Innsbruck/Bozen/Gardasee. Bei einer Alpenquerung der cooleren Art geht es in vier Tagen mit E-Mountainbikes von Natters bis zum Gardasee.

Der Picco ist ein Urviech. Kaum größer als ein Geräteturner, zerzauste blonde Haare, ein Brustkorb wie Asterix nach einem Schluck Zaubertrank – und ein Gesicht, das die Alpen als klassisches Faltengebirge verblüffend gut widerspiegelt. So sieht halt ein Tiroler Naturbursche aus.

Er ist Geologe, Bergführer, Kraxel-Experte – und seit Langem Mountainbiker. In Piccos Ausweis steht Christian Piccolruaz. Doch was zählen reale Namen, wenn er die siebenköpfige Gruppe auf Fahrrädern mit dicken Profilreifen von Natters bei Innsbruck über alle Berge zum Gardasee treibt? Picco immer vorneweg, das Handy mit der GPS-Navigation griffbereit. Die Meute strampelt konzentriert hinterher.

Anders als bei gewöhnlichen Gruppenreisen kann man hier nicht im Pulk Windschatten fahren und – das Panorama vor Augen – vom Alm-Idyll träumen. Bei dieser Tour geht es über Feldwege, durch felsige Schluchten, Wald-Trails, Schotterpisten. Hoch auf 2200, 2300 Meter, wo kein Baum mehr steht. Runter ins Tal, wo die stinkenden Alpenüberquerer über die Brennerautobahn brettern.

Unser Guide Picco am Lago di Molveno im Trentino
Unser Guide Picco am Lago di Molveno im Trentino © ryb

Erneut in Serpentinen hoch, dann wieder eine Schussfahrt mit Schüttelfaktor zehn. Das ist bergab zum Teil lebensgefährlich, wenn man nicht jede Sekunde wachsam bleibt. Die Körperstoffe, die hier ausgeschüttet werden, heißen Testosteron, Adrenalin, Endorphin. Gefühlt: literweise.

Zwischenstopp im Hotel: Komfort für müde Beine

Was vom Haaransatz unterm Helm langsam in die Augen rinnt, ist ordinärer salziger Angstschweiß. Ein ungewollter Abstieg vom Rad kann schwerwiegende Folgen haben. Picco sagt: „Masse mal Geschwindigkeit im Quadrat, geteilt durch zwei. Mit dieser Wucht zerlegt es euch dann.“ Später mal nachrechnen. Für Zahlenakrobatik ist jetzt keine Zeit.

Unsere viertägige Querfeldeintour über den Alpenhauptkamm hat einen eingebauten Turbo: Die 5000 Euro teuren, 25 Kilo schweren Mountainbikes haben einen kaum sichtbaren Elektromotor. Nur der massige Viereinhalb-Kilo-Akku zeugt vom E-Bike.

Man muss die Gänge vorausschauend schalten, kräftig in die Pedale treten. Schalten, treten, treten, schalten – je nach Berg- oder Talfahrt. Mit dem Hebel am linken Lenkergriff legt man Eco-, Trail- oder Turbo-Gang ein. Der Motor schiebt das Rad bei jedem Tritt wie von Geisterhand immer ein Stückchen weiter. Bergauf legt man sich über den Lenker nach vorne, damit sich das Zweiradungetüm nicht aufbäumt. Bergab wird der Motor bei 25 km/h abgeregelt oder abgeschaltet. Trotzdem erreicht man leicht Tempo 50 oder 60.

"Stubai statt Dubai"

In kalt-feuchter Bergluft wälzt sich Piccos Schicksalsgemeinschaft die ersten Hügel hoch. Grün und saftig sind die Wiesen im Stubaital. Hier sind auch Wanderer und Walker unterwegs. Mit Stöcken im Taktschwung, scheinen sie den Slogan des hiesigen Nachhaltigkeitstourismus vor sich her zu rappen: „Stubai statt Dubai! Stubai statt Dubai!“

An der Spitze der E-Mountainbiker trommelt Picco bei jeder der zahlreichen Pausen einen Lehrsatz in die Gruppe. Er spricht Tirenglisch, eine mitteleuropaweit verstandene Mischung aus Tiroler Singsang und BBC-Englisch. „Wenn’s eure skills improven wollt, dann bildet’s einen Kraftkreis aus Armen, Lenker und Brust. Macht’s die Ellenbogen breit.“ Dann kann man die Strecke richtig „runterpfetzen“. Aber aufpassen, dass man keinen „Batschen“ fängt, einen Platten. Picco zeigt, wie man die „obstacles“ umkurvt oder überspringt, wie man „flowig“ fährt.

Jeden Morgen wird die Tour besprochen, die Anstiege und Abfahrten. Die Panorama-Karte liegt am Boden, fixiert von Bananen, Äpfeln, eben alles, was so da ist
Jeden Morgen wird die Tour besprochen, die Anstiege und Abfahrten. Die Panorama-Karte liegt am Boden, fixiert von Bananen, Äpfeln, eben alles, was so da ist © ryb

Über schlammtiefen, spitzsteinigen oder staubigen Boden geht es zur Ochsenalm und über Maria Waldrast ins Wipptal. Je näher wir dem Tal kommen, desto asphaltiger werden die Wege. Das beschleunigt den Tross. In Trins ist das Hotel Zita ein so ordentlicher Gasthof wie am Folgetag das Alpinhotel Gudrun in Gossensaß.

Grandioses Panaroma am Brenner Grenzkamm

Dunkles Holz am Giebel, helles für Boden und Türen. Gestärkte weiße Tischdecken, Kraftbrühe, braune Soße. Der Girlanerhof in Eppan/Süd- ­tirol und die Villa Stella in Torbole am Gardasee bieten später noch größeren Komfort für müde Beine. Am Abend wartet am Parkplatz unser Fahrer mit dem großen Gepäck und den kosmetischen Mittelchen.

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Die Transalptour führt an Tag zwei den ehrfurchterregenden Sattelberg (2100 Meter) hoch zum Brenner Grenzkamm. Ein grandioses Panorama öffnet sich unter dem Wolkenhimmel. Die berühmten Alpengipfel scheinen zum Greifen nah, die Dolomiten in Sicht. Die Luft ist dünn. Hier rotten Weltkriegsbunker vor sich hin, die Mountainbikern bei Regen als Unterschlupf dienen. Bei der Abfahrt bloß nicht in den Abgrund schauen. Denn Picco weiß: „Das Bike folgt dem Blick!“

Transalp: Hannibal, Goethe, Giro d'Italia

Vom ehemaligen Transitort Gossensaß bleibt nur das gewaltige Autobahnviadukt haften, das sich kilometerweit über das Tal spannt. Aber dieses verschlafene Südtiroler Kaff weckt Erinnerungen an alle, für die das, was heute lässig Transalp oder Crossalp heißt, eine mythische Herausforderung war. Feldherr Hannibal soll sich im Jahr 218 vor Christus auf dem Weg zum Todfeind Rom mit 37 Elefanten über die Berge gequält haben. Goethe lustwandelte hier auf seiner Italienreise gen Süden. Möglicherweise mit Unterstützung der einen oder anderen Kutsche. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg dominierten der Eroberungs-, Verteidigungs- und Befreiungsdrang das Gebirge.

Die Rennfahrer von Giro d’Italia und Tour de France führen am Rande des Wettbewerbs immer wieder die Anmut der Alpenrouten vor. Aber das war eine "Er-Fahrung" nur für eine bis an die Kante trainierte Elite. Erst das E-Mountainbike demokratisiert dieses Abenteuer. Es entschleunigt die Überflieger und beschleunigt die Genießer. In wenigen Tagen sind 200, 300 Kilometer Distanz und Tausende Höhenmeter von Durchschnittspedaleuren zu meistern.

Südtirol – die wohl schönste Wohlfühlregion

Wenn man denn so einen Guide hat wie Picco. An Tag drei führt der Weg aus dem trostlosen Transittal hinauf zum fantastischen Sonnenplateau auf den Ritten. Über Oberbozen lacht die Sonne. Am Endpunkt der Seilbahn wartet auf die, die herunterrasen werden, der letzte Cappuccino vor der grünen Hölle. Jetzt geht’s rein in die Hitze einer der attraktivsten Wohlfühlregionen Europas. Eine von Bergen umsäumte sattgrüne Landschaft voller Weinreben, Apfelplantagen und Bilderbuchdörfer.

In Südtirol oberhalb von Bozen
In Südtirol oberhalb von Bozen © ryb

Sie heißen Eppan, Girlan oder Lana, der wohl schönste Flecken Südtirols etwas weiter in Richtung Meran. In der Nähe des Kalterer Sees schlug Franz Beckenbauer mit dem späteren Fußballweltmeisterteam 1990 sein Trainingslager auf. Bundestrainer Joachim Löw tat es ihm vor dem Titelgewinn 2014 gleich.

Mit diesem Spirit (früher: Geist) spurten „Piccos Sieben“ an Tag vier nach Andalo hoch. Im Winter ist das ein mondäner Skiort. Hier wird’s jetzt ruppig. Weg von der Straße, hinein in die Wälder: über wuchtige Wurzeln, schmale, felsige Trails, waghalsig an Wanderern vorbei. Hoch und runter, um enge Kurven zum Lago di Molveno. Unfassbar grün schimmert der Bergsee vor sich hin.

Gefährlicher Temporausch bei der Abfahrt zum Gardasee

Wofür Querfeldeinläufer zwei, drei Stunden brauchen, da brausen wir in der halben Zeit den letzten Gipfel über Schotterpisten hoch. Der Ausblick Richtung Gardasee ist atemberaubend. Hat diese Höhenluft einst auch Goethe zu seiner hemmungslosen Italienschwärmerei verführt? Liegt vor uns Arkadien, das Himmelreich auf Erden? Die Heimat anstrengungslosen Wohlstands?

Ein Badesee in der Nähe von Eppan in Südtirol unweit des Kalterer Sees
Ein Badesee in der Nähe von Eppan in Südtirol unweit des Kalterer Sees © ryb

Die Abfahrt zum Lago di Toblino erdet die Gruppe. Wer im Temporausch die Hand von der Bremse nimmt und nicht immer wieder beherzt an den Hebeln zieht, der verschmäht sträflich die Rettungsleine des Radfahrens am Berg. Die mehrere Hundert Euro teuren Bremsscheiben glühen und verfärben sich braun oder regenbogenartig. Erst der Fahrtwind in der Ebene und das zügige Strampeln auf einem der schönsten Radwege Italiens kühlt die Technik wieder auf volles Funktionsniveau.

Dro (Drau) rauscht vorbei, die Palmen vor dem Kirchenportal künden von Dolce Vita. Der Luftkurort Arco bietet einen letzten Rückblick auf die Berge der Brenta. Mountainbiking ist hier Teil der menschlichen DNA geworden. Jeder scheint auf zwei Rädern unterwegs. Mit der E-Variante fühlt man sich bisweilen als Betrüger. „Ist doch sicher Ökostrom“, sagt Picco. Am Ziel in Torbole zählen ohnehin nur noch Wasser- und Windkraft. Der Gardasee schluckt eine erschöpfte Strampeltruppe. Beim Schwimmen und Surfen entspannen Po und Beine. So ist Transalp ‘ne coole Sache. Wann fahren wir wieder?

Per E-Mountainbike über die Alpen

Die Transalp-Tour von ASI-Reisen mit dem E-Mountainbike führt von Natters bei Innsbruck über den Brenner Grenzkamm nach Torbole am Gardasee. Je nach Route kostet diese oder eine ähnliche Tour pro Person 1245 Euro inklusive acht Übernachtungen und Mahlzeiten. Mindestens sechs Teilnehmer sollten eine Gruppe bilden, die von einem erfahrenen Guide begleitet wird. Zu jeder Tour gehört eine umfangreiche Einweisung. Radfahrkleidung und Helm müssen mitgebracht werden.

Die E-Mountainbikes werden gestellt. Ein Ersatz-Akku (rund vier Kilo schwer) muss in jeden Radlerrucksack. Großes Gepäck wird zu den jeweiligen Etappen-Hotels oder Gasthöfen transportiert. Das beste Magazin mit allen Infos über E-Mountainbikes gibt es im Internet unter www.ebike-mtb.com

Diese Reise wurde unterstützt von der AlpinSchule Innsbruck