Berlin (dpa/tmn). Klassische Badeferien am Mittelmeer mit Flug und All-inclusive: Das ist ein Musterbeispiel für Pauschalurlaub. Doch die abgesicherte Reiseform verändert sich - beschleunigt durch neue Tools.
Charterflug, Flughafentransfer, Hotel: So sieht der Pauschalreise-Klassiker aus. Doch die Reiseform ist im Wandel – sie kann heute immer individueller zusammengestellt werden: Ausflüge kommen hinzu, statt im Charterflieger werden Urlauber oft auf Linienflüge gebucht, was etwa die Möglichkeiten bei Flughäfen und Flugzeiten vergrößert - und auch Reisen jenseits des klassischen Wochenrhythmus erlaubt.
Reisende legen darauf wert: „Die Individualisierung von Pauschalreisen wird immer stärker nachgefragt“, sagt Annika Hunkemöller vom Portal „Urlaubsguru.de“. Garantiertes Zimmer mit Meerblick, mehr Beinfreiheit im Flieger, Privattransfer statt Sammelbus vom Airport zum Hotel, den Mietwagen gleich dazu? Alles schon möglich.
Und es geht noch mehr. Ingo Burmester, Zentraleuropachef der Dertour Group, erklärte im November 23: „Eine Pauschalreise kann heute genauso individuell sein wie eine Rucksackreise – kombiniert mit dem guten Gefühl, immer eine Ansprechperson zu haben, wenn ich es möchte oder auch mal brauche.“ Bei aller Individualisierung bleibt der Vorteil der Absicherung, die Urlauber bei Pauschalreisen haben. Die Rucksackreisen-These ist zwar etwas steil, aber die Richtung ist klar.
Technik macht immer mehr möglich
Getrieben wird diese Entwicklung von immer umfassenderen Datenbanken und Buchungsplattformen, hinter denen ausgeklügelte Software und – natürlich – immer ausgereiftere Künstliche Intelligenz steckt. So können die unterschiedlichen Wünsche der Urlauber individuell und flexibel kombiniert werden, heißt es von der Anex Gruppe mit Marken wie Neckermann Reisen und Öger Tours.
Ein Haken bei stark individualisierten Reisen laut Fachzeitschrift „fvw“: Viele Bestandteile ergeben viele potenzielle Probleme. Ein ausgefallener Flug, eine geschlossene Grenze oder eine nicht verfügbare Attraktion gefährden alle folgenden Reiseteile. Sie müssten dann geprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
„Darauf muss man als Veranstalter individueller Reisen sein Service-Level ausrichten, das muss gewährleistet sein“, sagt Aquilin Schömig, der Chef des ADAC-Reisevertriebs, dem Fachblatt. Denn wenn ein Veranstalter einen individuellen Trip als Pauschalreisepaket zusammenschnürt, muss er für diesen auch den entsprechenden Schutz bieten.
Noch machen die individuellen Paketreisen zwar nur einen Bruchteil des Reisevertriebsumsatzes aus, doch das Potenzial ist laut „fvw“ immens. Auch, weil sich mit mehr Bausteinen und Zusatzleistungen mehr Geld verdienen lässt.
Und für Reisende wiederum, die etwa bei Streiks oder Naturkatastrophen rechtlich schlechter gestellt sind, wenn sie Flüge, Hotels und Co. einzeln selbst gebucht haben, ist es attraktiv, wenn die Pauschalreisen immer individualisierbarer werden.
Die Entwicklung der Pauschalreise
Früher ging Pauschalreise so: Die Veranstalter kauften Flüge ein, legten sie ins Regal, erklärt Reisevertriebsexperte Michael Buller. Dann kauften sie Hotelkapazitäten ein und legten auch die ins Regal. Beides wurde zusammen gebündelt und verkauft – die Auswahl an Flugzeiten war begrenzt, die Reiselänge oft kaum flexibel.
Dann kam das dynamische Paketieren auf, was in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen hat, wie Buller sagt. Vereinfacht bedeutet das: Die Pauschalreise wird zum Zeitpunkt der Buchung aus dem zusammengestellt, was der Markt an Angeboten hergibt - und auch zu den jeweils tagesaktuell gültigen Flug- und Hotelpreisen. Die so genannten X-Veranstalter haben, um im eben gezeichneten Bild zu bleiben, kaum eigene Regale, auf die sie zugreifen.
Online-Reisebüros, in der Reisebranche OTAs genannt, wie Expedia oder Urlaubsguru sind ebenso wie X-Veranstalter, die im Verhältnis weniger eigene Produkte im Angebot haben, im dynamischen Zusammenstellen von Reisen im Vorteil.
Klassische Veranstalter sind zwar mittlerweile an solche Datenbanken angeschlossen und paketieren ihren Reisen teils auch dynamisch. Aber sie haben eben auch ihre eigenen Hotels und gecharterten Flieger, die sie in der Regel zuerst füllen.
Große Datenbanken mit unzähligen Optionen
Heute greifen die Fachleute im Reisebüro bei Wünschen ihrer Kunden ebenso wie große Online-Reiseportale bei Suchanfragen ihrer Nutzer auf riesige Pauschalreise-Datenbanken zurück, etwa von Anbietern wie Amadeus, Traffics oder Peakwork.
Man kann sich das vorstellen wie ein einziges, riesiges Lager: Hotelzimmer, Flüge, Zugtickets, Busfahrscheine, Transfers, zunehmend auch Extras wie Ausflüge – aus alldem kann man Reisen zusammenstellen. Und zwar unmittelbar an Ort und Stelle, ohne tagelange Anfragen an Agenturen vor Ort.
Die Datenmengen sind immens: „Wir haben in den Pauschalreise-Datenbanken schätzungsweise 200 Milliarden Produkte“, sagt Michael Buller. Daraus ergeben sich unzählige Kombinationsmöglichkeiten. Doch die Dynamik birgt auch Probleme: Manchmal werden Flüge etwa noch als verfügbar angezeigt, obwohl sie schon ausgebucht sind. Mindestens zweimal täglich werde alles geupdatet, sagt Buller. Aber die Herausforderung, die Datenbanken aktuell zu halten, sei riesig.
Ausflüge schon bei der Buchung kaufen
Was zuletzt vermehrt Einzug hält in die Reisepakete, sind Ausflüge. Die Schwierigkeit lag in dem Bereich darin, dass die Digitalisierung lange schleppend verlief – es fehlte vor allem an verbindlichen Buchungsoptionen. Anbieter wie „Getyourguide“ haben viel geändert, so Buller. Dort sind auf der ganzen Welt vorab Ausflüge und Führungen digital buchbar.
Bisher kauft man Ausflüge in der Regel vor Ort, etwa bei der Reiseleitung. Doch das ist vielen zu spät: „Unsere Daten zeigen, dass das Interesse, schon vor Reisebeginn Ausflüge im Urlaub zu buchen, in den letzten Jahren deutlich steigt“, sagt Urlaubsguru-Sprecherin Hunkemüller. Dort mache man die Buchung von individuellen Erlebnissen deshalb an unterschiedlichen Schnittstellen möglich.
Es gibt auch Spezialanbieter, die etwa auf Basis eines Events Reisepakete schnüren. Zum Beispiel für ein Konzert oder Musical, zu dem sie das passende Hotel und den Flug oder die Zugfahrt gleich mit verkaufen. Ein Ansatz, den etwa das Start-up Ygo Trips verfolgt. Und auch die Ticketverkaufsplattform Eventim strebt mit eventim-travel auf diesen Markt.
Wohin die Entwicklung geht
Für Reiseforscher Martin Lohmann ist die Individualisierung der Pauschalreise ein Prozess, der seit 20 Jahren läuft und stetig zunimmt – in Zeiten, in denen Reisewillige Flüge, Hotels und Ausflüge problemlos online finden und, auch dank immer besserer KI, das maßgeschneiderte Zusammenstellen von Trips immer leichter wird, ist das eine Frage der Existenzsicherung.
Lohmann sagt: „Diese Individualisierung ist ein Grund, warum Reiseveranstalter weiterhin eine wichtige Rolle spielen – und die Pauschalreisen auch.“
Und ja, Tools auf Basis von generativer Künstlicher Intelligenz werden das Finden passender Urlaubsreisen verändern und vereinfachen, auch daheim am eigenen Rechner.
Die Reisesuchmaschine Kayak etwa plant die Einführung eines Chatfelds, in das man seine Wünsche bei Hotel, Flug und Co. einfach eingeben kann. Unzählige Filter auswählen und in vielen Unterkategorien Häkchen setzen – das entfällt. Die Reisesuche wird damit intuitiver. Buchungsportale und auch Veranstalter entwickeln ebenfalls Chatbots als Alternative für umständliche Eingabemasken auf ihren Websites.
Was die Frage aufwirft: Ersetzt all das am Ende nicht das Reisebüro? Die Branche verneint das vehement und betont eher die Chancen von KI. Und selbst bei Kayak, die durchaus als befangen in dieser Frage gelten dürfen, glaubt man das nicht.
„Es wird immer Menschen geben, die gerne den Komfort hätten, dass sie nicht selbst den ganzen Abend vor dem Computer sitzen, um ihre Reise zu buchen, sondern das lieber an jemanden auslagern“, sagt Matthias Keller, leitender Wissenschaftler bei Kayak.
Und gerade auch bei besonderen Urlaubsplänen, einer Safari etwa, haben Reisebüros weiterhin große Relevanz und auch einen Vorteil, so Keller. „Da möchte ich vielleicht mit jemandem reden, der sich darin gut auskennt und womöglich selbst schon mal so etwas gemacht hat.“