Das Gutshaus aus dem Jahr 1871 in Bramsche in Niedersachsen ist die zweite Sehenswürdigkeit am Ort – neben einem Tuchmachermuseum
Es gibt Orte, deren Anziehungskraft kann man sich nur schwer entziehen. Ein solcher ist das Gut Sögeln im weiten, schönen Osnabrücker Land. Doch der Reihe nach. Freundlicherweise holt mich Gutsherrin Gisela von Bock und Polach von dem kleinen Bahnhof in Bramsche mit dem Auto ab. Sie muss noch schnell etwas im Tuchmachermuseum erledigen, „der einzigen Sehenswürdigkeit in Bramsche“, wie sie meint.
Von Museum aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Gut. Das schwarze Band der Asphaltstraße führt durch die beschauliche Landschaft, in der sich Mischwald und weite Agrarflächen abwechseln. Dann biegen wir nach rechts ab und tauchen augenblicklich in eine andere Welt ein, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Meine Gastgeberin schaltet in den niedrigsten Gang ihres nicht mehr ganz so neuen Autos, und nun geht es im Schritttempo über die holprigen, uralten Pflastersteine. Der Weg, an dessen Ende das mittelalterliche Steintor zu sehen ist, ist gesäumt von hohen Linden. Dahinter befindet sich das Hauptgebäude, in dem die Inhaberfamilie lebt. Man hört das Rauschen des nahen Sögeler Mühlenbachs.
Das gesamte Anwesen ist von drei Wassergräben umschlossen und gesichert. Man befindet sich also quasi auf einer kleinen Insel. Verwunschen und idyllisch wirkt die Umgebung mit den vielen knorrigen, alten Bäumen. Erstmals erwähnt wird das Anwesen 1350 als Wohnung eines adligen Geschlechts. Ab 1426 ist der Begriff „Burg“ verbrieft. 100 Jahre später entstand dort auch eine Mühle. Aus dem alten Steinhaus entwickelte sich ein landwirtschaftlicher Betrieb mit einem typischen Osnabrücker Gutshof. Dieser wurde im Jahre 1774 zum Herrensitz. Zu dieser Zeit wurden auch die „Alleen“ zwischen Äckern und Wiesen um das Gut herum angelegt. Auf diesen weitläufigen Wallwegen kann man heute herrliche Spaziergänge durch die urwüchsige Natur unternehmen.
Die Familien von Rappard, Bock und Polach haben seit 1871 die Geschicke des Gutes bestimmt. Gisela von Bock und Polach wurde 1945 hier geboren und erinnert sich gern an die Nachkriegszeit. „Denn aufgewachsen bin ich mit vielen Flüchtlingsfamilien, dadurch hatte ich viele Spielkameraden“, sagt sie. Nach ihrer Tätigkeit als Lehrerin in Harburg, Alsterdorf und Winterhude kehrte sie 1995 auf das elterliche Gut zurück, um es von ihrer Mutter zu übernehmen. Sie schätzt die Nähe zu ihren Mitbürgern, „die hier viel enger ist, als es in einer Stadt je sein kann“.
Inselcharakter durch umgebende Wassergräben
Des Weiteren versucht sie, das Überkommene mit großem persönlichem Engagement zu erhalten. „Ich möchte die besondere Atmosphäre der Gebäude auch für andere erlebbar machen“, sagt sie. Und so hat sie in der riesigen Scheune aus Bruchsteinmauern, in der früher die Kartoffeln lagerten, eine großzügige Ferienwohnung eingerichtet. Geholfen hat ihr bei diesem Projekt Birgit Hachtmann-Pütz, eine befreundete Architektin aus Hamburg. Herausgekommen ist eine stilvolle Verquickung von Alt und Neu; außen nostalgisch-ländlich, im Innern moderne Architektur. Eine Unterkunft, die genau das Richtige für gestresste Städter ist, die sich nach Ruhe sehnen. Die Innengestaltung ist gewagt. In das neun Meter hohe Gebäude wurde ein Kubus gebaut, der sich über zwei Stockwerke erstreckt. „Bei den hiesigen Handwerkern löste unser Vorhaben Erstaunen und so manches Kopfschütteln aus“, sagt sie verschmitzt lächelnd. Doch sie setzte das Vorhaben gegen alle Einwände durch.
Der Wohnbereich mit Kamin und großer offener Küche befindet sich unten, die beiden Schlafzimmer in den oberen Etagen. Dort hinauf führt eine Holztreppe, die aus Eichen der eigenen Wälder hergestellt wurde. Transparenz war der Inhaberin besonders wichtig, weshalb die Treppenbrüstung aus Spezialglas gefertigt ist. Und durch das Dachfenster können morgens die Sonnenstrahlen durchscheinen und nachts die Sterne funkeln. Das Mauerwerk blieb erhalten und wurde selbst für Steckdosen nicht aufgeschlagen. Auch auf einen Anstrich der Wände wurde weitgehend verzichtet. Gefördert hat die Sanierung die Vereinigung „Culture and Castles“, die den Umbau historischer Denkmäler mit Euregio-Geldern unterstützt.
Alte Gemäuer und eine intelligente Landschaftsgestaltung
Am Morgen wird der Gast mit Kaffee, Tee und frischen Brötchen versorgt. Und mit köstlichen, hausgemachten Marmeladensorten, die man nur selten erhält, wie Quitten- oder die etwas bitter schmeckende Ebereschenmarmelade. „Die müssen Sie mit etwas Quark auf Schwarzbrot essen – einfach himmlisch“, schwärmt sie zu Recht. Hinzu kommen das unentwegte Rauschen des kleinen Stauwehrs, der stündliche Uhrenschlag im Glockenturm und die imposanten Eichen und Buchen, die dem Ganzen ein äußerst romantisches Ambiente geben. Die alten Gemäuer und modernen Akzente, die intelligente Landschaftsgestaltung, die Kultur und Natur wohltuend verbinden – all dies beeindruckt nachhaltig. Eine Idylle der besonderen Art! Die Begeisterung findet sich auch in den vielen Eintragungen der Gästebücher. „An diesem Ort reichen sich Gastlichkeit, Schönheit der Natur und Stilempfinden die Hände“ bringt es ein Gast auf den Punkt.
Während ihr Mann an den Werktagen in Hamburg als Internist seine Arztpraxis betreibt, hat sich Gisela von Bock und Polach endgültig dem Landleben verschrieben. „Wie ist Ihnen denn der Wechsel aus der quirligen Großstadt in diese Einsamkeit bekommen?“, frage ich nach. „Ich liiiebe es“, ruft sie begeistert aus. Man glaubt es ihr gern.