Das ostfinnische Saimaa-Seengebiet eignet sich bestens für Skilanglauf und Schlittschuhwandern.
Man sieht, wie sich Gardinen in verschiedenen Farben am Firmament bewegen, sich dabei ständig verändern und immer wieder als Schleier neu aufbauen – das ist wirklich faszinierend, und man kann nur staunen.“ Tief beeindruckt beschreibt ein Winterurlauber die weißgrünliche Erscheinung namens Aurora borealis (Nord- bzw. Polarlicht) am nächtlichen Himmel über Finnland. Doch er macht seine Beobachtung nicht am Polarkreis in Lappland, sondern im Osten des Landes. Dort liegt das Saimaa-Seengebiet, ein Gewässerlabyrinth aus Seen unterschiedlichster Größe, die jetzt alle zugefroren sind, und mittendrin Tausende von großen und kleinen verschneiten Inseln – das Ganze eine weitgehend naturbelassene Bilderbuchlandschaft, die sich über mehr als 500 Kilometer erstreckt (der Bodensee würde in diese Gebiet gut siebenmal hineinpassen). Während der Wintermonate ist das gesamte Seengebiet bis hin zur russischen Grenze eine Zone der Stille und Abgeschiedenheit.
„Die Landschaft ist reglos, weiß und totenstill, die Kälte strafft die Telefonleitungen zu vibrierenden Geigensaiten“, schreibt ein finnischer Autor, „es knistert und knarrt überall. Nur das Murmeln des Quellbachs bricht die Stille.“ Deshalb könnte man glauben, in dieser Gegend sei im Winter „der Hund begraben“ und es gäbe nichts zu erleben – aber weit gefehlt. Weil sich hier die Natur viel abwechslungsreicher zeigt als in Lappland, wo zurzeit so manches Skiresort aus den Nähten platzt, ist das Gelände besonders für ein- oder mehrtägige Wandertouren auf Langlauf-Skiern geeignet. Übernachtet wird in einfachen Jagdhütten oder Gästehäusern, auf Finnisch „majatalot“. Dass manchmal draußen Wölfe auftauchen, merkt man nur an deren Geheul. Die Tiere sind sehr scheu, und tagsüber bekommt man sie in freier Wildbahn, wenn überhaupt, nur äußerst selten zu Gesicht. Ähnliches gilt für die vom Aussterben bedrohnte Saimaa-Ringelrobbe (Phoca hispida saimensis). Von dieser Gattung leben noch etwa 300 Tiere, die im beginnenden, noch kalten Frühjahr ihre Jungen zur Welt bringen, zum Glück meist unbemerkt von der Spezies Mensch.
Das Angebot ist vielseitig: Hundeschlittensafaris, Eisklettern, Motorscooter-Fahrten...
Ein Zentrum der Winteraktivitäten in Ostfinnland ist der Linnansaari- Nationalpark mitten im Seengebiet nahe der Stadt Savonlinna (350 Kilometer von Helsinki), bekannt durch die Burg Olavinlinna, in der jedes Jahr zur Sommerzeit Opernfestspiele veranstaltet werden. Der Park ist 40 Kilometer lang und 18 Kilometer breit, mit mehr als 130 Inseln. Wo im Sommer reger Bootsverkehr herrscht, sind es ab Mitte Januar vor allem Schlittschuhwanderer, die auf vorzüglich präparierten Bahnen über spiegelglattes Eis gleiten, häufig geblendet vom gleißenden Sonnenlicht, das den gefrorenen Schnee auf Fichten und Kiefern zum Glitzern bringt. Die Routen sind auch mit Tretschlitten befahrbar, den sogenannten Kicksparks. Alpiner Abfahrtslauf wie von den lappländischen Fjälls ist in der mit Schnee überzogenen, vorwiegend flachen Wald- und Seenlandschaft kaum möglich, dafür gibt es aber umso mehr Loipen für Skilangläufer. Und auf Hundeschlittensafaris oder Motorscooter-Fahrten muss man hier ebenso wenig verzichten wie auf Eisklettern, Reitausflüge auf Island-Pferden oder Wintergolf. Allerdings empfiehlt es sich, gegen arktische Kälteeinbrüche gewappnet zu sein: In der Region Savonlinna wurden im März 2013 noch minus 25 Grad gemessen. Wenn der Wettergott es zulässt, kann man das „schleierhafte“ Nordlicht entdecken; es zeigt sich jedoch nicht so häufig wie in Lappland.
Was es bislang nur in Finnlands nördlichster Provinz gab, wird nun auch im Osten zum winterlichen Vergnügen: Fahrschulkurse auf eisigen Pisten in Kombination mit mehrtägigem Aufenthalt in winterfesten Ferienhäusern. Drei Hektar sei ihr Gelände groß und habe einen zwei Kilometer langen Rundkurs, sagt voller Stolz Marianna Kaarniranta, Besitzerin eines Ferienresorts mit Fahrschule. Bei ihr werde unter fachkundiger Anleitung mit fünf Wagen geübt, darunter ein Subaru Forester und ein Smart.
Noch heute gibt es überall Spuren der russischen Vergangenheit
Und wie steht es generell um die Übernachtungsmöglichkeiten? In letzter Zeit sind komfortable Feriendörfer entstanden, zum Teil direkt am Linnansaari-Nationalpark. Die Gäste würden luxuriöse Einrichtungen verlangen, berichten die Vermieter und meinen damit vor allem russische Touristen, die in der Mehrzahl in St. Petersburg und Umgebung zu Hause sind und bevorzugt unbeschwerte Urlaubstage in der winterlichen Märchenlandschaft des westlichen Nachbarlandes verbringen. So hat mancher Landwirt seine ursprünglich einfach gebauten Ferienhäuser („mökit“) aufwendig renoviert oder viel Geld in modern ausgestattete Neubauten investiert. Wellness-Spas mit Sauna gehören immer häufiger dazu, und im Freien lockt ein kleines Eisloch zum Eintauchen – für den, der dazu den Mut aufbringt. „Im Winter liegt in unserer Gegend das Preisniveau niedriger als im Sommer“, sagt Marie-Louise Fant vom Safari-Veranstalter SaimaaHoliday, in Lappand sei dagegen die Wintersaison am teuersten. (Trotzdem kommen allein um die Weihnachtszeit rund 60.000 Besucher in Hunderten von Charterflugzeugen nach Finnisch-Lappland.) Eis- und Schneehotels oder Iglu-Dörfer sucht man hingegen im Osten vergeblich.
Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reisten nach Eröffnung einer Eisenbahnverbindung Adelsfamilien aus Moskau und St. Petersburg an. Das damals noch als Großfürstentum zum russischen Riesenreich gehörende Finnland – „das kleine Land des großen Volkes“ (Maxim Gorki) – bot den Betuchten im Osten Gelegenheit, sich Kuren zu unterziehen oder sich in der lieblichen Seenlandschaft zu vergnügen. In den Wintermonaten aber kamen sie vor allem, um die gesunde Luft zu inhalieren, die in dieser Gegend besonders rein ist. Noch heute gibt es überall Spuren der russischen Vergangenheit: aus Holz gebaute Stadthäuser und schmucke Villen ebenso wie orthodoxe Kirchen und Kapellen, darunter Finnlands größte Holzkirche mit Platz für 5000 Menschen. Es gibt sogar noch ein Gebäude, das man der letzten Zarin Alexandra Fjodorowna in der Nähe des Kurortes Punkaharju errichtet hat. Dort sollte die Herrscherin ungestörte Ferientage verbringen, wozu es aber nie kam. Dafür kommen heutzutage umso mehr Leute aus Russland über die Grenze, um günstig einzukaufen. „Hier waren schon immer Leute, die Russisch sprechen konnten“, erzählt ein Einheimischer. Jetzt aber würde die Sprache in den Schulen gelehrt, damit man die Russen besser verstehen könne.
Mit Schneeschuhen den russischen Adligen auf den Spuren
Nostalgische Momente verspricht der Aufenthalt im Kruunupuisto, einem Art-Nouveau-Hotel, das 1903 in Punkaharju eröffnet wurde – schon damals bei Finnen wie bei russischen Adligen gleichermaßen wegen seiner wunderschönen Umgebung ein beliebter Erholungsort. Im Winter kann man von dort, ausgerüstet mit Schneeschuhen, lange Wanderungen durch die tiefe weiße Pracht unternehmen und sich dabei fühlen, als gehörte einem die Landschaft ringsum ganz allein. „Die Schuhe tragen einen, selbst wenn der Schnee einen Meter oder noch tiefer ist – es sei denn, es ist nass“, sagt Niina Rinkinen, die das Kruunupuisto managt.
Und wie kommt man als Mitteleuropäer mit der früh einsetzenden Dunkelheit zurecht? Ein Hamburger Urlauber, der schon häufig in Finnland die Winterzeit erlebt hat, meint lakonisch, es werde ja gar nicht ganz dunkel. „Das ist ein weit verbreitetes Vorurteil, aber es ist eben falsch, denn der Schnee reflektiert die Helligkeit und wirft dadurch ein Licht auf die Landschaft.“ Ebenso falsch sei es, zu glauben, die Finnen würden 24 Stunden um die Uhr Schnaps trinken, um mit der Dunkelheit fertig zu werden. Auch dieses Vorurteil hätte mit der Realität in Finnland nichts zu tun.