, haben die Stadtwerke derzeit „alle Sonderprodukte vom Markt genommen.“ EWS-Geschäftsführer Manfred Köhler sagt: „Wegen der Beschaffungslage haben wir unser Neukundengeschäft derzeit eingestellt.“ Letztlich müssen sich wohl auch Bestandskunden kommunaler Versorger auf höhere Preise einstellen. „Preisanpassungen“ seien, so Vera Kelsch, angesichts der historischen Marktentwicklung „früher oder später leider unausweichlich.“