Geesthacht. Zwei Mütter wissen, welche Fragen, Ängste und Sorgen Eltern haben und gründeten daher die erste Selbsthilfegruppe in Geesthacht.

„Sowie er sprechen konnte, war klar, dass er ein Junge ist“, sagt Jessica Woehr. Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Denn der nun fast siebenjährige Sohn der Geesthachterin wurde als Mädchen geboren. „Wenn er früher angesprochen wurde und es hieß, ,Du bist ja ein süßes Mädchen’, antwortete er, ,nein, ich bin doch ein Junge’.“

Solche Irrtümer haben sich mittlerweile erledigt. „Mit vier Jahren folgten kurze Haare und dann Jungs­kleidung. Und jetzt ist er durch und durch ein Junge. Seit letztem Jahr hat er auch seinen Namen geändert, so kommt er in die Schule“, erzählt Jessica Woehr. Den Namen möchte sie nicht verraten, ihr Sohn hat ihn sich selbst ausgewählt.

Treffen jeden 1. Dienstag im Monat bei Kibis in Geesthacht

Jessica Woehr hat im Mai zusammen mit Katrin Zachmann eine Selbsthilfegruppe für Eltern von Transgender-Kindern ins Leben gerufen. So eine Anlaufstelle gab es zuvor im gesamten Kreis Herzogtum-Lauenburg nicht, selbst die Metropole Hamburg kann da nicht mit dienen, hatten die beiden recherchiert. „Zu diesem Thema gibt es generell nur wenige Selbsthilfegruppen“, weiß Jessica Woehr.

Die Treffen finden immer am 1. Dienstag im Monat um 19 Uhr bei Kibis in Geesthacht am Flottbeker Stieg 1 statt, das nächste Mal am 7. Juni. Der einzige Besucher beim ­Debüt war Geesthachts Bürgermeister Olaf Schulze, der den Müttern seinen Respekt aussprach. „Ich finde das hervorragend, dass die beiden den Mut haben, sich öffentlich hinzustellen, damit andere Betroffene sich austauschen können“, sagte er. „Das ist schon was Besonders, selbst in Hamburg gibt es das nicht.“ Noch nicht, denn Katrin Zachmann plant genau so etwas auch für die Hansestadt.

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Viele haben sich noch nicht getraut zu kommen

Legt man den Austausch bei Facebook zugrunde, kommen die beiden auf mindestens sechs Interessenten, Tendenz mit zunehmendem Bekanntheitsgrad eher steigend. „Die haben sich nicht getraut, das ist ja erstmal auch eine Überwindung, zu so einer Gruppe zu gehen. Beim nächsten Mal werden alle dabei sein“, ist sich Jessica Woehr sicher. Denn der Beratungsbedarf ist groß, die Sorgen, Ängste und Fragen der Angehörigen auch.

Kennengelernt haben sich die beiden Frauen über Facebook, sie sind dort Mitglied einer Gruppe von betroffenen Eltern. „Man findet im Internet alles mögliche zum Thema, auch Sachen, die nicht wahr sind. Das persönliche Gespräche in Präsenz ist immer das Beste“, sagt Jessica Woehr. Weil sie sich sympathisch waren und feststellten, nur ein paar Kilometer Luftlinie auseinanderzuwohnen, gründeten sie kurzerhand genau die Gruppe, die sie bisher vermisst hatten. Geplant sind neben dem Austausch auch themenspezifische Abende.

Mutiges Outing eines 14-Jährigen

Der Sohn von Katrin Zachmann ist 14 Jahre alt, 12 Jahre hat er als Mädchen gelebt, nun komplett als Junge, sagt sie. „Weil die Pubertät bereits eingesetzt hat, sieht er noch recht weiblich aus. Er zog sich zurück und wurde immer trauriger. Ich dachte zunächst, das hängt mit der Pubertät zusammen“, erzählt Katrin Zachmann über die Zeit vor dem Outing.

„Nach ein paar Monaten sagte er, er habe seinen Namen schon immer doof gefunden und wolle einen anderen“, berichtet sie. Zudem wurde die weiblicher werdende Figur unter weiter Kleidung versteckt. „Irgendwann kam er dann zu mir und sagte, ,ich glaube, da stimmt was nicht. Ich glaube, ich bin kein Mädchen’“, erinnert sich Katrin Zachmann.

Kassen zahlen Behandlung, wenn Forderungen erfüllt werden

Mittlerweile nimmt ihr Sohn Pubertätsblocker, Ende des Jahres beginnt eine Hormonbehandlung. „Eine Operation zur Geschlechtsumwandlung gibt es unter 18 Jahren so gut wie gar nicht“, erklärt Katrin Zachmann.

„Es gibt drei klassische Altersgruppen, wo die Transmenschen das Anderssein nach außen tragen. Das ist ist das Alter zwischen fünf und sieben, zwischen elf und 14 und dann mit jenseits der 25“, weiß Katrin Zachmann. Die Kassen zahlen die Behandlung, wenn Forderungen erfüllt werden. So sind unter anderem zwei psychiatrische Gutachten nötig. Weil Therapeuten überlastet sind, kostet das viel Wartezeit.

„Wenn der Wunsch hartnäckig ist, ist es keine Phase“

Auch eine offizielle Änderung des Namens ist aufwendig. „Von der neuen Bundesregierung soll ein Gleichbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht werden, das vielleicht diese Prozedur obsolet macht. Deswegen warten wir damit noch“, sagt Katrin Zachmann. Die Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität dgti e.V. erstellt Ergänzungsausweise, die von Polizei und vielen Kassen akzeptiert werden.

Woher weiß man, dass der Wunsch des Kindes nach einer anderen Geschlechtsidentität nicht nur eine Phase ist? Katrin Zachmann: „Die Dauer ist das Indiz. Wenn der Wunsch hartnäckig ist, weitere Dinge hinzukommen und es ein Jahr oder länger anhält, dann kann man nicht mehr von einer Phase sprechen.“