Vor 25 Jahren marschierten Abenteurer Arved Fuchs und Bergsteiger Reinhold Messner zum Südpol. Fuchs war nun der erste Mensch, der beide Pole binnen eines Jahres zu Fuß erreichte.
Heiligabend liegen „nur“ noch 180 Kilometer vor ihnen. Mehr als 800 haben sie bereits geschafft, die meisten davon eine ziemliche Schinderei. Jetzt, auf mehr als 2000 Höhenmetern, macht ihnen der niedrige Luftdruck immer schwerer zu schaffen. Und auch die Kälte wird schärfer – 30 Grad unter Null bei einem beißenden Wind, sodass die Nasenspitze erfriert. Zu allem Überfluss beginnen die Skibindungen zu brechen. Sechs Tage müssen sie noch durchhalten. Sechs Tage von 48. Als sie endlich am Ziel ankommen, ist es Mitternacht – und die Sonne strahlt.
Man schreibt den 30. Dezember 1989, als der Abenteurer Arved Fuchs, 36, aus Bad Bramstedt und der Bergsteiger Reinhold Messner, 45, aus Südtirol nach einem Fußmarsch von mehr als 1000 Kilometern den Südpol erreichen. Der Jubel in der Amundsen-Scott-Station kennt keine Grenzen, die Mitarbeiter bilden ein Spalier bis zum „Nagel“, der den Pol markiert. Fotoapparate klicken, Kameras surren. Man applaudiert einer Leistung, die niemand für möglich gehalten hat. Aber erst vier Tage später, am 3. Januar 1990, gelangt die Nachricht aus dem ewigen Eis in die gut beheizten deutschen Redaktionsstuben. Dabei geht ein Rekord, den Arved Fuchs ganz für sich allein reklamieren kann, zunächst unter: Denn nach seinem Marsch im Frühling zum Nordpol ist er jetzt der erste Mensch, der sich binnen eines Jahres beide Pole zu Fuß erarbeitet hat.
Wenngleich andere das inzwischen auch geschafft haben, ist es für Arved Fuchs immer noch „ein Highlight“ unter seinen zahllosen Expeditionen. Die Antarktis sei so unberechenbar. „Da macht man Grenzerfahrungen, die man nicht trainieren und auch nicht simulieren kann“, sagt der 61 Jahre alte Abenteurer. Aber nicht nur die Gefahren haben Eindrücke fürs Leben hinterlassen. „Dieses gigantische Naturerlebnis, diese ungeheure Weite: Ich fühle mich da keineswegs einsam, sondern als Teil dieser Natur“, schwärmt Fuchs, um dann nachdenklich hinzuzufügen: „Aber rational erklären kann man das nicht.“
Das Unternehmen Südpol war wegen technischer Pannen und schlechten Wetters erst mit fast dreiwöchiger Verspätung gestartet. Dabei war Eile geboten, denn die beiden Männer wollten ja noch weit über den geografischen Südpol hinaus bis zur McMurdo-Bucht auf der anderen Seite der Arktis. Die berechnete Gesamtdistanz beträgt 3400 Kilometer, und dafür bleiben ihnen nur die drei Monate des antarktischen Sommers.
Was sie für die ersten 40 Tage bis zu einem aus der Luft versorgten Depot brauchen, ziehen sie auf Schlitten, die anfangs 130 Kilo wiegen. Immer wieder gibt es Unstimmigkeiten über den Marschrhythmus. Messner ist der Ungeduldigere, Fuchs der Erfahrenere auf solchen Distanzen. Er will sich die Kräfte von Beginn an gut einteilen. Dafür bekommt der Deutsche bald schmerzhafte Probleme mit seinen Stiefeln.
Als sie mal wieder Funkkontakt haben, erreicht sie eine verwirrende Nachricht aus Deutschland: Die Grenzen der DDR seien offen. „Sie können sich keinen Reim darauf machen. Sie leben hier in einer anderen Welt“, schreibt später Fuchs’ Biograf Bernhard-Michael Domberg.
An der Südpol-Station dürfen sie zum ersten Mal nach 50 Tagen duschen. Und sie lesen, was sich in Osteuropa derweil abgespielt hat. Fuchs vertraut seinem Tagebuch an: „Der Zug der Geschichte fährt an mir vorbei, und ich stehe ein wenig albern und hilflos hier am Südpol mit einem Apfel in der Hand.“ Auf andere Art berührt ihn, was er im „Spiegel“ über ihre laufende Expedition lesen muss. Der Tenor: „Messner, der Held, Fuchs, der Loser“. Er hatte dem Südtiroler die Pressearbeit für ihr Unternehmen überlassen, und Messner stand in regelmäßigem Kontakt mit einem befreundeten „Spiegel“-Redakteur.
Doch Fuchs weiß auch, dass beide auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind, dass sie sich Misstrauen gegeneinander nicht erlauben können. Nach drei Tagen geht der Höllentrip weiter, durch endlose Weiten ohne Baum und Strauch, in denen das Auge Mühe hat, Fixpunkte zu finden. Sie müssen rauf auf ein 3300 Meter hohes Plateau, erleben einen Sturm, der ihr Zelt sogar von innen vereisen lässt, stürzen, ziehen sich schwere Prellungen zu und überwinden Abgründe auf Schneebrücken, ohne zu wissen, ob die ihr Gewicht überhaupt tragen.
Am 12. Februar 1990, um 13.45 Uhr sind sie am zweiten Ziel. Es ist der 92. Tag seit ihrem Start auf der anderen Seite der Antarktis. Mehr als 30 Kilometer haben sie sich durchschnittlich pro Tag vorangequält. Wie die beiden Männer das geschafft haben, ist nicht nur Medizinern ein Rätsel.
Arved Fuchs und Reinhold Messner hatten übrigens seit Beendigung dieser Expedition nie wieder Kontakt.