Ratzeburg. Kreis Herzogtum Lauenburg will keine freiberuflichen Mediziner. Qualifizierte Kräfte sind Mangelware. Ausschreibung für drei Jahre.
Die Verwirrung um die Neuordnung des Rettungsdienstes im Herzogtum Lauenburg ist nicht verflogen, doch der Kreis hat eine weitere Baustelle im Rettungswesen. Die Notarztversorgung wurde gekündigt und neu ausgeschrieben. Sie soll analog zu den alten, jüngst über Bord geworfenen Plänen für den Rettungsdienst in die Bereiche Nord, Mitte und Süd geteilt werden. Als wäre dies nicht schwierig genug, sollen nur noch fest angestellte Notärzte zum Einsatz kommen. Doch die sind Mangelware.
Die Ausschreibungsfrist endet Mitte Juni. Die Begeisterung ist gebremst. Es müsse geprüft werden, wie das gehen könne, heißt es unter anderem. Dabei geht es um ein Gesamtvolumen von 8,5 Millionen Euro für drei Jahre. Wie potenzielle Träger für einen derart kurzen Zeitraum qualifizierte Notärzte gewinnen sollen, gerät zur zentralen Frage der Ausschreibung. Bislang fahren Klinikärzte aus den Krankenhäusern im Kreis die Einsätze. Hinzu kommen weitere medizinische Experten, die etwa neben ihrer Praxis freiberuflich tätig werden. Dies wäre nach der neuen Ausschreibung nicht mehr zulässig.
Gericht hatte verneint, dass es eine selbstständige Tätigkeit ist
Künftig sollen Mediziner von den Dienstleistern fest angestellt werden, dann im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung auf den drei Notarztwagen fahren, bestätigt Kreissprecher Tobias Frohnert. „Wir sind wahrscheinlich der erste Kreis in Schleswig-Holstein, der ein Urteil des Landessozialgericht vom September 2020 mit einer Ausschreibung in die Praxis umsetzt.“
Die Sozialrichter widersprachen der Vorgängerinstanz, dass es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Der klagende Arzt erhalte festes Honorar pro Bereitschaftsstunde und Einsatz und bekomme ein Fahrzeug gestellt. Dazu sei er in einen Schichtplan eingebunden, wird angefordert, wenn ein Notruf eingeht. Allein der Umstand, dass er vor Ort alle medizinischen Entscheidungen eigenständig treffe, reiche nicht, seinen Status als Selbstständiger zu belegen.
Stormarn geht einen anderen Weg
Mediziner und potenzielle Träger äußern, dass es höchst schwierig werde, ausreichend Ärzte zu rekrutieren, um die Notarztversorgung aufrecht zu erhalten. „Dieses Urteil wie auch der Gesetzgeber stellen uns vor gewaltige Aufgaben“, bestätigt Kai Steffens, Geschäftsführer der 2020 vom Kreis gegründeten Herzogtum Lauenburg Rettungsdienstgesellschaft.
Das sieht der Verantwortliche in Stormarn anders. Der Nachbarkreis betreibt mit dem Herzogtum Lauenburg eine gemeinsame Rettungsleitstelle. Bad Oldesloe müsse weder Rettungsdienst noch Notarztversorgung neu ausschreiben, betont Andreas Rehberg, Fachbereichsleiter Sicherheit und Gefahrenabwehr in der Kreisverwaltung. „In Mecklenburg-Vorpommern hat ein Sozialgericht entschieden, die Freiberuflichkeit eines Notarztes sei eine Scheinselbstständigkeit“, sagt er. Andernorts wurde anders entschieden. In Schleswig-Holstein hätten Zoll und Landesrechnungshof das Beschäftigungsverhältnis von Notärzten geprüft, ein Prüfbericht dazu stehe aber noch aus.
Notärzte werden zu Leiharbeitern
Wie für den Rettungsdienst hat der DRK-Kreisverband Herzogtum Lauenburg bislang auch für die inzwischen ebenfalls gekündigte Notarztversorgung verantwortlich gezeichnet. Die Neuausschreibung sei die logische Konsequenz der Kündigung des Rettungsdienstes durch den Kreis heißt es aus dem DRK. Und: Im Gegensatz zum Rettungsdienst, den der Kreis überraschend nun selbst bewältigen will, hat sich der DRK-Kreisverband bislang nicht um die Notarztversorgung beworben.
Die Ausschreibungsmodalitäten werden von manch anderem potenziellen Bewerber als Versuch des Kreises gewertet, Probleme auf künftige Dienstleister abzuwälzen. Das gelte besonders für das benötigte Personal. Tenor: Weil der Kreis Angst habe, wegen angeblich scheinselbstständiger Notärzte in die Verantwortung genommen zu werden, sollten die künftigen Dienstleister jetzt das personelle Risiko komplett tragen: Nach dem Ausschreibungstext dürfen sich nur Träger bewerben, die mit angestellten Notärzten arbeiten.
Gesetzesänderung soll mehr Mediziner begeistern
Woher die kommen sollen, ist die große Frage. Derzeit sind etwa 70 Mediziner im Kreis Herzogtum Lauenburg als Notärzte in Teilzeit oder freiberuflich im Einsatz. Wollte man diese komplett durch Vollzeitkräfte ersetzen, würden fast 20 Ärzte benötigt, um rund um die Uhr 365 Tage im Jahr alle drei Notarzteinsatzfahrzeuge einsatzbereit zu halten. „Ärzte können in anderen Tätigkeitsfeldern mehr Geld verdienen“, weiß Kai Steffens, Geschäftsführer Herzogtum Lauenburg Rettungsdienstgesellschaft. Zudem entspräche die Konzentration allein auf die Notarzttätigkeit kaum dem klassischen Wunschbild des Arztberufes.
Steffens setzt darauf, dass eine Gesetzesänderung hilft, dennoch ausreichend Mediziner für diese Aufgabe zu begeistern. „Es wurde die Möglichkeit geschaffen, dass diese Tätigkeit als Nebenbeschäftigung von der Steuerpflicht befreit wird.“ Gelinge es dennoch nicht, das benötigte Personal zu rekrutieren, bleibe nur noch, das Problem an den Gesetzgeber zurückzureichen. Steffens: „Nach der Rechtsprechung und der aktuellen Gesetzeslage bleibt uns nichts anderes, als darauf entsprechend zu reagieren.“
Gewerkschafter wollen Tagesverträge verhindern
Dass dazu auch Überlegungen gehören, die Dienstleister könnten Notärzte vermehrt tageweise einstellen, ruft Widerspruch hervor. „Da geht mir als Betriebsrat und Gewerkschafter das Messer in der Tasche auf“, sagt Günther Stiewe, Betriebsratsvorsitzender beim DRK-Kreisverband. „Wer mit Verweis auf ein Gerichtsurteil argumentiert, Notärzte dürften nur weisungsgebundene, abhängig Beschäftigte sein, kann doch nicht andererseits mit Tagesverträgen agieren wollen.“
Der Plan, die Notärzte bei den Dienstleistern einzustellen und dann per Arbeitnehmerüberlassung auf die Notarztfahrzeuge zu setzen, habe zudem gleich mehrere Fehler, so Stiewe. „Wir hören aus Notarztkreisen, darauf werde sich kein Mediziner einlassen. Und für Leiharbeit ist zudem noch immer die Zustimmung der Agentur für Arbeit notwendig.“
Einen potenziellen Betreiber bereiten andere Vorschriften der Leiharbeit Sorge. Es liege in der Natur der Sache, dass diese nur mit fest angestellten Mitarbeitern funktioniere. „Und diese Arbeitnehmerüberlassung ist auf maximal 18 Monate begrenzt. Was machen wir danach mit den Ärzten, die wir ja noch nicht mal haben? Wo bekommen wir qualifizierte Nachfolger oder zumindest Vertretungen her für die auf mindestens drei Monate terminierte Zwangspause, bevor eine Arbeitnehmerüberlassung wieder zulässig wäre?“
Stormarn stellt Notarztversorgung mit Rettungsdienstverbund sicher
Ein Kardinalfehler sei der Glaube, auf freiberuflich tätigte Notärzte verzichten zu können. Bislang bewältigen im Notärzteverein Herzogtum Lauenburg organisierte Mediziner einen wichtigen Teil der Dienste. Stiewe: „Die dürften nach Lesart des Kreises künftig ebenso wenig zum Einsatz kommen wie die der Notarztbörse, die bundesweit im Einsatz sind. Beide haben keine festangestellten Notärzte.“
Der Nachbarkreis Stormarn hat die Notarztversorgung bereits vor gut zwei Jahrzehnten auf andere Füße gestellt. Der damit betreute Rettungsdienstverbund Stormarn (RVS) wird außer vom Kreis auch von Hilfsorganisationen getragen. Zur Besetzung der drei Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) an den Standorten Reinbek, Ahrensburg und Bad Oldesloe hat der RVS „zum Beispiel Verträge mit dem Krankenhaus Bad Oldesloe und der Notarztbörse geschlossen“, sagt Andreas Rehberg, Fachamtsleiter Sicherheit und Gefahrenabwehr im Kreis Stormarn. Also unter anderem mit der Notarztbörse, die nach Meinung der Verantwortlichen in Ratzeburg nicht mehr einbezogen werden darf, weil sie mit Ärzten ohne Festanstellung arbeitet.