Kiel. Vier Landkreise in Schleswig-Holstein stehen bei der Corona-Inzidenz bundesweit top da. Etwas machen sie anders.
Bei der Sache mit dem Wind muss die Frau lachen. „Ja, vielleicht ist das unser Geheimrezept gegen die Aerosole“, sagt Dagmar Schulze. „Aber das allein doch eher nicht.“ Okay, nächster Versuch. Ist es eine bestimmte Strategie? Eigene Maßnahmen? „Ich werde mal die Kollegen vom Gesundheitsamt fragen und melde mich“, sagt die Pressesprecherin des Landkreises Nordfriesland. Sie wollten das bislang wohl selbst gar nicht so sehr hinterfragen. Sondern genießen, solange es hält.
Auf dem sogenannten Corona-Dashboard des Robert-Koch-Instituts (RKI) leuchtet dabei an diesem Freitag dasselbe Bild wie schon in den vergangen Wochen: Die dritte Welle der Pandemie hat die Inzidenzkarte der Bundesrepublik wieder tiefrot gefärbt, nur an einem Fleck im Südwesten und ganz im Norden herrscht noch blasse Glückseligkeit.
Vier Kreise in Schleswig-Holstein bei Inzidenz unter Top 5
Weite Teile Schleswig-Holsteins leisten der hochansteckenden Virusmutante B 1.1.7 seltsam eisernen Widerstand. In Berlin wird über einen eiligen „Brücken-Lockdown“ oder „Blitz-Lockdown“ gestritten; in Hamburg muss 150 Euro zahlen, wer nach 21 Uhr noch ohne triftigen Grund auf die Straße geht.
Im hohen Norden aber standen am Freitagnachmittag vier Landkreise bei der Inzidenz bundesweit unter den Top 5. Nach Beschlüssen auf Bundesebene bräuchte es hier kaum noch harte Corona-Auflagen, wäre da nicht die ständige Gefahr der ansteckenderen Mutation und der Einschleppung von außerhalb.
Wer sich auf die Suche nach Gründen macht, muss etwa in Kappeln nachsehen. Zwischen Hamburg und der Kleinstadt liegen nur anderthalb Autostunden, aber doch Welten. Der Landkreis Schleswig-Flensburg, zu dem Kappeln gehört, hat bundesweit die zweitniedrigste Sieben-Tage-Inzidenz, aktuell sind es 20,4 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner - der Hamburger Wert liegt mehr als sechsmal so hoch (die neueste Meldung aus Schleswig-Holstein vom Freitag lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor).
Hoher Norden zählt zu Vorzeige-Regionen der Republik
Das war nicht immer so, zwischenzeitlich war die Entwicklung in Schleswig-Flensburg sogar schlechter als in der Millionenstadt, weil im benachbarten Flensburg die Infektionszahlen explodiert waren. Aber über den gesamten Verlauf der Pandemie betrachtet, gehörte der hohe Norden immer zu den Vorzeige-Regionen der Republik.
Allein mit der dünneren Besiedlung ist das kaum zu erklären. Denn diese gibt es auch in fast allen anderen Bundesländern, nur mit teilweise dramatisch höherer Inzidenz. Womit sich die Frage stellt, was die Menschen, Gemeinden und Städte dort anders machen als anderswo.
Supermarkt so groß wie ein Fußballfeld
In Kappeln zum Beispiel fällt der Edeka-Supermarkt ins Auge, mit einer Verkaufsfläche so groß wie ein Fußballfeld, vielleicht größer. Relativ früh in der Pandemie hat man hier begonnen, am Eingang einen Mitarbeiter zu postieren, der niemanden reinlässt, der sich nicht an den aufgestellten Desinfektionsspendern die Finger säubert. Auch die Einkaufswagen dürfen erst benutzt werden, wenn alle Griffe gereinigt worden sind, wer will, kann Plastikhandschuhe überziehen, die bereitliegen.
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Zwischenzeitlich war die Obst- und Gemüseabteilung für Selbstbedienung gesperrt, Angestellte des Supermarktes stellten die Bestellungen zusammen. Warteschlangen an den Kassen gab es kaum, weil immer genügend geöffnet waren. Zudem sind die Geschäfte in der Region so dimensioniert, dass sie im Frühling und Sommer den Zehntausenden Touristen gerecht werden können. Jetzt, wo die Gäste ausbleiben, haben die Einheimischen entsprechend viel Platz. Wer in den Abendstunden einkaufen geht, hat den riesigen Supermarkt nahezu für sich allein – das hilft, unerwünschte Kontakte zu vermeiden.
Keine vollen Busse im Kreis Nordfriesland
Als Dagmar Schulze sich im Kreis Nordfriesland zu den möglichen Ursachen für die Inzidenz von 30,3 schlau gemacht hat, sagt sie, die großen Risiken für die Corona-Verbreitung seien ja längst gut erforscht: privater Kontakt und Reisen, beides erst recht mit vielen anderen Menschen auf engem Raum. In dieser Hinsicht habe man wohl auch Glück. „Wir haben keine Ballungsgebiete und auch keinen vollen ÖPNV. Wir haben es hier wenig mit Dingen wie Großraumbüros und Messen zu tun.“ Auch reise man weniger ins Ausland. Natürlich gebe es im hohen Norden den Grenzverkehr – „aber da sprechen wir von Dänemark mit ebenfalls recht niedriger Inzidenz im Vergleich zu Tschechien oder Polen als Grenzgebiete“, so Schulze.
Am Ende gebe es keine einfachen Erklärungen, nur einfach gute Disziplin der Nordfriesen. „Unsere Ermittlungen zeigen immer wieder, dass das Verständnis für und die Umsetzung von schützenden Maßnahmen sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext recht hoch ist“, sagt Schulze. Das verhindere zwar nicht, dass Kontaktpersonen in Quarantäne müssen, „aber es reduziert dennoch die Weiterverbreitung.“
Es kommt auf das Verhalten der Betroffenen an
Und man dürfe nicht vergessen, dass es auch im Norden eine zeitweise höhere Inzidenz gegeben habe, etwa nach Ausbrüchen im Klinikum Nordfriesland und in einer Seniorenresidenz in Bredstedt. Infolge eines „langen, recht strikten Lockdowns“ seien die Zahlen wieder auf einem erfreulichen Niveau. Gefahrenabwehr habe weiter höchste Priorität. „Wir haben sicherlich eine hohe Effizienz dabei durch unsere Gesamtorganisation im Corona-Team“, sagt Schulze. Und dann kommt ein aus Großstadtsicht bemerkenswerter Satz: „Unser Gesundheitsamt kann und konnte die regelgerechte Kontaktpersonennachverfolgung zu jedem Zeitpunkt sicherstellen.“
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Am Ende komme es gerade bei plötzlichen Ausbrüchen auf das richtige Verhalten aller Betroffenen und Kontaktpersonen an. „Sonst hat man keine Chance“, sagt Dagmar Schulze. Die bisherigen Erfahrungen machten aber zuversichtlich, dass auch bei einer Öffnung des Landkreises für den Tourismus die Lage im Landkreis kontrollierbar bleiben könne.
„Corona-Virus. So mookt wi dat“
Den Menschen hilft die pragmatische Art, die sich an Plakaten illustrieren lässt, wie sie an schwarzen Brettern in den Dörfern hängen. „Corona-Virus. So mookt wi dat“ steht darauf und „Zusammenhalten. An andere denken. So schaffen wir das.“ Dann werden Regeln mit Schaubildern aufgeführt, von „so viel wie möglich zu Hause bleiben“ bis „nicht anfassen, ein herzliches Moin reicht“.
Dieses erfolgreiche Rezept will Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) weiterpflegen. Mit dem Rückenwind der Zahlen und schleswig-holsteinischer Gelassenheit sagte Günther am Donnerstagabend in der ARD zur bundesweiten Lockdown-Debatte, dass die Mittel für eine erfolgreiche Pandemie-Bekämpfung schon längst für alle Bundesländer beschlossen seien. „Von daher brauche ich keine neuen Besprechungen, sondern wir müssen genau das umsetzen, was wir miteinander besprochen haben.“