Kiel. Impfwillige können sich dann beim Impfzentrum ihrer Wahl verbindlich anmelden und bekommen einen Termin zugeteilt.

Vom Windhundprinzip zum Zufallsgenerator: Schleswig-Holstein stellt die Impfterminvergabe um. Ab 7. Juni, so erklärte es gestern Landesgesundheitsminister Heiner Garg (FDP) in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz, könne sich jeder impfwillige Schleswig-Holsteiner auf der Internetseite www.impfen-sh.de anmelden, könne dabei sein Wunsch-Impfzentrum nennen und bekomme dann einen Termin zugewiesen. Die Auswahl übernehme dabei ein „Zufallsgenerator, sagte Garg.

Es war ein durchaus denkwürdiger Auftritt des Ministers. Denn Garg machte gar keinen Hehl daraus, dass er die Umstellung für nicht wirklich sinnvoll hält. Es sei „vollkommen klar, dass es nun an anderer Stelle neuen Frust geben wird“, sagte er.

Starke Kritik im Norden am Corona-Management von Schleswig-Holstein

Der alte Frust, das ist der über immer neue und immer wieder vergebliche Versuche vieler Bürger, einen Impftermin zu ergattern. Die vom Konzertveranstalter Eventim organisierte Vergabe erfolgte nach dem Grundsatz: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst. Viele Schleswig-Holsteiner, gerade über 70-Jährige, fühlten sich von diesem Tempoprinzip überfordert.

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Ein Frust, den Garg offenbar nicht verstehen kann. Gleich mehrfach betonte er, dass Gesundheitsminister anderer Länder sich lobend über das Corona-Management in Schleswig-Holstein geäußert hätten. Warum nur gebe es im Norden so starke Kritik daran? Garg, so schilderte er es, habe auf diese Frage geantwortet: „Guckt mal, was die Opposition hier veranstaltet.“

Grüne hatten Garg gezwungen, die Terminvergabe erneut umzustellen

Es ist allerdings nicht nur die Opposition, die die Terminvergabe beanstandet hat. In der „Jamaika“-Koalition aus CDU, FDP und Grünen hatte es schon früh den Wunsch gegeben, dass Garg seinen Kurs korrigieren möge. Auf Druck des CDU-Abgeordneten und Sozialausschussvorsitzenden Hans Hinrich Neve verschickte das Ministerium bereits ab Februar persönliche Impfeinladungen an die über 80-Jährigen – unzweifelhaft eine Verbesserung für die betagten Impfwilligen.

Diesmal waren es offenbar die Grünen, die Garg gezwungen hatten, die Terminvergabe erneut umzustellen. Am gestrigen Vormittag, weit vor der Gargschen Pressekonferenz, hatte sich jedenfalls Grünen-Politikerin Marret Bohn zu Wort gemeldet – und eine echte Neuigkeit verkündet. Das Sozialministerium, so ließ Bohn verlauten, habe einen anderen Weg der Terminvergabe gefunden.

„Zumutung für alle Beteiligten“

Das bisherige System, bei dem es viele vergeblich über das Internet versuchten, habe zu großer Verärgerung und Frustration geführt, sagte sie: „Das Verfahren war eine Zumutung für alle Beteiligten.“ Garg, sichtlich angefasst, kommentierte das wenige Stunden später auf der Pressekonferenz süffisant mit dem Satz, er freue sich, dass sein Vorschlag „durchaus über Tag viel Zustimmung von einzelnen Fraktionen“ bekommen habe.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Die Konferenz hatte er zuvor mit einer langatmigen, weitgehend bekannten Zustandsbeschreibung eröffnet. Schleswig-Holstein sei das einzige Land,  das in der dritten Welle unter der 100er-Inzidenz geblieben sei. Man habe – auf 100.000 Einwohner gerechnet – am wenigsten Sterbefälle, man habe den Geimpften in den Altenheime frühzeitig Erleichterungen verschafft, man habe schon 400.000 Bürger komplett durchgeimpft. „Das ist Platz 4 im Ländervergleich“, so Garg. Und dabei müsse bedacht werden, dass andere Länder Sonderkontingente an Impfstoffen bekommen hätten, Schleswig-Holstein aber nicht.

SPD-Fraktion hat Akteneinsicht in Verträge beantragt

Für seine Entscheidung, zu einem Registrierungsverfahren überzugehen, bekam er  Lob. Alfred Bornhalm, Landesvorsitzender des Sozialverbands, sagte: „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung für alle Menschen, die einen digitalen Zugang haben.“ CDU-Mann Neve  klang  ein wenig reservierter: „Kein Konzept ist so gut, dass es nicht noch verbessert werden kann. Wenn sich nun also auch die Impfterminvergabe optimieren lässt, ist das eine erfreuliche Nachricht.“

Die SPD, stärkste Oppositionspartei, lieferte Garg einen neuen Anlass, sich bei den Gesundheitsministern der anderen Länder zu beklagen. „Das bisherige Verfahren ist eine absolute Zumutung. Der Staat muss es für den Bürger so leicht wie möglich machen und nicht für sich selbst“, sagte die Abgeordnete Birte Pauls. „Viele Fragen zur Zusammenarbeit mit Eventim bleiben offen, weshalb die SPD-Fraktion Akteneinsicht in die Verträge beantragt hat.“

Diese Corona-Impfstoffe sind in Deutschland zugelassen

  • Biontech/Pfizer: Der erste weltweit zugelassene Impfstoff gegen das Coronavirus wurde maßgeblich in Deutschland entwickelt. Der mRNA-Impfstoff, der unter dem Namen Comirnaty vertrieben wird, entwickelt den vollen Impfschutz nach zwei Dosen und ist für Menschen ab zwölf Jahren zugelassen. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat er eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent – das heißt, die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, sinkt bei Geimpften um den genannten Wert. Ebenfalls von Biontech stammt der erste für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren zugelassene Impfstoff in Deutschland.
  • Astrazeneca: Der Vektorimpfstoff des britischen Pharmaunternehmens wird unter dem Namen Vaxzevria vertrieben. Aufgrund von seltenen schweren Nebenwirkungen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), den Impfstoff nur für Patienten zu verwenden, die älter als 60 Jahre sind. Offiziell zugelassen ist der Impfstoff aber für Menschen ab 18 Jahren. Vaxzevria weist laut BMG nach zwei Impfdosen eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen auf.
  • Moderna: Der von dem US-Unternehmen entwickelte mRNA-Impfstoff mit dem Vertriebsnamen Spikevax ist für alle ab 12 Jahren zugelassen, die Stiko empfiehlt aufgrund eines erhöhten Risikos schwerer Nebenwirkungen aber, ihn auf die Altersgruppe der über 30-Jährigen zu beschränken. Der Moderna-Impfstoff hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen, wenn der volle Impfschutz nach zwei Impfdosen erreicht worden ist.
  • Johnson&Johnson: Das US-Unternehmen hat einen Vektorimpfstoff entwickelt, der bereits nach einer Impfdosis Schutz vor dem Coronavirus entwickelt. Er wird unter dem Namen Covid-19 Vaccine Janssen vertrieben. Das Präparat hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 70 Prozent bezogen auf schwere Erkrankungen – zudem ist die Zahl der Impfdurchbrüche im Vergleich zu den anderen Impfstoffen erhöht, daher empfiehlt die Stiko für mit Johnson&Johnson Geimpfte schon nach vier Wochen eine zusätzliche Impfdosis mit Comirnaty oder Spikevax, um den vollständigen Impfschutz zu gewährleisten.
  • Novavax: Das US-Unternehmen hat den Impfstoff Nuvaxovid entwickelt. der mitunter zu den sogenannten Totimpfstoffen gezählt wird. Er enthält das Spike-Protein des Covid-19-Erregers Sars-CoV-2. Dabei handelt es sich aber genau genommen nicht um abgetötete Virusbestandteile, die direkt aus dem Coronavirus gewonnen werden. Das Protein wird stattdessen künstlich hergestellt. Das menschliche Immunsystem bildet nach der Impfung Antikörper gegen das Protein. Der Impfstoff wird vermutlich ab Ende Februar in Deutschland eingesetzt und soll laut BMG in bis zu 90 Prozent der Fälle vor Erkrankung schützen.
  • Weitere Impfstoffe sind in der Entwicklung: Weltweit befinden sich diverse Vakzine in verschiedenen Phasen der Zulassung. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit das umstrittene russische Präparat Sputnik V sowie die Impfstoffe der Hersteller Sinovac, Sanofi und Valneva. Der deutsche Hersteller CureVac hat seinen Impfstoff vorerst aus dem Zulassungsverfahren zurückgezogen.

Zwei Neuigkeiten durfte Garg gestern doch noch vermelden: Noch vor den Sommerferien kann, wenn es mit der Biontech-Zulassung klappt, mit den Impfungen der Schüler zwischen zwölf und 18 Jahren begonnen werden. Der Bund will dafür  ein Extra-Kontingent Impfstoff liefern. Und: Am Donnerstag werden 75.000 Erstimpftermine vergeben – nach dem alten Windhundverfahren.