Norderstedt. Ein „Tatort“-Geheimnis wurde nach 40 Jahren gelüftet: Szenen der legendären achten Folge „Blechschaden“ wurden 1971 in Norderstedt gedreht.
Vor gut 50 Jahren war die junge Stadt Norderstedt Schauplatz für einen echten „Tatort“. Es war die achte Folge der heute noch beliebten ARD-Krimiserie. Der NDR produzierte den am 13. Juni 1971 zum ersten Mal gesendeten „Tatort“, der heute zu den 20 besten aller bislang 1187 Folgen der Serie gezählt wird. Der Titel: „Blechschaden“. Das Stückchen deutscher Krimigeschichte wurde zum Teil auf dem ehemaligen Gelände des Baustoffhandels Plambeck am Schwarzen Weg, Ecke Ochsenzoller Straße gedreht.
Horst Plambeck (80), der damals als Juniorchef des 80-Mann-Betriebes im Dachgeschoss des Bürogebäudes wohnte, hat jetzt im Gespräch mit dem Abendblatt dieses lange gehütete Geheimnis gelüftet. Noch nicht einmal die Krimi-Experten der Internet-Fanseite „Tatort-Fundus“ wussten davon.
Selbst Heimatforscher hatten keine Ahnung von dem Dreh
Und auch die früheren Verleger-Brüder und wohl bekanntesten Heimatforscher Norderstedts, Heino und Gerd-Willi Meincke, hatten keine Ahnung, dass Norderstedt im zweiten Jahr nach Stadtgründung mit Friedrich Schütter, Götz George und Ruth-Maria Kubitschek die allererste Garde der damaligen deutschen Schauspielkunst zu Gast hatte und dass mitten in Garstedt in Sichtweite des Sportplatzes im Winter 1971 der erste „Tatort“ mit Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) vom späteren Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen („Das Boot“) inszeniert worden ist. „Davon haben wir noch nie gehört“, winken die beiden ab. Dabei kennen sie wie niemand sonst die Geschichte ihrer Heimatstadt aus dem Effeff. In ihrer fast 900 Seiten umfassenden zeitgeschichtlichen Chronik: „1949 bis 1989 – Norderstedt im Spiegel von Daten, Menschen, Ereignissen und Zahlen“ wird in den 197 dort akribisch mit dem jeweiligen Datum beschriebenen Ereignissen des Jahres 1971 diese „Tatort“-Episode in der damals 58.304 Einwohner zählenden Stadt mit keiner Silbe erwähnt.
Umso lebendiger ist die Erinnerung noch bei Horst Plambeck vorhanden, der damals 29 Jahre jung war, als die Firma seines Vaters und Onkels, der Baustoffhandel Plambeck, TV-Geschichte schrieb. Großvater Hinrich Plambeck hatte das Unternehmen 1903 in Garstedt gegründet. „Hier ist unsere Firma groß geworden“, sagt Plambeck als er vor dem ehemaligen Firmensitz am Schwarzen Weg steht.
Damals, im Film, diente die Plambeck-Zentrale als Firmensitz des Bauunternehmers Alwin Breuke, gespielt von Friedrich Schütter, dem späteren Chef des Ernst-Deutsch-Theaters in Hamburg. Eines Morgens beim Fernsehdreh sei der verspätet und sturzbetrunken mit einem Auto zu den TV-Aufnahmen auf den Hof gefahren worden, erinnert sich Plambeck. „Der konnte kaum laufen, sagte aber beim Aussteigen genießerisch: ‚Man war sie schön!‘“ Plambeck kann sich kaum halten vor Lachen.
Götz George fuhr einen Ro 80 – eine echte Sensation damals
Der Plot im 105 Minuten langen Tatort „Blechschaden“ sah so aus: Schütter alias Breuke überfährt nach einem Stelldichein mit seiner Geliebten an der Ostsee einen Radfahrer und begeht Fahrerflucht. Um den Blechschaden an seinem Mercedes zu vertuschen, fährt er zu Hause gegen die Mauer seiner Toreinfahrt zu seiner Villa. Die befand sich damals an der Straße Am Friedhof in Henstedt-Ulzburg, sagt „Tatort“-Experte Ulf Marek, der alle etwa zwei Dutzend Originalschauplätze dieser Folge in Barmstedt, Henstedt-Ulzburg,
Alveslohe, Jesteburg und Hamburg in jahrelanger Recherche aufgespürt und mit den Fernsehaufnahmen abgeglichen hat. „Aber wo der Bauhof von Breuke war, ist für uns immer ein Rätsel geblieben. Das war eine ganz harte Nuss, die wir einfach nicht knacken konnten“, sagt Marek. Er hat auch die Originalschauplätze der anderen Finke-„Tatorte“ wie „Kurzschluss“ von 1975 oder „Reifezeugnis“ von 1977 hier in Schleswig-Holstein entdeckt. Im vorigen Jahr hat er dazu erstmals eine „Tatort“-Ausstellung im Museum der Grafschaft Rantzau in seinem Heimatort Barmstedt mit seinen Rechercheergebnissen gezeigt, wo 1975 die „Kurzschluss“-Folge gedreht wurde.
„Auf Norderstedt sind wir nie gekommen“, sagt Marek und freut sich, dass dieses letzte Geheimnis seiner Tatort-Recherchen endlich gelüftet ist. Als er vor Ort vor dem ehemaligen Plambeck-Firmensitz stand, der heute rundherum mit Häusern bebaut ist und in dem sich eine Altentagesstätte befindet, sei es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen: Die Eiche und eine Umkleidekabine auf dem damaligen Sportplatz von Eintracht Garstedt, die im Tatort zu sehen sind, stünden immer noch da.
Beim Dreh auf dem Plambeck-Gelände fuhren die Fahrzeuge und Lastwagen geschäftig hin und her. Gabelstapler beluden Lastwagen mit Ytong-Steinen. Die Plambeck-Werbeschriftzüge habe das Fernsehteam überklebt und durch die fiktiven „Breuke“-Schilder ersetzt, erinnert sich Horst Plambeck.
So richtig heiß wurde es im Büro des Plambeckschen Firmensitzes: Dort turtelten und küssten sich Breukes Ehefrau, gespielt von Ruth Maria Kubitschek, und der angestellte Architekt Joachim Seidel, dargestellt vom legendären Götz George, der später selbst als „Tatort“-Kommissar Schimanski deutsche Krimigeschichte schreiben sollte. In „Blechschaden“ bekommt George wegen der Affäre mit der Chefin Ärger mit Breuke alias Schütter. Die beiden spielten eine Streitszene im Büro, und George verließ dann wutentbrannt das Haus, um mit dem damals hypermodernen NSU Ro 80 mit Wankelmotor zu steigen und davonzubrausen. „Das Auto war damals eine Sensation“, erinnert sich Horst Plambeck an den himmelblauen Ro 80 auf dem Firmengelände in Norderstedt.
Beinahe ganz groß herausgekommen wäre Plambecks Ehefrau Gisela. Die durfte im „Blechschaden“ als Statistin mitmachen und saß im Büro. Stundenlang habe sie im Bild-Hintergrund geschrieben, getippt und telefoniert, während George, Kubitschek und Co spielten. Doch in den „Tatort“ haben es die Aufnahmen, in denen Gisela Plambeck zu sehen war, nicht geschafft. „Die haben sie rausgeschnitten. Sie war total sauer, als der ,Tatort’ gesendet wurde.“