Helgoland. Die Insel ist zurzeit frei von Sars-CoV-2 – und will es auch bleiben. Wie die Helgoländer mit dem winterlichen Lockdown klarkommen.
Der Mitarbeiter am Flughafen in Büsum ist mit den Nerven runter. Sein Computer lässt sich an diesem Morgen um 8 Uhr partout nicht starten, der Bildschirm bleibt schwarz. Nach diversen Neustartversuchen, denen sich das Gerät weiter hartnäckig widersetzt, gibt er auf und holt einen Vordruck, auf dem er die Passagierdaten händisch einträgt. Glücklicherweise wollen nur eine gute Handvoll Menschen an Bord. Sie müssen beruflich auf die Insel – Techniker für die neue Kläranlage etwa und Mitarbeiter der Offshore-Firmen, die sich auf Helgoland angesiedelt haben.
Das Gepäck wird nicht durchleuchtet, aber genau gewogen, denn in der Britten-Norman BN-2 Islander ist der Platz begrenzt. Bei der Frage, ob man den kleinen Rucksack auf den Schoß nehmen dürfe, lächelt der Flughafenmitarbeiter am Schalter leicht verächtlich – und winkt ab.
Überhaupt ist er recht unerbittlich, aber immerhin fungiert der Mann als Vorposten der einzigen deutschen Hochseeinsel. Und so studiert er akribisch die Selbstauskunft, in der man bestätigt, dass man nicht als Tourist anreist und außerdem nicht kürzlich in einem Risikogebiet war. Auch das Datum des aktuellen (negativen) Corona-Tests prüft er genau.
Für Helgoland geht es um viel. Auf der Insel gibt es seit Monaten keinen einzigen Corona-Fall. Und den Helgoländern liegt viel daran, dass das so bleibt, denn sollte ein Infizierter ernsthaft erkranken, sind die Möglichkeiten auf der Insel begrenzt. Ob Helgoland die einzige Kommune ohne aktuelle Corona-Infektion ist, kann das Robert-Koch-Institut (RKI) nicht sagen: „Wir haben die Daten nur auf Kreisebene“, sagt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Aber viele Kommunen ohne Corona dürfte es in Deutschland derzeit nicht geben.
Im Inselflieger nach Helgoland ist es eng, alle tragen FFP2-Masken
Henning Martens hat das zweimotorige Flugzeug beladen und guckt mit einem kritischen Blick, ob auch jeder Passagier seinen Mund-Nasen-Schutz ordentlich angelegt hat – ohne FFP2-Maske darf niemand an Bord. „Lieber 20 Minuten in der Luft wackeln als drei Stunden auf dem Schiff kotzen“, sagt ein Techniker, der sich wie alle an Bord mit einem anderen Fluggast in eine schmale Zweierreihe quetscht. Alle haben ihre Jacken anbehalten, weil es in der Maschine, die der Pilot auf Sicht fliegt, empfindlich kalt ist. Die Fensterscheiben sind beschlagen. Abstand halten zum Sitznachbarn? Unmöglich, deshalb die besseren Masken. Die ironische Frage eines Fluggastes, wann die Stewardess mit dem Kaffee durchkommt, wird mit allgemeinem Gelächter quittiert. Und warum man keinen Rucksack unter dem Vordersitz verstauen kann, ist einem auch schnell klar – so ein Flugzeug für maximal zehn Insassen inklusive Pilot ist halt kein Airbus.
Das Wetter zeigt sich nach tagelangem Regen allerdings von seiner besten Seite und meint es gut mit denen, die berufsbedingt die Komfortzone von Homeoffice oder Büro verlassen müssen. Die Sonne taucht hinter den Wolken hervor und lässt die Oberfläche des Wattenmeers silbrig glitzern. Man sieht etliche Schiffe auf dem Wasser, irgendwie ein beruhigendes Gefühl, dass da noch jemand ist. Auch wenn Martens schon seit 20 Jahren Pilot ist und seit 2013 die Strecke auf die Hochseeinsel teilweise täglich fliegt. Aber wenn es keinen Kopiloten gibt, muss man als Fluggast vertrauen können. Auf die Frage, ob der Rückflug am nächsten Tag wohl klappen wird, sagt Martens nur: „Das weiß ich morgen.“
Der Transfer von der Düne, auf der der Helgoländer Flughafen liegt, zur benachbarten Hauptinsel funktioniert ohne Wartezeit. Im Moment fährt die „Witte Kliff“, die Dünenfähre, nur jeweils zur vollen Stunde. Aber sie hat auf die Passagiere des verspäteten Flugzeuges gewartet – außer ihnen will niemand übersetzen. Die Helgoländer sind da sehr flexibel.
An der Promenade von Helgoland ist niemand zu sehen
An der Promenade ist niemand zu sehen – außer einem kleinen elektrischen Müllfahrzeug, das langsam an den vielen Hotels im Unterland vorbeirollt. Touristen dürfen seit dem erneuten Lockdown im November nicht mehr kommen, viele Arbeiter wohnen in eigenen Unterkünften ihrer Firmen. Es herrscht eine große Ruhe überall. „Ich habe teilweise aus dem Fenster geschaut und dachte, ich bin taub“, sagt Peter Machholz, der täglich seine Runden über die Insel dreht, so still sei es jetzt oft. Der Hauptkommissar – er leitet die Wache – sagt, der Winter auf Helgoland sei immer ruhig gewesen, aber mit Corona, das sei noch einmal ganz anders.
Dieser Vormittag ist auch so einer. Die Sonne scheint, aber es ist fast windstill und man hört kaum Geräusche. Fünf Polizisten gibt es auf der Insel, im Sommer kommen vier weitere dazu. „Die nächste Verstärkung ist drei Stunden weg“, bringt Machholz es auf den Punkt. Im Moment sei wenig zu tun, die Insel macht einen überaus friedlichen Eindruck. „Aber auf Helgoland gibt es die gesamte Bandbreite der Kriminalität – von Verkehrsdelikten bis zur Kindeswohlgefährdung“, sagt der Revierleiter. Zudem sind Machholz und seine Kollegen Kripo, Wasserschutz- und Schutzpolizei in Personalunion. Demos von Corona-Leugnern habe es auf Helgoland aber noch keine gegeben.
Der Polizist aus Dithmarschen, der vor drei Jahren auf die Insel kam, nachdem er öfter mal ausgeholfen hatte, lebt mit seinen Zwillingssöhnen hier. Die 17-Jährigen gehen zur James-Krüss-Schule im Oberland, um die mittlere Reife zu machen. In der Schule geht es ruhig zu dieser Tage, recht vereinzelt hört man Kinderstimmen. Laut Schulleiterin Eva Middeldorff werden die sechs Zehntklässler in der Klasse laut Stundenplan unterrichtet – bis auf wenige Ausnahmen, etwa Sport. Auch eine Notbetreuungsgruppe der Jahrgänge eins bis sechs ist eingerichtet, aber da seien derzeit nur ein paar Erstklässler, sagt die Pädagogin. Die 74 Schülerinnen und Schüler der Inselschule werden üblicherweise in fünf jahrgangsübergreifenden Gruppen unterrichtet. Aber obwohl es keinen akuten Corona-Fall auf Helgoland gibt, hält sich die Schule an die Vorgaben aus Kiel.
Die Schüler müssen Masken tragen
Die Schüler müssen Masken tragen, die Abstandsregeln würden eingehalten, sagt Middeldorff. Auch das Kollegium aus neun Lehrerinnen, einem Lehrer und einem Schulsozialpädagogen setze auf Videokonferenzen, um die Kontakte einzuschränken. Ganz ohne Kontakte geht es auch auf einer Insel nicht. „Wir müssen manchmal zum Facharzt rüber“, sagt Middeldorff und meint damit das Festland, „wir können also nicht ausschließen, dass das Virus hier rüberkommt.“
Deshalb setzen die Lehrer vorwiegend auf Distanzunterricht: „Es gibt täglich ein paar Kinder, die wir in Präsenz beschulen, wenn wir das notwendig finden.“ Bei vielen klappe das Homeschooling dagegen sehr gut. „Es gibt regelmäßig Videokonferenzen mit den Schülern, und die Lehrer haben Sprechstunden.“ Etliche Schüler, vor allem solche, die keinen Drucker zu Hause haben, holen sich ihre Aufgaben ab und bekommen diese laut Schulleiterin auch gleich an Ort und Stelle erklärt. Das Gefühl, in einer besonderen Situation zu leben, bleibt, auch wenn die Gefahr durch die lebensbedrohliche Infektion weit weg scheint: „Es ist so surreal. Wir sind hier auf der Insel der Seligen“, sagt Eva Middeldorff.
Dass das so bleibt, darauf hoffen auch die Mitarbeiter der Paracelsus-Nordseeklinik. Für Notfälle gibt es einen roten Klingelknopf am Eingang der Rotklinker-Gebäude am Invasorenpfad. Im Besucherraum am Eingang steht noch ein vertrockneter Tannenbaum, aber der Raum ist ohnehin permenent verwaist, für die Klinik gilt ein Besuchsverbot.
Krankenhauspersonal wird regelmäßig mit PCR-Tests untersucht
In dem 24-Betten-Krankenhaus arbeiten etwa 50 Mitarbeiter. Das klingt sehr viel, aber auch auf einer Insel muss der Drei-Schicht-Betrieb sichergestellt werden. „Es ist wie eine Großklinik im Kleinen“, sagt Dr. Holger Uhlig, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Grundversorgung. Bis in die Nordseeklinik, die eine neurologische Fachabteilung für Parkinsonpatienten betreibt, hat es das Coronavirus in der Pandemie noch nicht geschafft – nach Helgoland allerdings schon. Fünf Infizierte gab es im Spätsommer auf der Insel. Zwei Touristen und ein Arbeiter wurden positiv getestet, außerdem zwei Helgoländer Reiserückkehrer. Sie waren nicht schwer erkrankt, niemand musste ins Krankenhaus. „Wir konnten alle Kontakte sofort nachvollziehen“, sagt Bürgermeister Jörg Singer, dem allerdings die neue hochansteckende Mutation Sorgen bereitet.
Das Krankenhauspersonal wird regelmäßig mit PCR-Tests untersucht, jeder neue Patient ebenso. „Wir haben das Ergebnis in zwei Stunden“, sagt Uhlig, „denn wir können die Tests hier selbst auswerten.“ Halfen anfangs noch die Offshore-Firmen mit FFP2-Masken aus, seien nun ausreichend Masken und Schutzkleidung sowie Testzubehör in der Klinik vorhanden, sagt der Chirurg.
Wer mit dem Schiff aus Cuxhaven, das derzeit planmäßig drei Mal pro Woche fährt, auf die Insel will, muss laut Sten Wessels, Klinikmanager und Pflegedienstleiter, entweder einen negativen Test vorweisen oder wird noch direkt an Land getestet, bevor er das Schiff betreten darf. Die Reederei Cassen Eils hat dafür ein eigenes Testzentrum eingerichtet. Das sorge zwar häufig für eine verzögerte Abfahrt, bringe Helgoland aber Sicherheit, sagt Uhlig. Denn sollte ein Corona-Infizierter schwer erkranken, könnte die Situation für ihn schnell kritisch werden: „Wir haben keine Intensivstation. Wenn jemand beatmungspflichtig wird, müssen wir ihn ausfliegen“, sagt der gebürtige Helgoländer Uhlig, der seit 2003 an der Klinik tätig ist. Mehr als vorübergehende Notbeatmung sei nicht drin.
Impfbeginn vermutlich Mitte März für die Über-80-Jährigen
Der 61-jährige Mediziner spricht von etwa 50 Verlegungen aufs Festland pro Jahr – die meisten per Hubschrauber, in etwa zehn Prozent der Fälle sei das nur mit dem Seenotrettungskreuzer möglich, wenn ein Hubschrauberflug wegen der Witterung nicht machbar ist. Das nächste große Thema ist nun die Corona-Schutzimpfung.
Uhlig und Wessels rechnen mit einem Impfbeginn Mitte März für die Über-80-Jährigen und andere Angehörige der Priorität 1. Geplant ist, dass der Impfstoff an einem Freitag mit dem Schiff geliefert und am Tag darauf verabreicht wird. Denn am Wochenende hätten genügend Helfer, beispielsweise von der Feuerwehr, Zeit. Die Nordseehalle könnte das Impfzentrum werden, sie bietet ausreichend Platz.
Laut Wessels haben in einer internen Umfrage 80 Prozent der Klinikmitarbeiter ihre Bereitschaft, sich impfen zu lassen, erklärt. „Von den anderen 20 Prozent wollen aber nun doch noch mehr mitmachen“, sagt der 47 Jahre alte Klinikmanager, der seinen Zivildienst auf Helgoland geleistet hatte. Der Rostocker lernte eine Helgoländerin kennen, so verschlug es ihn dauerhaft auf die Insel.
138 Bewohner über 80 Jahren leben derzeit auf Helgoland, hat Bürgermeister Jörg Singer während seines Weihnachtsurlaubs ausgerechnet, aber insgesamt seien es 350 Menschen, die zu Risikogruppen gehören. Und er hat noch mehr Statistik zur Hand: In den vergangenen zehn Jahren ist die Bevölkerung mit aktuell 1497 Einwohnern (37 Nationalitäten) deutlich jünger geworden. Sie ist jetzt im Schnitt 50 statt 60 Jahre alt. Dazu hätten die Mitarbeiter der Offshore-Anlagen, Forscher und etwa 15 Familien beigetragen.
Doch für jene, die auf der Insel alt werden, wird das Leben beschwerlicher. Es gibt zwar einen mobilen Pflegedienst, aber kein richtiges Altenheim. Die Klinik betreibt eine kleine Altenpflege-Abteilung mit fünf Plätzen, von denen schon mal alle belegt waren, derzeit lebt aber nur eine Frau dort. „Es ist teurer als auf dem Festland“, sagt Chefarzt Uhlig, der Eigenbeitrag sei deutlich höher, denn wirtschaftlich sei so ein kleiner Betrieb nicht. Nur durch die Angliederung an die Klinik könne man eine solche Station überhaupt betreiben.
„Essen auf Beinen“ ist ein Service für die Älteren
Ein spezielles Angebot ist auch das „Essen auf Beinen“, das in Zusammenarbeit mit den Rotariern der Insel vor etwa 20 Jahren ins Leben gerufen wurde. Die Krankenhausküche kocht, und ein vom Rotary Club bezahlter Bote trägt die Mahlzeiten zu zehn betagten Helgoländern aus. Auf der nur etwa einen Quadratkilometer großen Hauptinsel, auf der es nur Elektrofahrzeuge gibt, lohnt ein Fahrdienst nicht. Auch so kommt das Essen bei den Leuten warm an.
Ulla Herrmannsfeldt plagt öfter der Gedanke, wie es mit ihr einst weitergehen soll. „Ich spreche für uns alle. Noch kann ich flitzen, aber ich kenne viele, die ihr Leben lang hier auf der Insel gewohnt haben – und dann heißt es irgendwann einpacken und rüber ins Altersheim auf dem Festland, mutterseelenallein“, sagt sie, und dabei kommen ihr die Tränen. Die 76-Jährige, eine gebürtige Hamburgerin, dreht täglich ihre Runden mit ihrer Hündin Cleo. 1972 kam sie ehrenamtlich mit ihrem Ehemann und 25 Kindern zum Schwimmen auf die Insel.
„Daraus sind jetzt 49 Jahre geworden“, sagt die Witwe, die mit ihrem Mann 25 Jahre lang das Haus der Jugend, die heutige Jugendherberge, leitete. „Wir hatten bis zu 36.000 Übernachtungen pro Jahr. Wir waren bis zu eineinhalb Jahre im Voraus ausgebucht.“ Ein Bild sei das gewesen, „wenn bis zu elf weiße Dampfer in der Sonne lagen. Kann man sich das vorstellen?“, fragt sie und blickt vom Falm, der Böschung im Oberland, nach unten an die Landungsbrücke. Da ist kein einziges Schiff, in diesem Moment nicht einmal die Dünenfähre. „Ich war seit mehr als einem Jahr nicht mehr drüben“, sagt sie und meint Niedersachsen. Ihre Freunde in Cuxhaven treffe sie derzeit sicherheitshalber nicht, und es gebe nur wenig, was sie auf der Insel nicht kaufen könne.
Ähnlich halten es Inselfotografin Lilo Tadday und ihr Mann Klaus Furtmeier, der von 2007 bis 2017 Tourismusdirektor auf Helgoland war. Sie bleiben zu Hause. „Wir sind vernünftig genug“, sagt der gebürtige Münchner, „aber natürlich ist es schade, dass man derzeit nicht einfach rüberkann.“ Tadday, die schon seit Mitte der 70er-Jahre auf der Hochseeinsel lebt, hat vor mehr als 20 Jahren in einer der Hummerbuden am Binnenhafen ihre Fotogalerie eröffnet.
Ihr Mann kümmert sich um das Geschäftliche, sie um das Kreative. An der Hummerbude 36 laufen alle Touristen zwangsläufig vorbei, wenn sie mit dem Schiff ankommen. Auch im vergangenen Jahr sei das Geschäft gut gelaufen, sagt Klaus Furtmeier, der sagt, er sei überrascht gewesen, „dass schon im Mai wieder Tagesgäste und Urlauber kommen durften“. Es sei dann eine bisweilen anstrengende Saison gewesen, „aber unter dem Strich hatten wir keine großen finanziellen Einbußen“.
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„Die weltweite Situation ist bedrückend“, sagt die Insel-Fotografin, weil man nicht wisse, wie sich die Situation weiterentwickle. „Aber wir blicken recht zuversichtlich in die kommende Saison.„Wir können sehr dankbar sein, hier auf der Insel zu leben“, sagt Klaus Furtmeier, der seine Pläne, zurück auf das Festland zu ziehen, längst aufgegeben hat. Seine Frau ergänzt: „Wir haben auf ‚unserer Insel‘ nichts auszustehen.“ Das sehen viele ähnlich, aber nicht alle. „Viele fühlen sich ein bisschen eingesperrt“, sagt Bürgermeister Singer. Aber immerhin habe die Logistik immer gut funktioniert.
Auch wenn das Schiff manchmal nicht kommt, wenn der Wind zu stark ist und die Wellen zu hoch sind, habe die Versorgung selbst im Lockdown immer gut geklappt. Hamsterkäufe oder leere Klopapierregale? Gab es auf der Insel auch im Frühjahr nicht, sagt der Bürgermeister. „Alle waren auf Ostern vorbereitet, da waren die Lager voll.“ Das sei sogar so weit gegangen, dass Helgoländer Klopapier an ihre Verwandten auf dem Festland schickten, als das dort ein rares Gut war.
Im Insel-Markt sind die Regale nach wie vor gut gefüllt
Beim Edeka Insel-Markt jedenfalls sind die Regale gut gefüllt, in der Obst- und Gemüseabteilung ist das Angebot keineswegs schlechter als in der Großstadt. Auch bei Titus Oswald, Inhaber eines Geschäftes am Lung Wai, das vorwiegend hochwertige Spirtuosen und Parfums, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs wie Softdrinks oder Süßwaren verkauft, gibt es keine leeren Regalfächer.
Auf die Frage, wie die Geschäfte laufen, rollt er nur die Augen. „Es lohnt sich nicht, aufzusperren“, sagt er, „aber wir sind Teil der Nahversorgung, deshalb dürfen wir auch öffnen.“ Und es gebe ja noch den Onlineshop, und der laufe gut. Der Mindestbestellwert beträgt 10 Euro, ab 145 Euro ist der Versand innerhalb Deutschlands für den Besteller kostenlos. Das werde genutzt, sagt Oswald – und reicht eine kleine Karte über das Kassenband: „Die in unserem Shop angebotenen Waren werden von uns für Sie verzollt und versteuert geliefert“, steht da unter der Internetadresse.
Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt seien für das Tagesgeschäft mit den Urlaubern ausgefallen, die Saison 2020 den Umständen entsprechend gelaufen. Und was erwartet er für dieses Jahr? „Ich hoffe, dass es an diesem Ostern wieder normal wird“, sagt Titus Oswald.
Karin Heiland mag darauf noch nicht wirklich hoffen. Die 41-Jährige und ihr Mann betreiben die Hotels Zum Hamburger und Haus Meeresblick sowie die Restaurants Zum Hamburger und Isola Bella auf dem Falm im Oberland. Das Restaurant mit der deutschen Küche hatten sie im vergangenen Jahr gar nicht erst aufgesperrt, sondern italienische Küche in beiden Häusern sowie auf den Terrassen mit Meerblick serviert. Durch die Abstandsregeln und die Personalsituation war das mit nur einer kulinarischen Ausrichtung einfacher zu handhaben.
Für die wenigen Dienstreisenden, die zurzeit auf die Insel kommen, ist Heiland eine wahre Heilsbringerin, denn ihr Hotel Zum Hamburger ist so ziemlich das einzige, das derzeit geöffnet hat. Die Helgoländerin, deren Großeltern schon ein Hotel auf der Insel betrieben, ist froh, dass wenigstens gelegentlich ein wenig Geld in die Kasse kommt. Denn Urlauber, die schon gebucht haben, seien verschreckt. Viele haben storniert, und denen muss Heiland die Anzahlungen zurückerstatten. „Das Kurzarbeitergeld für November ist jetzt im Januar gezahlt worden“, sagt die Chefin. Sie musste es vorstrecken.
„Am Anfang der Krise war ich wirklich verunsichert. Die Winter sind manchmal schwierig, aber ich hatte da zum ersten Mal einen Punkt, an dem ich dachte, schaffen wir das?“, sagt die Mutter eines sechsjährigen Jungen. Als schließlich Helgoland wieder für Touristen geöffnet wurde, seien das gute Zeiten gewesen. „Die meisten Gäste haben sich gut an die Hygienevorschriften gehalten“, sagt die gelernte Fachinformatikerin, die während der Pandemie viel im Service mitgearbeitet hat. Jede Menge Büroarbeit – ihr Part – sei deshalb liegen geblieben, deshalb könne sie noch nicht sagen, wie die Saison 2020 für ihre Betriebe wirklich gelaufen sei, sagt Karin Heiland.
Eines weiß sie aber: „Was wir durch das Frühjahr verloren haben, konnten wir im Sommer nicht aufholen. Man kann ein Bett in der Hochsaison nur einmal vermieten, das holt den April und Mai nicht raus.“ Sie habe im Sommer keine Kurzzeitbuchungen angenommen und zwischen den Buchungen vorsichtshalber jeweils einen Karenztag eingeplant, damit die Zimmer gut geputzt und desinfiziert werden konnten. Damals war die Schmierinfektion noch als sehr gefährlich angesehen worden.
Der zweite Lockdown im Herbst habe sie nicht überrascht: „Weihnachten und Silvester haben wir deshalb gar nicht groß geplant“, sagt Heiland. Trotzdem hatte sie das Haus dekoriert, denn der Logopäde, der regelmäßig auf die Insel kommt und dann Hausgast ist, sollte es schön haben. Ebenso die Passanten, die an den großen Fenstern der beiden Restaurants vorbeiflanieren. Nun steht die Kiste mit der abgeräumten Weihnachtsdekoration neben der mit den Osterhasen auf einem Nebentisch. Sie symbolisieren die Hoffnung auf die neue Saison.
Karin Heiland übt sich immer wieder in Zuversicht
Karin Heiland vergleicht ihre Gefühlslage in der Pandemie mit jener in der lange zurückliegenden Pubertät: „Ich hatte seither nie wieder solche Stimmungsschwankungen.“ Mal tief unten, dann wieder hoffnungsfroh. „Das zehrt an der Substanz.“
Die Helgoländerin übt sich dennoch immer wieder in Zuversicht: „Es trudeln schon die ersten Anfragen für den Sommer ein“, sagt Karin Heiland. „Sobald die Insel geöffnet wird, werden Gäste kommen. Es gibt viele, die darauf warten, dass sie kommen können.“ Bis dahin will sie weiter Zimmer an Dienstreisende vermieten, aber ihre Restaurants bleiben bis auf Weiteres geschlossen. Sie will auch künftig kein Essen zum Mitnehmen anbieten. „Der Kuchen wird ja nicht größer“, sagt sie. Denn auch die wenigen, die so ein Angebot machen, sind nicht ausgelastet.
Am Abend ist Helgoland in eine tiefe Dunkelheit getaucht, die Straßenlaternen sind im Oberland nicht sehr zahlreich, aber es sind hier ohnehin noch weniger Menschen unterwegs als tagsüber. Ein paar Männer in Arbeitskleidung holen sich noch schnell etwas aus dem Supermarkt, und auch die Stunde des Restaurants Zum Freibeuter Störtebeker schlägt erst abends. Die etwa 60 Sitzplätze im Inneren sind verwaist, aber es gibt dienstags bis sonntags einen Bestellservice mit Abholung. Zusätzlich zum Tagesgericht (Nudeln mit Rinderspitzen) stehen Burger, Steak, Salat und belegte Baguettes auf der Karte. „Es läuft eher schleppend“, sagt Wencke Althoff, als sie die Tüte mit den Nudeln über die Absperrung reicht. Sogar im Sommer hätten sie erst um 17 Uhr geöffnet, weil viele Tagesgäste gar nicht erst bis ins Oberland gekommen seien, sagt die Restaurantmitarbeiterin.
Die Helgoländer, die schon immer damit leben mussten, dass Umstände, die sie nicht beeinflussen können, dafür sorgen, ob und wie viele Gäste auf die Insel kommen, tragen die Einschränkungen durch die Pandemie größtenteils klaglos mit. Üblicherweise ist es die Witterung, die ihnen mal das Geschäft verhagelt, diesmal ist es Pandemie. Die Insel lebt zu 70 Prozent vom Tourismus.
Trotzdem scheint das Einsehen in die Notwendigkeit der Kontaktbeschränkungen groß zu sein. „Über 80 Prozent haben uns immer wieder signalisiert, dass sie Verständnis haben“, sagt Bürgermeister Singer, trotz der Einbußen. „Wir hatten im vergangenen Jahr nur 60 Prozent der Anreisezahlen und einen Einbruch von 25 Prozent bei den Übernachtungen“, so Singer. Im September habe die Insel allerdings so viele Urlauber gehabt wie noch nie zuvor.
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Die Gemeinde hat unterdessen schicke neue Häuser in Modulbauweise mit 70 Wohnungen in der Nähe des Leuchtturms gebaut – zu Mietpreisen von 8,50 Euro pro Quadratmeter. Da es keine Bahnverbindung zur Insel gebe und somit keine Pendler zur Arbeit kommen können, sei es wichtig, bezahlbare Wohnungen anbieten zu können, sagt der Bürgermeister. Am Invasorenpfad, gegenüber der Klinik, sollen weitere 13 Sozialwohnungen entstehen. 40 Millionen habe man auf der Insel investiert, sagt Singer stolz. In diesem Jahr sollen in der Gemeinde, die mit 180 Beschäftigten ein wichtiger Arbeitgeber ist, die Plätze der Insel neu gestaltet werden. Und auch viele Helgoländer Hoteliers hätten die Zeit genutzt und renoviert, sagt der Bürgermeister. Bis zum geplanten Saisonstart am 1. April bleibt noch ein wenig Zeit. Und dann macht hoffentlich auch das Wetter weniger Kapriolen.
Am nächsten Morgen geht die Sonne auf und der Himmel wird blau. Es scheint wieder ein herrlicher Wintertag zu werden. Doch was weiß man schon als unerfahrene Landratte? Das Schiff aus Cuxhaven wird an diesem Tag nicht kommen. Kurz vor 9 Uhr kommt der Anruf der Fluggesellschaft OFD (Ostfriesischer-Flug-Dienst GmbH). Der Flug – er kostet 133,50 Euro pro Richtung – muss von 15.25 Uhr auf 12 Uhr vorverlegt werden. Der Grund: Die Dünenfähre stellt um 13 Uhr den Dienst ein, weil dann die Wellen zu hoch sein werden.
Mit Rückenwind dauert der Flug nur 13 Minuten
Henning Martens bringt das nicht aus der Ruhe. Als das Gepäck verladen ist, wendet der Pilot einmal kurz den Kopf nach hinten zu den fünf Passagieren und sagt: „Wenn jemandem schlecht wird, bitte die Maske abnehmen, nicht dass einer blau anläuft.“
Wenig später rollt er auf die nur 480 Meter lange Start-und-Landebahn und zieht die Britten Norman Islander in die Luft. Der Rückenwind verkürzt die Flugzeit von 20 auf 13 Minuten. Die Spuktüten bleiben in den Taschen der Vordersitze und alle Masken da, wo sie hingehören. Wieder festen Boden unter Füßen, wird einem bewusst, wie viel gelassener Insulaner mit vielem umgehen. Selbst in der Pandemie.