Friedrichskoog/Norddeich. Mehr als 350 Heuler bereits in Seehundstationen gebracht. Allein vier Seehundjäger wachen auf Sylt über die jungen Robben.
Man hört sie schon von Weitem: Es ist kurz vor 11.00 Uhr und die Luft rund um die Seehundstation Friedrichskoog an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste ist erfüllt vom aufgeregten Seehundgebell. Es ist Fütterungszeit für Dutzende junge Seehunde, die in den vergangenen Wochen von ihrer Mutter verlassen an den Stränden gefunden wurden, und hier nun aufgepäppelt und auf die Auswilderung vorbereitet werden.
Aktuell ist Hochsaison in den beiden Seehundstationen an der deutschen Nordseeküste Friedrichskoog und Norddeich in Niedersachsen. Seit Mitte Juni werden eigentlich täglich kleine Seehunde von der Seehundstation Friedrichskoog aufgenommen. Häufig auch mehr als einer. 171 kleine Seehunde sind aktuell in der schleswig-holsteinischen Station und werden aufgepäppelt (Stand 13. Juli). In die Obhut der kleineren Station in Norddeich kamen bis Anfang Juli 183 Heuler.
Nordsee: Heuler bleiben durchschnittlich zehn Wochen in der Seehundstation
Die Friedrichskooger Stationsleiterin Tanja Rosenberger schnappt sich Handschuhe, eine Wathose und einen Eimer mit kleinen Heringen und steigt zu den Heulern ins Becken. Umringt von den jungen Robben zieht sie die toten Fische durchs Wasser, damit die Seehunde lernen, den Fisch zu fangen. Mehr oder weniger geschickt schnappen sich die kleinen Seehunde ihre Beute aus den Händen Rosenbergers. Später werden die Fische dann nur noch ins Wasser geworfen, um die Seehunde bestmöglich auf das Leben in Freiheit vorzubereiten.
Durchschnittlich zehn bis zwölf Wochen bleiben die Tiere in der Station, bis sie genügend Gewicht zugelegt haben und stark und fit genug sind, um ausgewildert zu werden. Zu Beginn werden die Heuler mit einer speziellen Lachsemulsion gefüttert. Anschließend lernen sie in Schritten, selbständig Fisch zu fressen.
Nicht jeder Heuler, der nach seiner Mutter ruft, ist auch tatsächlich verwaist
In den Sommermonaten ist die Hauptgeburtenzeit bei den Seehunden. Rund 10.000 Geburten gibt es wattenmeerweit jährlich, wie die schleswig-holsteinische Nationalparkverwaltung mitteilt. Allein an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste wurden 2021 mehr als 5000 junge Seehunde gezählt.
Die kulleräugigen Jungtiere werden auf Sandbänken und abgelegenen Stränden bei Ebbe geboren. Ihrer Mutter folgen sie nach Angaben der Nationalparkverwaltung gleich bei der nächsten Flut ins Wasser. Da könne es schon einmal vorkommen, dass beide – etwa durch Strömungen – getrennt werden und der Nachwuchs vermeintlich mutterlos ist. Nicht immer sind die jungen Seehunde aber tatsächlich verwaist.
Laien können nicht erkennen, ob ein Seehund Hilfe braucht
In Niedersachsen haben die Wattenjagdaufseher so viel zu tun wie seit langem nicht mehr. „Es gibt viele Heuler dieses Jahr“, sagt der Leiter der Station in Norddeich, Peter Lienau. Problematisch seien Wassersportler, Sportbootfahrer und Wattwanderer, die unbedarft in die Ruhezonen kämen. Viele Gäste seien bereits sensibilisiert. „Aber bei vielen Besuchern an der Küste steigern sich auch die Ausnahmen“, sagt Lienau.
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In Friedrichskoog hingegen sind bisher nicht mehr Heuler aufgenommen worden als üblich, sagt Stationsleiterin Rosenberger. Aber auch sie appelliert an Besucher, Abstand zu den Tieren zu halten und auch Hunde anzuleinen, um Störungen und Stress für die Seehunde zu vermeiden.
Laien können aber nicht erkennen, ob ein Tier Hilfe braucht, sagen Experten übereinstimmend. Daher sollten Menschen, die einen Heuler entdecken, nicht selbst eingreifen, sondern großen Abstand halten und die Polizei, die zuständige Seehundstation oder einen der zuständigen Seehundjäger informieren, wenn dieser bekannt ist.
Die Seehundjäger von Sylt: "Jeder macht die ganze Insel"
Einer dieser Seehundjäger ist Thomas Diedrichsen. Seit 2006 ist er offiziell einer der ehrenamtlichen Seehundjäger auf der Insel Sylt. Zurzeit sind er und seine Kollegen oft im Einsatz. An diesem Morgen Mitte Juli mussten sie schon zwei tote Schweinswale bergen. Dem Zustand nach zu urteilen, sind sie schon länger tot. Diedrichsen sammelt die Tiere, die ein Kollege schon in Müllbeutel gepackt hat, ein und legt sie auf die Ladefläche seines Pickups. Später werden sie von Mitarbeitern des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) in Büsum abgeholt und untersucht.
Diedrichsen und seine Kollegen werden zum Teil mehrmals täglich gerufen. „Wir haben meistens mehr als 1000 Tiere und Einsätze“, sagt Diedrichsen mit Blick auf Sylt. Die vier Sylter Seehundjäger arbeiten auf Zuruf. „Jeder macht die ganze Insel. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe. Wer gerade Zeit hat und in der Nähe ist, fährt hin.“
Tierärzte können die Aufgaben der erfahrenen und gut ausgebildeten Seehundjäger nach Angaben der Nationalparkverwaltung nicht übernehmen. Die Tierärztekammer habe 2014 bestätigt, dass es keine Veranlassung gebe, die Untersuchung der sogenannten Heuler durch Tierärzte vornehmen zu lassen.
Nordsee: "Wenn man das Tier erlöst, ist das auch eine Hilfe"
Wo immer möglich, bekommen die Robben in Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine zweite Chance. Die Seehundjäger haben dazu eine Liste mit verschiedenen Punkten, die abgeprüft werden. Je nach Zustand wird das Tier entweder zu einer Seehundstation gebracht oder es wird erlöst. „Einfach ist das überhaupt nicht“, betont Lienau. Die Tiere erfüllten schließlich das „absolute Bambi-Syndrom“ mit großem runden Kopf und dunklen Augen. Kein Jäger schieße da gerne.
Diedrichsen weiß um die konträren Meinungen, dass nicht jeder es gut findet, dass nicht alle Tiere gerettet werden können oder es nicht zumindest versucht wird. Auch Anzeigen gegen die Seehundjäger kommen schon mal vor. Aber er findet, „wenn man das Tier erlöst, ist das ja auch eine Hilfe.“ Und dies sei auch das Credo der Nationalparkverwaltung.