Die Great Ocean Road ist Teil einer Erlebnisroute im südlichen Australien. Wer in Melbourne startet, sollte sich Zeit nehmen für Küste, Kurven und Koalas.
Es gibt Straßen, die zum Fahren allein viel zu schön sind. Der Highway No. 1 in Kalifornien ist so eine, der Chapman’s Peak Drive in Südafrika, die Amalfitana in Italien oder der Ring of Kerry in Irland. Hier stimmt die Floskel vom Weg, der das Ziel ist. Denn tatsächlich haben sich diese Routen den Ruf verdient, internationale Sehenswürdigkeiten, wenn nicht gar Reiseziele von Weltrang zu sein.
Auch in Australien findet sich – mindestens – eine solche Straße. Es ist die Great Ocean Road im Bundesstaat Victoria, die man als Rundkurs ab Melbourne ansteuert oder als Teilstrecke nutzt, um danach weiter Richtung Adelaide in South Australia zu fahren. Sie ist 243 Kilometer lang und wurde ab 1919 von Tausenden aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrten Soldaten an der Küste in den Fels gehauen. Erst 1932 war die Strecke fertig, seit 2011 zählt sie offiziell zu den nationalen Denkmälern des Landes.
Altona in Australien ist ein Foto für die Daheimgebliebenen wert
Tor zur Great Ocean Road ist das Städtchen Torquay, eine gute Stunde von Melbourne entfernt. Wer genug Zeit und etwas mit Hamburg zu tun hat, kann sich als Zugabe vorher noch ein spezielles Fotomotiv sichern. Statt gleich auf die Autobahn M1 Richtung Süden zu biegen, ist dazu ein kurzer Umweg nötig: An der Port Phillip Bay gibt es einen Vorort namens Altona, so benannt von deutschen Auswanderern Mitte des 19. Jahrhunderts. Schnell ein Bild mit Schild gemacht und für die Daheimgebliebenen auf Facebook gepostet („Altona im Januar, 35 Grad am Strand“) – dann kann es losgehen.
Torquay hat rund 8000 Einwohner und verdankt seinen Ruf vor allem zwei Dingen: der Panoramastraße, die hinter dem Ort beginnt, und der internationalen Surfer-Elite. Denn hier, am Bells Beach, wird schon seit Ende der 1930er-Jahre auf Wellen geritten, 1961 gab es den ersten Wettbewerb der legendären Surf Classics. Es entstand ein ganz spezieller Surfer-Kosmos, der in der Gründung einer Surf-Industrie mit Fabriken und großen Outlets gipfelte. Bekannte Surfer-Marken wie Rip Curl und Quiksilver haben ihre Wurzeln in Torquay, und es gibt sogar ein Surf-Museum, laut Eigenwerbung das größte seiner Art. Hier kann man eintauchen in die Welt der schnellen Bretter, findet allerlei originale Reliquien der Szene und lernt anhand von Fotos und Schautafeln die Stars dieses Sports kennen.
Zwischen Torquay und Lorne liegen großartige Strände
Von Torquay nach Lorne sind es nonstop nur 40 Minuten, doch wäre solche Eile eine Sünde. Denn an der Strecke liegen mehrere großartige, kaum bevölkerte Strände. Zwar ist die See rau und das Wasser meistens kalt, aber einen Spaziergang oder einen Blick auf wagemutige Wellenreiter sollte man schon einplanen. Der Ort Anglesea auf halbem Weg gilt vor allem unter jenen als Tipp, die lieber etwas abseits von touristischen Hauptpfaden Zwischenstation machen. Golfspieler teilen sich dort ihren Platz schon mal mit wild lebenden Kängurus.
Einige Kilometer später wandelt sich die „Surf Coast“ allmählich zur „Shipwreck Coast“. Die Bass-Straße galt im 19. Jahrhundert als gefährlicher Seeweg, zahlreiche Großsegler zerschellten an den Felsen. Vor der Küste des Bundesstaates Victoria sollen 800 Schiffe versunken sein, besonders viele erwischte es zwischen Port Fairy und Cape Otway. Von Captain Matthew Flinders, wichtigster Entdecker des südlichen Australiens, ist überliefert, er habe selten „einen derart schrecklichen Küstenabschnitt“ gesehen. Doch was früher aufgrund seiner Wildheit so Furcht einflößend war, ist heute für Reisende ein Glücksfall, zumindest, wenn sie sich an Land fortbewegen. Hinter Lorne, das rund 1000 Einwohner zählt, einige nette Boutiquen und Cafés aufweist und mit der Louttit Bay über einen schönen Badestrand verfügt, ragen hohe Eukalyptusbäume und Farnwälder auf. Der Lorne State Park lockt mit Wanderwegen an Flüssen und Wasserfällen.
So sehen Traumstraßen am Wasser aus
Hier wie auch an der weiteren Strecke bis Apollo Bay soll es sich lohnen, nach Koalas Ausschau zu halten. Doch das könnte, zumindest für den Fahrer, böse enden, denn nun beginnt auch die große Show der Kurven, oft nahe am Abgrund entlang. Dieses Teilstück der Great Ocean Road ist wohl das spektakulärste, es zaubert Szenerien hervor, die für einen ganzen Bildband reichen. Einsame Buchten, aufgewühltes Meer, dramatische Felsen und leuchtende Farben – ja, so sieht eine Traumstraße am Wasser aus. Alle paar Kilometer haben die Australier dankenswerterweise einen „Lookout“ gebaut, an dem man links rausfahren und für einen Fotostopp halten kann (wer aus der Gegenrichtung kommt, fährt auf der „falschen“ Seite).
Hinter Apollo Bay führt die B 100 – so heißt die Great Ocean Road offiziell – dann erst einmal weg von der Küste und mitten hinein in den Great Otway National Park. Das mehr als 1000 Quadratkilometer große Gebiet genießt seit zehn Jahren besonderen Schutz und entstand aus kleineren Nationalparks und anderen Ländereien. Eine Attraktion für die ganze Familie ist der Otway Fly Treetop Walk, ein 600 Meter langer, in die Kronen des Regenwaldes gebauter Baumwipfelpfad in bis zu 30 Metern Höhe. Würden unten am Bach ein paar B-Promis aus Deutschland campieren und Kameras versteckt sein, könnte man sich glatt im RTL-Dschungelcamp wähnen. Wer den besonderen Kick sucht und 135 Australische Dollar (rund 90 Euro) pro Person investieren mag, kann sich zusätzlich zu einer Zip-Line-Tour anmelden. Dann geht es Tarzan-mäßig zweieinhalb Stunden lang mit Helm und Klettergeschirr durch das Gelände, wobei sechsmal ein Stahlseil als Lianenersatz zum Einsatz kommt.
Mit dem Hubschrauber über die „zwölf Apostel“
Da schon die Anfahrt zum Otway Fly ein langwieriges Abenteuer mitten durch den Wald ist, erweist sich der gesetzte Zeitplan inzwischen nur noch als Makulatur. Ohne Stopp geht es deshalb nun weiter zum ultimativen Erlebnis an der Great Ocean Road: einem Hubschrauberrundflug über die „zwölf Apostel“. So werden die bis zu 60 Meter hohen, im Meer stehenden Kalksteinfelsen genannt, welche die Küste zwischen Princetown und Port Campbell säumen. Die je nach Lichteinfall sandsteinfarbenen oder rotbraunen Felsformationen sind angeblich nach dem Uluru die meistfotografierten Sehenswürdigkeiten Australiens (was angesichts des Andrangs in Sydney mit Oper und Harbour Bridge aber wohl nicht ganz stimmen kann).
Nach der obligatorischen Sicherheitseinweisung lässt James, unser Pilot von „12 Apostles Helicopters“, den Motor an und bringt den Rotor auf Touren. Kurz checkt er, ob alle Passagiere an Bord seinen Kommentaren über Kopfhörer folgen können, dann setzt sich der knallrote Hubschrauber in Bewegung. Der Heli kippt leicht nach vorn und schwebt sanft wie ein Panorama-Fahrstuhl gen Himmel.
Von den „zwölf Apostel“ sind nur noch acht übrig
Es dauert keine Minute, bis die berühmten Felsen ins Blickfeld geraten. Unten sind nur noch winzig jene Touristen zu sehen, die sich der Apostelgruppe mühsam über die Treppen der Gibson Steps nähern. Der Himmel, tagsüber noch zeitweise wolkenverhangen, ist mittlerweile aufgeklart. Die Sonne steht schon recht tief, das Licht ist ein Traum für Fotografen. James beginnt zu schwärmen: „Schaut euch diesen Blick an. Ist der nicht fantastisch?“ Und dann bittet er, mal durchzuzählen. „Wisst ihr eigentlich, dass hier gar keine zwölf Felsen stehen, sondern nur acht? Der neunte ist 2005 eingestürzt, und mehr waren es tatsächlich nie.“ Doch man sieht aus der Luft auch, dass in einigem Abstand hinter der berühmten Formation weitere Sandsteintürme im Wasser stehen. „Die haben zum Teil gar keine Namen“, sagt James.
Ein anderes Wahrzeichen dieser Küste, der London Arch, sorgte 1990 für Schlagzeilen. Weil die Verbindung zum Festland hinter ihnen abbrach, waren zwei Touristen obendrauf plötzlich gefangen – und konnten erst nach Stunden per Hubschrauber in Sicherheit gebracht werden. Für uns hingegen ist schon nach 15 Minuten Schluss, denn so schnell endet ein 45-Kilometer-Rundflug für umgerechnet knapp 100 Euro pro Passagier. Trotzdem sind sich alle an Bord der Maschine einig: Das hat sich wirklich gelohnt!
In Hahndorf zeigen die Australier, was für sie typisch deutsch ist
Wer in Victoria Wale beobachten will, kommt zwischen Mai und September. Dann ist zum Beispiel Warrnambool, Endpunkt der Great Ocean Road, der richtige Platz, um sich per Boot den Southern Right Whales zu nähern. Ist man hingegen während des deutschen Winters unterwegs, sind weit und breit keine Glattwale zu sehen. Trotzdem muss man auf dem weiteren Weg nicht auf eindrucksvolle Tierbegegnungen verzichten: Schon ein paar Kilometer hinter Portland, am Cape Brigdewater, gibt es große Robbenkolonien, die per Schlauchboot („Seals by Sea“) angefahren werden können. Ein lohnenswerter Ausflug, bei dem es allerdings etwas nass werden kann.
Je nach Zeit und persönlichen Präferenzen gilt es nun, die weitere Strecke zu planen. Soll es zuerst oder nur noch nach Adelaide gehen, empfiehlt sich die Strecke über Penola (Weinbau) und Naracoorte (Tropfsteinhöhlen), auch ein Abstecher in die Grampians ist eine beliebte Variante (in heißen Sommerwochen dort unbedingt auf Waldbrand-Meldungen achten, im Januar mussten ganze Ortschaften evakuiert werden). Vor Erreichen der Metropole lohnt sich vielleicht noch ein Stopp in den Adelaide Hills, um sich anzuschauen, was Australier und vorwiegend asiatische Touristen für typisch deutsch halten. Der Ort Hahndorf ist eine alte, von deutschen Auswanderern gegründete Siedlung. 187 Immigranten – alles Lutheraner, die sich von Preußenkönig Wilhelm III. drangsaliert fühlten – waren 1838 mit Kind und Kegel in Altona an Bord der „Zebra“ gegangen und nach einer monatelangen Reise von ihrem Sylter Kapitän Dirk Hahn sicher auf dem Fünften Kontinent abgesetzt worden. Die Geschichte dieser Auswanderer ist in einem kleinen Museum gut dokumentiert – trotzdem setzen die Gastronomen vor Ort heute voll aufs bayerische Haxen- und Sauerkraut-Klischee, um damit Geschäfte zu machen.
Kangaroo Island unterscheidet sich vom Rest des Kontinents
Steht noch Kangaroo Island auf dem Programm, bietet sich auch der Weg die Küste entlang an, via Robe, Kingston und Victor Harbour. So oder so: Wer nicht zu früh bei der Fähre in Cape Jervis oder anderswo ankommen will, sollte wissen, dass an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Victoria und South Australia die Uhren um 30 Minuten zurückgestellt werden. Und es fehlt dort auch nicht der – typisch australische – Hinweis, man möge bestimmte Lebensmittel nicht von einem Landesteil in den anderen mitnehmen.
Auch für Besucher, die vom Festland nach Kangaroo Island übersetzen, gibt es solche Vorschriften, wobei diese tatsächlich Sinn haben, vor allem in Sachen Bienen und Honig. Denn KI, wie die Australier die drittgrößte Insel ihres Landes nennen, ist ein besonderes Biotop, das sich vom Rest des Kontinents unterscheidet. 145 Kilometer lang, 57 Kilometer breit und nur von rund 4000 Menschen bevölkert, stehen hier weite Teile unter Naturschutz.
Der Name der Insel – er stammt von Matthew Flinders – ist zudem Programm, denn wohl nirgendwo sonst in Australien sieht man derart viele Kängurus und Wallabys. Und wer bislang auf seiner Australienreise noch keine wild lebenden Koalas gesehen hat, wird spätestens hier einen entdecken. In der Hanson Bay gibt es nämlich auf einer zur Wildlife Sanctuary umgemodelten ehemaligen Farm eine Eukalyptusbaum-Allee, in der sich gleich mehrere der flauschigen Beuteltiere tummeln. Am besten bucht man einen Platz bei der 90-minütigen Nachtwanderung. Dann sorgen Guides mit lichtstarkem Strahler und viel Spürsinn dafür, dass einem kaum ein Tier entgeht.