Grömitz. Geballte Frauenpower im ehemaligen Poseidon in Grömitz: Von der Chefin bis zur Hausmeisterin schmeißen Frauen den Laden.
Sie wollte sich beruflich verkleinern, sagt Faye Scheil. Und deshalb hat sie im Frühjahr auch ihr erstes eigenes Hotel Strandglück in Eins-a-Lage direkt am Strand in Grömitz eröffnet. Hört sich widersprüchlich an, ist es aber nicht: Denn statt 16 Mitarbeiter wie in ihrem früheren Café hat die 34-Jährige nun nur noch inklusive Praktikantin fünf Mitarbeiterinnen. Das Appartementhotel ist damit fest in Frauenhand: Von der Hotelchefin bis zur Hausmeisterin schmeißen Frauen hier den Laden. Diese geballte Frauenpower war keine Absicht, klappt aber besonders gut.
Der Start, man kann es nicht anders sagen, war miserabel. Nicht weil Faye Scheil etwas falsch gemacht hätte. Nein, sie hat das völlig in die Jahre gekommene ehemalige Poseidon an der Grömitzer Uferstraße von November bis März liebevoll renoviert und instand gesetzt. Mit Freunden hat sie alte Küchen aus den Zimmern gerissen, olle Raufasertapeten von den Wänden gekratzt, Rohre wurden verlegt.
Es war harte Arbeit. Und dann, fünf Tage nach der Wiedereröffnung, musste sie ihr Hotel auch schon wieder schließen, sie musste die ersten Gäste nach Hause schicken, weil im März zu Beginn der Corona-Pandemie der erste Lockdown kam. Das war bitter, „vor allem, weil ich auch durch harte Arbeit nichts daran ändern konnte. Es war die erste Situation in meinem Leben, aus der ich mich nicht selbst herausholen konnte“, sagt sie.
Das eigene Hotel war ein Sprung ins kalte Wasser
Die Konditormeisterin hatte gar nicht vor, ein Hotel zu besitzen. „Ich wurde gefragt, ob ich das ehemalige Poseidon übernehmen möchte“, sagt sie. Und sie wollte. Sechs Jahre lang hatte sie ihr gleichnamiges Café Strandglück betrieben. „Das war sehr arbeitsintensiv, und ich hatte immer Schwierigkeiten, genügend gute Mitarbeiter zu finden.“
So schloss sie das eine Herzensprojekt ab und stürzte sich in ein Neues, mit viel Erfahrung in der Gastronomie und nur wenig in der Hotellerie. Ursprünglich hat die Hannoveranerin das Konditorhandwerk in Berlin gelernt, mit Station im englischen Oxford. Die Liebe zur Gastronomie kam während ihres Work&Travel-Aufenthaltes in Australien. Das eigene Hotel war also ein Sprung ins kalte Wasser, den sie trotz der Anfangsschwierigkeiten gut geschafft hat.
22 unterschiedlich gestaltete Themen-Appartements
Der Sommer brachte die Gäste zurück. „Der Juni und September waren deutlich besser als die Jahre zuvor“, sagt Jacqueline Felsmann vom Tourismus-Service Grömitz. Diese guten Monate haben die coronabedingte Schließung von Hotel und Gastronomie wirtschaftlich wieder aufgehoben. Allerdings gingen derzeit aufgrund der steigenden Corona-Zahlen vermehrt Stornierungen für Weihnachten und Silvester ein.
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Im Strandglück können sich die Macherinnen bereits über Stammgäste freuen. Die Gäste haben die Wahl zwischen 22 unterschiedlich gestalteten Themen-Appartements mit Platz für bis zu vier Personen. Da gibt es das Zimmer „Wolkenlos“ in Blautönen mit Meeresblick, das „Möwenzimmer“ mit einem maritimen Foto samt Möwe und einer Lampe, die an Vogelflügel erinnert, oder das Studio „Strandgut“ mit einer Lampe aus einem alten Tau und Treibholz. Alle Studios versprühen Retro-Charme.
Die Miniwohnungen sind zudem mit Küchen ausgestattet. Viele alte Möbel aus dem früheren Poseidon sind geblieben. „Solche Hotelmöbel sind schon sehr praktisch und leicht zu reinigen“, sagt Scheil. Die Reinigung der Zimmer übernehmen alle Mitarbeiterinnen. „Dafür sind wir uns nicht zu schade.“ Die Chefin ist zusätzlich für die Technik im Wellnessbereich mit Pool und Sauna sowie für sämtliche Hausmeistertätigkeiten zuständig.
„Wir sind kein durchgestyltes Hipster-Hotel“
Eines ist Faye Scheil wichtig: Es soll hier familiär zugehen. „Wir sind kein durchgestyltes Hipster-Hotel“, sagt sie. „Wir sind ein Hotel für Junggebliebene, für Senioren, für Familien mit Kindern, für Hundehalter.“ Zum familiären Ambiente gehört auch, dass immer eine Mitarbeiterin als Ansprechpartnerin vor Ort ist. Die Chefin hatte überlegt, was für sie selbst der perfekte Urlaub wäre.
„Dazu gehört, dass ich persönlich begrüßt werde, einen Ansprechpartner mit Namen kenne. Außerdem ist mir Privatsphäre wichtig und dass ich im Pyjama frühstücken kann, wann ich will.“ Das können ihre Gäste. Wer möchte, kann sich ein Frühstück an die Wohnungstür liefern lassen, die Zimmer werden regelmäßig gereinigt, und im Flur gibt es eine Minibar. Ein Zimmer kostet ab 75 Euro.
Mit Sandra Lüdtke und ihrem Kosmetikstudio Devils Place im Untergeschoss gehört eine weitere Frau zum Team. Nur mit Frauen zusammenzuarbeiten habe jede Menge Vorteile, sagt Faye Scheil. „Dazu zählt vor allem der Teamgeist. Wir ziehen alle an einem Strang und halten zusammen, egal ob beim Putzen der Appartements oder bei Überstunden. Hierarchiegerangel gibt es nicht, genauso wenig wie Machtspielchen oder dass ich klarstellen muss, wer die letzte Entscheidung trifft.“ Die Regeln seien ganz klar. „Erfahrungsgemäß kommt es schnell zum Kräftemessen, wenn eine junge, weibliche Chefin Anweisungsbefugnis über einen Mann hat, der älter als die Chefin ist. Bei Frauenteams ist dies seltener.“
Bei den Gästen führt das reine Frauenteam erst zu Verwunderung, dann zu Bewunderung
Die Harmonie und der Spaß an der Arbeit ist im Hotel zu spüren. „Bei uns wird viel gelacht, und wir haben alle einen ähnlichen Sinn für Humor.“ Bei den Gästen führe das reine Frauenteam erst zu Verwunderung, dann zu Bewunderung. „Wenn eine Lampe in einem Appartement kaputt ist, ein Heizungs- problem besteht oder die Schwimmbadtechnik ins Stocken gerät, rechnen unsere Gäste nicht damit, dass wir dies selbst übernehmen“, sagt Faye Scheil. Es gibt aber auch Nachteile. „Wir kommen körperlich eher an unsere Grenzen, wenn Aufgaben viel Kraft benötigen.“
Corona in Hamburg, Deutschland und weltweit – die interaktive Karte
Ein nächstes berufliches Ziel hat die Hotelchefin auch schon. „Ich möchte eine Backstube aufbauen und Auftragstorten herstellen sowie Backkurse anbieten.“ Für Herbst und Winter sind Specials wie Achtsamkeitstraining oder Weihnachtsbäckerei organisiert. „Die Menschen wollen in diesem Jahr besonders viel draußen erleben. Unsere Gäste entdecken Grömitz ganz neu“, sagt Jacqueline Felsmann vom Tourismus-Service Grömitz. Nie seien Bernstein- und Fackelwanderungen so beliebt gewesen. Vom 19. Dezember bis 2. Januar wird es im Ort die Winterpromenade geben mit Kunsthandwerk und Buden.
Hotelchefin Faye Scheil wünscht sich für den Ostseeort viele Gäste. „Es wäre schön, wenn Grömitz die Transformation zur Ganzjahresdestination vollendet, denn hier ist es im Herbst und Winter genauso schön wie im Sommer.“