Wer seinen Urlaub auf dem Fünften Kontinent in Perth beginnt, sitzt nicht so lange im Flugzeug und startet mit weniger Jetlag als an der Ostküste. Zudem gibt es auch im Westen eine Menge zu erleben.
In einer Zeit, in der selbst 14-Jährige keine Scheu mehr davor haben, statt in Hamburg mal eben ein halbes Jahr lang Down Under zu leben, relativiert sich auch für die Eltern der Blick aufs bislang unerreichte Traumziel. Australien, wegen der großen Distanz bisher in der „Wenn ich mal richtig lange frei habe“-Schublade versteckt, rückt wieder in den Fokus, weil der eigene Nachwuchs mit einem Auslandsaufenthalt sein Englisch verbessern will. Spontan fällt der Entschluss, das Kind selbst hinzubringen – und schon schwirren die ersten Fragen durch den Kopf: Wie lange können wir bleiben? Was müssen wir alles sehen? Wen sollten wir dort unten vielleicht mal wiedertreffen?
„Lass uns mit Westaustralien anfangen“, hatte meine Frau gesagt, als die Planungen akut wurden. „Dann besuchen wir Regina, die lebt da jetzt schon seit 13 Jahren.“ Eine in doppelter Hinsicht gute Idee, denn erstens ist es immer praktisch, eine Freundin zu haben, die sich vor Ort auskennt. Zudem lässt sich dieser Teil des riesigen Landes schneller erreichen als gemeinhin gedacht: In 6,5 Stunden von Hamburg nach Dubai, dort umsteigen (oder einen Stopover einlegen) und noch mal 10,5 Stunden fliegen, schon ist man angekommen auf dem Fünften Kontinent. Eine lange Reise zwar, aber doch nicht diese verdammte Ewigkeit, vor der man sich immer so gegruselt hatte. Und mit sieben Stunden Zeitunterschied gegenüber Alster und Elbe auch keine ganz so harte Prüfung für die innere Uhr, wie es zum Beispiel bei Sydney oder Melbourne (zehn Stunden) wäre.
Der Bundesstaat Westaustralien ist etwa siebenmal so groß wie Deutschland. Trotzdem leben hier nur 2,3 Millionen Einwohner. Mit 1,7 Millionen Menschen ist der Großraum Perth, zu dem auch die Hafenstadt Fremantle und Vororte wie das hübsche Cottesloe gehören, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. Ansonsten sind nur noch einige der Küstenstreifen, vor allem im Südwesten, nennenswert besiedelt.
Wer bis nach Esperance und zum Ningaloo Reef will, braucht viel Zeit
Die fast schon unheimliche Weite des Landes und seine Abgeschiedenheit haben Konsequenzen für die Reiseplanung. Wer nicht den ganzen Tag im Auto verbringen will, sollte die Hauptstadt und ihre Umgebung erkunden – und sich dann am besten in Richtung Süden aufmachen. Dort finden Urlauber lebhafte Küstenorte genauso wie wildromantische Buchten, sie können Weingüter oder Schokoladen-Outlets besuchen und auf einem Baumwipfelpfad wandeln, mit Delfinen schwimmen oder staunend den Surfern beim Wellenreiten zusehen.
Reicht das Zeitbudget für die große Runde durch den Südwesten, sind Albany, Keimzelle der Besiedlung Westaustraliens, Esperance mit seinen papierweißen Stränden und die Goldgräberstadt Kalgoorlie spannende Etappen, bevor es von dort aus zurück in die Großstadt geht. Aber auch nördlich von Perth locken ein paar Highlights: Die „Pinnacles“ genannten Kalksteinsäulen, die Lobster-Stadt Geraldton und Exmouth als Basisstation für der Erkundung des etwa 260 Kilometer langen Ningaloo Reefs, von dem Taucher sagen, dass es dem Great Barrier Reef im Osten in nichts nachsteht, zumal man auch Walhaie beobachten kann.
Für die sogenannte Coral Coast bleibt uns beim Premierenbesuch jedoch keine Gelegenheit, schließlich ist Exmouth gute 1250 Kilometer von Perth entfernt und der Reiseplan mit weiteren Bundesstaaten gespickt. Auch die Kimberleys ganz oben im Norden mit ihren rotbraunen Felswelten und den ulkigen Baobab-Bäumen liegen außer Reichweite, hier geht ohne Flugzeug leider wenig. Stattdessen steuern wir den Mietwagen im zunächst ungewohnten Linksverkehr und unter Beachtung der strengen Tempolimits (Verstöße werden mit saftigen Bußgeldern geahndet!) auf den Highway, der uns in knapp drei Stunden nach Dunsborough am Rande der Margaret-River-Region führt. Dort empfängt uns Regina, die ausgewanderte Freundin aus Hamburg, mit einem Glas Rotwein: „G’day mates! Das ist ein Shiraz, gleich hier aus der Region. Passt gut zum BBQ, das ich für euch vorbereitet habe.“
Wie eigentlich alle Australier hat sie einen großen Gasgrill auf der Terrasse stehen. Denn fast nichts lieben die Leute hier so sehr wie ihr „Barbie“. Ob an landesweiten Feiertagen wie dem Australia Day (26. Januar) oder einfach nur mal zwischendurch in einer spontan anberaumten Runde mit Freunden und Verwandten, gegrillt wird, was die Fleischtheken hergeben. „Bei uns in Australien bringt man Essen und Getränke dabei oft selbst mit“, erklärt Regina, „aber für euch gilt das jetzt natürlich nicht.“
Den Supermarkt steuern wir am nächsten Tag trotzdem an. Denn da lernt man am schnellsten, wie ein Land so tickt – zum Beispiel, dass ein ausgedehntes Schwätzchen an der Kasse ganz normal ist. Einen „Coles“ gibt es fast überall, das Angebot dort ist groß, die meisten Lebensmittel allerdings sind nicht importiert, sondern stammen aus heimischem Anbau, was mit den Quarantänebestimmungen zu tun hat. Schließlich hatte ja schon am Flughafen ein Zoll-Hund am Gepäck geschnüffelt – nicht, weil er Drogen suchte, sondern Essbares jedweder Art. Das darf man in den allermeisten Fällen nicht mit ins Land nehmen, hier sind die „Aussies“ streng. Ähnlich ist es mit dem Verkauf von Bier und Wein: Beides gibt es nicht im Supermarkt, sondern nur in speziellen Liquor-Stores.
Wie in Skandinavien scheint das aber die wenigsten davon abzuhalten, sich mal einen zu genehmigen, jedenfalls gilt das Volk am anderen Ende der Welt als ziemlich trink- und feierfreudig. Das Nachtleben konzentriert sich dabei aber vor allem aufs Wochenende, werktags werden vielerorts schon früh „die Bürgersteige hochgeklappt“. Und auch sonst muss man sich als Hamburger zeitlich etwas umgewöhnen: Shops in Perths City schließen spätestens 17.30 Uhr, Sehenswürdigkeiten oft schon früher. „Die Leute wollen hier noch was vom Tag haben – manche gehen nach der Arbeit zum Beispiel baden oder surfen“, erklärt Regina.
Was an den Stränden auffällt: Sie sind alle blitzsauber, nicht mal Kippen liegen im Sand (Raucher haben es in Australien ohnehin schwer, Zigaretten sind dreimal so teuer wie bei uns und werden in Supermärkten nur „unter dem Ladentisch“ verkauft). Wer baden geht, darf Wellen und Unterströmungen (rip currents) nicht unterschätzen. Manchmal bewachen Lifeguards geeignete Abschnitte und fordern Badegäste auf, „between the flags“, also zwischen den rot-gelben Flaggen, zu bleiben. Das Schwimmen an bewachten Stränden hat auch den Vorteil, dass man rechtzeitig gewarnt wird, falls tatsächlich mal ein Hai auftaucht. Täglich patrouillieren an der Küste Hubschrauber und halten Ausschau nach den grauen Riesen.
„Sind die denn wirklich so gefährlich?“, wollen wir von Regina wissen. „Und was ist mit diesen ganzen Horrorgeschichten über Spinnen, giftige Schlangen und tödliche Quallen?“ Unsere Freundin lacht. „Wer rumlatscht, als wäre er in Deutschland, wird sich in Westaustralien vielleicht mal erschrecken. Es kann passieren, dass du eine Schlange auf dem Wanderweg siehst oder eine komische Spinne im Haus findest. Aber die Schlangen haben selber Angst, und die Spinnen sind bis auf wenige Ausnahmen harmlos.“ Und die Quallen? „Die gibt es nur in wärmeren Gewässern, weiter im Norden.“
Haie sind allerdings an der Südwestküste durchaus ein Thema. „Es gab Angriffe auf Surfer in den letzten Monaten. Und vor zwei Wochen haben sie in der Nähe kurzfristig einen Strand gesperrt.“ Nun gut, Wellenreiten können wir nicht und wollen es hier auch gar nicht erst versuchen. Dem allgemeinen „Dresscode Badelatschen“ passen wir uns trotzdem an. Denn hier trägt tagsüber, zumindest im Sommer, kaum jemand etwas anderes.
Unser „Grundkurs Australien für Anfänger“ läuft unterdessen weiter – mit dem Kapitel Gastronomie. „Hier wird nur in richtigen Restaurants am Tisch bestellt. Sonst musst du oft am Tresen ordern und gleich bezahlen. Dann bekommst du eine Nummer und suchst dir einen Platz“, erklärt Regina. Es gibt auch einige Restaurants ohne Alkohollizenz, bei denen steht draußen „BYO“ dran, was „bring your own“ heißt und bedeutet, dass man seinen Wein selbst mitbringen darf. „Berechnet wird nur ein Korkengeld von ein paar Dollar.“ Ein guter Tipp, den wir gleich am nächsten Abend ausprobieren. „Ach ja, noch was: Trinkgeld geben ist nicht üblich, das machen höchstens Ausländer.“Die ersten Fremden, die sich für Westaustralien interessierten, waren die Briten. Zwar hatten holländische Seefahrer schon Anfang des 17. Jahrhunderts die Küste erkundet, doch dauerte es bis 1826, bis weiße Siedler sich hier niederlassen wollten. 1829 gründeten die Engländer dann unter Regie von Charles Fremantle und James Stirling die Swan River Kolonie, aus der das heutige Perth hervorging. Während dort längst moderne Großstadtarchitektur das Bild prägt, ist ein paar Kilometer flussaufwärts in der kleinen und ebenso alten Stadt Guildford die Zeit ein Stück weit stehen geblieben – hier und in Fremantle stammen noch ganze Häuserreihen aus der Kolonialzeit.
Als Stirling & Co. kamen, war das Land keineswegs menschenleer. Schon seit mehr als 40.000 Jahren lebten hier Ureinwohner. Nach anfänglicher Koexistenz wurden die Aborigines von den Weißen zunehmend unterdrückt und verdrängt. Heute zählen nur noch 3,8Prozent der Bevölkerung Westaustraliens zu dieser Gruppe. Wer mehr über die traditionelle Lebensweise der Nyoongar – so nennen sich die Aborigines vom Swan River –, ihr Verhältnis zu Zeit, Schöpfung und Natur sowie die spirituelle Bindung an die Vorfahren lernen will, kann eine Tour durch den Kings Park von Perth buchen, bei der ein Guide neben wichtigen Pflanzen auch alte Mythen und Rituale erklärt.
Keine Frage: Man könnte einen kompletten Urlaub in Westaustralien verbringen und sich alle anderen Teile des Kontinents „für später“ aufheben. Doch mit dem Flugzeug sind es nun nur noch vier Stunden bis nach Sydney ... „Bin gespannt, wie es euch an der Ostküste gefällt“, gibt uns unsere Freundin zum Abschied mit auf den Weg. „Da drüben ticken die Uhren nämlich schon etwas schneller als bei uns.“