Kiel / Hamburg. In Schleswig-Holstein grassiert die Vogelgrippe. Die Lage ist sehr ernst, sagt der Minister. Nun droht auch die Afrikanische Schweinepest.

Mal ist die Rede vom „Lockdown im Stall“, mal von Seuchen, die im „Schatten der Covid-Pandemie wüten“. Gemeint sind dann Vogelgrippe oder Schweinepest. Die meisten Menschen haben genug mit Covid zu tun, als dass noch Platz bliebe für die Wahrnehmung dessen, was Vogelgrippe und Schweinepest für Tiere, Züchter und Betriebe bedeuten. Dabei ist die „Lage sehr ernst“.

Das jedenfalls sagt Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Jan Philipp Albrecht von den Grünen. Für die Tiere sind die Seuchen hochansteckend – und tödlich. „Leider trifft uns das Virusgeschehen auch in diesem Winter mit voller Wucht, sagt Albrecht.

Jan Philipp Albrecht, Landwirtschafts- und Umweltminister von Schleswig-Holstein.
Jan Philipp Albrecht, Landwirtschafts- und Umweltminister von Schleswig-Holstein. © dpa | Axel Heimken

Was Wissenschaftler wie Politiker besorgt: Die Vogelgrippe ist mutiert. Bis zum Winter 2020/2021 trat sie immer nur in der kalten Jahreszeit auf und verschwand mit dem Vogelzug im Frühjahr wieder. Das scheint vorbei: Erstmals im vergangenen Jahr hat die Vogelgrippe in Norddeutschland „übersommert“. Und jetzt verbreitet sie sich rasant. Auch Menschen können sich infizieren, „insbesondere bei einer lang anhaltenden und intensiven Exposition gegenüber hohen Viruslasten. Eine Verbreitung von Mensch zu Mensch wurde jedoch bislang nicht beobachtet“, informiert das Landwirtschaftsministerium. Eine Analyse.

Vogelgrippe in Schleswig-Holstein: Tausende tote Vögel

Das Friedrich-Löffler-Institut – das ist das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit und, wenn mal so will, das RKI für Vieh – spricht von einem „fulminanten und tödlichen Geschehen bei Küstenvögeln.“ Es stuft das Ausbreitungsrisiko bei Wildvögeln und die Übertragung auf Geflügel als hoch ein. „Seit Dezember 2021 wurden Tausende Vögel tot aufgefunden, vor allem an den Küsten Nordeuropas.“

Rückblende: Nach vielen Jahren Pause kam es im Winter 2016/17 wieder zu einem schweren Ausbruch der Geflügelgrippe im Norden. Es folgten ruhigere Jahre, bevor sich im Winter 2020/21 ausgehend von infizierten Wildvögeln die Panzootie erneut ausbreitete und massenhaft auf das Hausgeflügel übergriff. Tausende Tiere mussten gekeult werden, mehr als 1,2 Millionen Euro flossen allein in Schleswig-Holstein als Entschädigung an die Geflügelhalter.

Was zu dem Zeitpunkt Hoffnung machte, war das heranziehende schöne Wetter im Frühjahr/Sommer, der Vogelzug und der Vogelgrippezyklus, der mehrere Jahre relativer Ruhe erhoffen ließ. Doch dann passierte etwas Neues, Ungeahntes: Der Erreger verschwand nicht mehr – und so sind schon im Spätsommer 2021 die ersten neuen Fälle aufgetreten, sagt Patrick Tiede vom schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministerium. Experten gehen davon aus, dass das Virus den Sommer „überlebt“ hat.

Landesweite „Aufstallungspflicht“

Die gute Nachricht ist: In diesem Winter hat es noch keine wirklich großen Betriebe in Schleswig-Holstein erwischt mit Tausenden Tieren, die hätten gekeult werden müssen. Die schlechte: Das zuständige Ministerium spricht von einem „dynamischen und lang anhaltenden Geflügelpestgeschehen 2021/22, welches das bisher am schwersten geltende Geschehen 2020/21 übertreffen könnte.“

Zuletzt waren in Schleswig-Holstein fünf Betriebe mit 4000 Stück Geflügel betroffen, einer davon im Kreis Pinneberg. Bei stichprobenhaften Untersuchungen wurden zudem bei 541 Wildvögeln aus allen Regionen des Landes das Geflügelpestvirus nachgewiesen. Deshalb gilt nahezu landesweit in Schleswig-Holstein eine „Aufstallungspflicht“ – wie seit dem 15. November auch in Hamburg. In „Quarantäne“, also in den Stall, müssen in Hamburg „Hühner, Truthühner, Perlhühner, Rebhühner, Fasane, Lauf­vögel, Wachteln, Enten und Gänse.“ Bei Verstößen drohen Bußgelder.

Ein Problem ergibt sich damit für Hühnerzüchter, die auf Qualität setzen: Wo „Freilandeier“ draufsteht, müssen auch Freilandeier drin sein. Maximal 16 Wochen darf das Vieh laut Bauernverband im Stall gehalten werden, bis das Kaufargument wegfällt. Dann dürfen die Züchter noch von „Bodenhaltung“ sprechen, aber nicht mehr von „Freilandeiern“.

Tote Vögel an der Westküste

Geflügelgrippe wird über die Luft übertragen. „Das macht es für die Betriebe schwierig, sich zu schützen“, sagt Claas Petersen vom Bauernverband Schleswig-Holstein. Wildvögel schleppen das Virus ins Land ein. Das landet dann, zum Beispiel, mit dem Vogelkot, auf einer Wiese, auf der Nutztiere gehalten werden. Um diese zu schützen, erlassen die Behörden das „Aufstallungs­gebot“. Die Tiere müssen dann unter Dach – dort aber auch versorgt werden.

Das Risiko: Der Bauer, der über Rasen, Äcker oder Wege läuft, könnte das Virus unter den Stiefeln oder an der Schubkarre selbst in den Stell schleppen. Damit das unterbleibt, gibt es „Biosicherheitsmaßnahmen“: Landwirte sollen die Ställe nur noch in Schutzkleidung und durch eine Sicherheitsschleuse betreten, Schuhe, Spaten oder Schubkarre reinigen und desinfizieren. „Das sind harte Auflagen für die Betriebe“, weiß Ministeriumssprecher Tiede. Hart, aber notwendig, denn auch der Tierkot sei „wahnsinnig ansteckend“.

Wer aktuell an der schleswig-holsteinischen Westküste unterwegs ist, kann sie nicht übersehen: die toten Vögel, die am Spülsaum liegen oder auf den Deichen. Ob diese Vögel natürlich verendet sind oder aber an den Folgen der Vogelgrippe, ist häufig unklar. Klar ist: Laut Friedrich-Loeffler-Institut haben sich auch schon Säugetiere mit dem Virus infiziert. Nachgewiesen wurden H5N8-Viren kürzlich bei drei Seehunden. Vermutlich hatten sie das Virus über das Aas toter wilder Wasservögel aufgenommen.

Sylvia Koops: Die Züchterin

Sylvia Koops aus Hamfelde im Kreis Stormarn musste 2021 alles Geflügel töten lassen. Die 58-Jährige ist die Chefin des Traditionsgasthofs Waldeslust. Zu dem gehört ein 37 Hektar großes Tier­gehege. Hühner und Enten werden hier artgerecht gehalten. Idylle pur – bis das Friedrich-Loeffler-Institut im März 2021 Geflügelpest des Subtyps H5N8 nachweist. Alle 138 Tiere werden auf Geheiß des Veterinäramtes gekeult. Der finanzielle Schaden hält sich in Grenzen, auch steuerte der Tierseuchenfonds 2000 Euro bei. Emotional hat der Ausbruch der Vogelgrippe die Familie hingegen schwer mitgenommen.

Die Gastronomin schaffte 130 Legehennen, 19 Zuchtenten sowie drei Pärchen Gänse neu an. Mitunter wurden die Tiere ihr geschenkt. Wirklich teuer war hingegen die Desinfektion der Ställe mit 10.000 Euro. „Die Schädlingsbekämpfer waren auch hier“, sagt Koops. Dafür zahle keine Versicherung. Doch damit nicht genug der Investitionen. Damit die Tiere auch weiterhin an der frischen Luft sein können und trotzdem bestmöglich geschützt sind, wurde ein umzäunter Ententümpel mit Dach gebaut. Kosten: 20.000 Euro.

Auf dem Weg zu den Tieren müssen Familie Koops und ihre Mitarbeiter jetzt durch eine Desinfektionsschleuse, tragen spezielle Kittel. Früher durften auch Kinder aus dem Dorf in die Stallungen. Das ist jetzt verboten. „Ich hoffe, dass wir diesen Schritt irgendwann rückgängig machen können“, sagt Sylvia Koops.

Die Zuchtvereine: „Wir brauchen keine Stallpflicht“

Als sehr „unerfreulich“ beschreibt Susan Weisener die Situation für Hamburgs Geflügelzüchter. Die 55-Jährige aus Kirchwerder ist zweite Vorsitzende des Geflügelzuchtvereins Vierlandria und auch im Landesverband der Rassegeflügelzüchter engagiert. Der vertritt mehr als 300 Züchter. Im Stall hätte das Geflügel zu wenig Licht und würde auch nicht genug fressen, um viele Eier zu legen, sagt sie.

Weisener plädiert dafür, das Geflügel risikoorientiert in den Stall zu schicken und nicht komplett und unbefristet unter Hausarrest zu stellen. Die Vogelgrippe sei viel mehr das Problem von großen Ställen und nicht kleinen Privathaltern. Andere Bundesländer oder Kreise hätten das erkannt und schrieben eine Stallpflicht erst ab einer gewissen Tieranzahl vor. So muss Geflügel im Heidekreis ab einer Anzahl von 50 Tieren im Stall bleiben, im Wartburgkreis ab 400 Tieren und in Nordwestmecklenburg ab 500 Tieren. Susan Weisener wünscht sich, dass auch Hamburg diesem Beispiel folgt. „Wir brauchen keine Stallpflicht.“

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Die Schweinepest ist nicht mehr weit entfernt

Aktuell ist in Schleswig-Holstein kein Fall von Afrikanischer Schweinepest bekannt, anders als in Brandenburg, Sachsen oder im nahen Mecklenburg-Vorpommern. Aber weit entfernt ist sie auch nicht mehr: Noch 70 Kilometer fehlen infizierten Wildschweinen bis nach Schleswig-Holstein. Für das Ministerium ist die vor der Landesgrenze lauernde Schweinegrippe „Anlass zu großer Besorgnis“.

In Sachsen und in Brandenburg hat die Seuche die Krise der Schweinebauern nochmals verschärft. Über Polen gelangte das Virus nach Deutschland. Vor allem sind es Wildschweine, die es weitertragen. Wildschweine, die Flüsse oder Zäune als gute Schwimmer und hohe Springer, die sie sind, kaum aufhalten.

Mitarbeit: Lena Diekmann, René Soukup