Flensburg. Erst schockt die Stadt mit dramatischen Zahlen, nun ist sie Vorbild. Oberbürgermeisterin Lange erklärt die Erfolgsstrategie.
Es ist nicht lange her, da galt Flensburg als eines der größten Sorgenkinder der Nation. Anfang des Jahres blickte ganz Deutschland auf die 97.000 Einwohner-Stadt an der Förde. Denn Ende Januar überschritt die Zahl der Corona-Neuinfektionen die 200er-Marke. Flensburg – der Corona-Hotspot.
Heute, rund vier Monate später, blicken wieder alle an die Förde. Dieses Mal aber, weil es kaum irgendwo besser läuft als hier. Die Inzidenz liegt inzwischen bei unter zehn und damit deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. Und so wundert es nicht, dass in diesen Tagen alle wissen wollen, was das Flensburger Geheimnis ist. Darüber, was wir von Flensburg lernen können, sprach das Hamburger Abendblatt mit der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD).
Hamburger Abendblatt: Wissen Sie noch, wie Sie sich gefühlt haben, als die 200er-Marke Ende Januar überschritten wurde?
Simone Lange: Das war ganz klar sehr belastend, denn natürlich trage ich qua Amt in so einer Situation die Verantwortung. In diesen Tagen war mir klar, dass wir nun Dinge tun müssen, die ich eigentlich gerne allen Bürgerinnen und Bürgern erspart hätte.
Ist inzwischen klar, was zu dem dramatischen Anstieg der Fallzahlen geführt hat?
Lange: Wir waren eine der ersten deutschen Städte, in der die britische Variante B1.1.7 nachgewiesen wurde. Am Anfang war das allerdings nur ein Verdacht. Bis wir Klarheit hatten und die Sequenzierung abgeschlossen war, dauerte es fast zwei Wochen. In diesen Tagen geriet die Situation außer Kontrolle. Es war klar, dass die bisherigen Maßnahmen nicht reichen würden. Und während das ganze Land noch hoffte, dass die dritte Welle ausbleiben würde, waren wir schon mittendrin.
Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen?
Lange: Das waren sehr harte und einschneidende Maßnahmen. Als erste norddeutsche Stadt führten wir etwa die Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr ein und man durfte nur noch allein einkaufen gehen. Außerdem erweiterten wir die Maskenpflicht auf bestimmte öffentliche Orte, Plätze und Straßen. Zeitweise galt sie sogar am Strand.
Und was geschah?
Lange: Wir hatten erst mit verschiedenen Maßnahmen versucht, die Kontakte in der Stadt einzugrenzen. Tatsächlich gingen die Zahlen aber erst deutlich herunter, als wir die Ausgangssperre für nachts und die Kontaktsperre für tagsüber verfügt hatten. Die Ausgangssperre konnten wir nach einer Woche wieder aufheben. Die Kontaktsperre blieb länger bestehen.
Wieso nach nur einer Woche? So schnell hätte die Maßnahme doch noch keine Effekte zeigen können, oder?
Lange: Bei der britischen Variante ist es tatsächlich so, dass die Zahlen sehr schnell in die Höhe schießen aber bei einem echten Kontaktverbot auch zügig wieder sinken können. Wir konnten relativ schnell sehen, dass wir mit der Entscheidung richtig lagen.
Wieso kippten Sie die Ausgangssperre dennoch, wenn sie so erfolgreich war?
Lange: Rückblickend sind wir sicher, dass es die Ausgangssperre war, die die Kehrtwende eingeleitet hat. Das war für die weitere Entwicklung entscheidend, konnte aber keine Maßnahme sein, auf die wir auf Dauer setzen. Dafür greift sie zu stark in die Freiheitsrechte der Menschen ein.
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Die Zahlen sanken dennoch immer weiter und deutlich schneller als anderswo. Was haben Sie anders gemacht?
Lange: Neben der Ausgangssperre und einem harten Kontaktverbot haben wir auch auf strenge Kontrollen mit 24 Corona-Streifen im Stadtgebiet gesetzt. Die sind übrigens auch heute noch im Einsatz. Außerdem haben wir schon früh die Bedeutung von funktionierenden Testsystemen erkannt. Als Jens Spahn das Thema im März aufgriff, waren unsere Teststationen schon im Einsatz. Ein weiterer wichtiger Baustein war die Kommunikation und die Aufklärung. Wir waren überall präsent, haben Infozettel in Schaukästen platziert und sie über Social Media verbreitet, haben mit Wohnungsgenossenschaften kooperiert und auch deren Treppenhäuser für die Infokampagne nutzen können. Wir haben Leiharbeitsfirmen mit ins Boot geholt und sind mit Aufklärungsteams direkt in die Quartiere mit hohem Migrationshintergrund gegangen, in die Communities und Moscheen.
Mit alldem hatten Sie Erfolg. Der aktuelle Inzidenzwert liegt bei unter zehn. Dennoch: Würden Sie im Falle einer vierten Welle noch mal alles genau so machen oder haben Sie auch Fehler gemacht?
Lange: Ich würde vieles genau so wieder machen. Die Maskenpflicht am Strand war über das Ziel hinausgeschossen und erwies sich als kontraproduktiv. Denn tatsächlich führte sie dazu, dass sich die Menschen einfach stattdessen an anderen Orten trafen.
Welche Regelungen gelten nun in Flensburg?
Lange: Entsprechend der Länderverordnung von Schleswig-Holstein sind Treffen außerhalb geschlossener Räume mit bis zu zehn Personen möglich. Die Maskenpflicht an öffentlichen Orten unter freiem Himmel haben wir diese Woche aufgehoben. Sie gilt nur noch innerhalb von Gebäuden. Als nächsten Schritt würde ich mir wünschen, dass die Maskenpflicht auch auf den Schulhöfen entfällt. Das liegt allerdings in der Entscheidungsverantwortung der Landesregierung.