Pinnberg. Das Direktmandat gewinnt dort seit 1953 immer die Partei, die später den Kanzler stellt. Das Wahlorakel vor den Toren Hamburgs.
Kann SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz noch aufholen? Hat er eine Chance gegen die langjährige Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU)? Wird es in den Wochen vor der Bundestagswahl am 24. September noch einmal spannend? Wer wissen will, wie die Wahl ausgeht, findet die Antwort unter Umständen gewissermaßen vor Hamburgs Haustür – genauer: Im Wahlkreis mit der Nummer 007. In Pinneberg.
Bereits seit 1953 gewinnt dort stets diejenige Partei das Direktmandat durch die Erststimmen, die nach der Wahl auch den Kanzler stellt. Immer wieder wird über dieses Phänomen berichtet, immer wieder bestätigt sich die verblüffende Serie; zuletzt schrieb jetzt die „Bild“-Zeitung von der „Orakel-Stadt“ Pinneberg.
Und tatsächlich: 1969 konnte in Pinneberg der Sozialdemokrat Hans-Ulrich Brand dem CDU-Kontrahenten Rolf Bremer das Direktmandat abnehmen. 1969 wurde mit Willy Brandt erstmalig ein SPD-Politiker Bundeskanzler. 1983 kam dann die Wende in Pinneberg; und das Mandat im Wahlkreis ging wieder an die CDU. Im selben Jahr wurde auch Helmut Kohl, der zuvor durch ein Misstrauensvotum zum Kanzler geworden war, im Amt bestätigt. Zuletzt konnte der CDU-Politiker Ole Schröder 2005, 2009 und 2013 den Wahlkreis gewinnen – praktisch parallel zur Kanzlerschaft von Angela Merkel.
Der Wahlkreis war nie fest in der Hand einer Partei
Am 24. September bemühen sich nun Ernst Dieter Rossmann (SPD) und Michael von Abercron (CDU) um das Direktmandat, das erfahrungsgemäß in den meisten der 299 Wahlkreise in Deutschland an Kandidaten der beiden großen Parteien SPD und CDU geht.
Rossmann ist sich der ungewöhnlichen Wahlserie sehr bewusst, wie er sagt. „Gefühlt ist das natürlich noch mehr Ansporn, den Wahlkreis zu gewinnen, damit wir hinterher den Kanzler stellen“, sagt er. Natürlich könne die Serie der parallelen Wahlausgänge auch dem Zufall geschuldet sein. Aber „analytisch betrachtet“, so Rossmann, sei der Wahlkreis Pinneberg ein typischer „Wechselwahlkreis“. Also ein Wahlkreis, der nicht quasi in der Hand einer einzigen Partei ist, die dort stets die meisten Erststimmen einfährt. Also doch ein Spiegelbild der politischen Stimmung im Land?
Grund ist die Bevölkerungsstruktur
Das könnte an der Bevölkerungsstruktur des Kreises liegen. So ist der Wahlkreis mit seinen rund 235.000 wahlberechtigten Bewohnern sehr unterschiedlich geprägt. Zu ihm gehören eher ländliche Gemeinden, aber auch sehr städtische Gebiete in der Nähe Hamburgs. „Wir sind zwar nicht Klein-Deutschland, aber in der Mischung steht es hier eben oft auf der Kippe“, sagt SPD-Politiker Rossmann.
Er selbst hat das auch schon erfahren: 1998 nutzte er die Wechselstimmung, Pinneberg fiel wieder an die Genossen. Gerhard Schröder zog ins Kanzleramt ein. Vier Jahre später setzte sich Rossmann (wie sein Kanzler) noch einmal durch – verlor dann aber 2005 auch wieder. So wie sich auch Schröder wieder aus dem Bundeskanzleramt verabschieden musste.