Eine Floßtour über die Havelseen ist Abenteuer und Entspannung zugleich
Leise gluckst das Wasser, Fischreiher lauern am Ufer auf Beute, hohes Schilf schwankt in der leichten Morgenbrise. „Friedrich“ schaukelt auf dem Wasser. So heißt der schwimmende Untersatz, mit dem die Urlauber von der Stadt Brandenburg aus zum Breitlingsee unterwegs sind. „Fahrt über die Niederhavel zu der kleinen Insel Buhnenwerder. Das ist eine schöne Tagestour“, hatte Christiane Dierich am Morgen den Freizeit-Flößern geraten.
Eine andere Tagestour mit dem Floß führt über die Havel hinaus zum Beetzsee mit seiner Regattastrecke. Sie ist das Heimatrevier der aus Brandenburg stammenden Kanusportlerin Birgit Fischer, der mit acht Gold- und vier Silbermedaillen erfolgreichsten deutschen Olympionikin.
Christiane und Ingo Dierich betreiben in Brandenburg an der Havel eine der ungewöhnlichsten Reedereien Deutschlands: Sieben Flöße, drei mal sieben Meter groß, darauf rote Häuschen mit jeweils fünf Schlafplätzen, ausgestattet mit Fünf-PS-Motoren, zählen zu ihrer Flotte. Dazu gesellt sich noch ein größeres Floß, das als Clou eine Sauna an Bord hat. Während die kleinen Flöße ohne Führerschein zu steuern sind, wird für das Saunafloß der Binnenführerschein verlangt. Die Flöße stammen nicht von einer Bootswerft, vielmehr hat sie Schreinermeister Ingo Dierich in skandinavischem Design selbst entworfen und in der eigenen Werkstatt gebaut.
Inzwischen gibt es an den Ufern mehr als 70 Charterbetriebe mit Bootsverleih
Gemächlich fahren die Freizeit-Flößer auf den Gewässern rund um die Stadt Brandenburg. Maximal sechs Stundenkilometer erreichen die schwimmenden Untersätze. Wochentouren führen auf der Havel beispielsweise ostwärts vorbei an Ketzin und Werder bis nach Potsdam. Nachts darf nach vorheriger Absprache an ufernahen Campingplätzen oder Restaurants angelegt werden. Die Havelseen sind Teil des größten zusammenhängenden Wassersportreviers Europas. Es erstreckt sich über die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Auf einer Strecke von 180 Flusskilometern gibt es 40 Seen und Kanäle.
Der Skipper Martin Braun ist oft in der Gegend mit Segelbooten unterwegs: „Der Reiz des Reviers liegt in der Abwechslung. Auf nur wenigen Kilometern steuerst du erst per Motor über schmale Kanäle sowie die Havel und kannst dann auf den weiten Seen die Segel setzen.“
Neben den urigen Havelflößen der Reederei Dierich gibt es an den Ufern der Havelseen inzwischen mehr als 70 Charterbetriebe, die Segel- und Motorboote, geräumige Hausboote und Kanus tage- und wochenweise vermieten. Für Kanutouren hat Wilfried Wendel am Strandbad von Ketzin sein Basislager aufgeschlagen. Abenteuerlich muten die Tipizelte an, in denen manche Kanuten die Nacht vor ihrer Paddeltour verbringen. „Wir haben hier Natur pur. Die zahlreichen Altwasserarme, die nach der Begradigung der Havel zum Schifffahrtsweg entstanden sind, haben eine tolle Fauna und Flora“, sagt Wendel. So können Wassersportler mit etwas Glück Fischreiher, Kormorane, Kraniche, Eisvögel und sogar Fischadler beobachten. „Die Havel ist der Amazonas der Mark Brandenburg.“
Familien und Sportvereine gehen mit Wendels Kanus auf Paddeltour. Mehrtägige Ausflüge führen etwa bis in das Dörfchen Lehnin mit dem ältesten Zisterzienserkloster der Region. Die Backsteinbauten beherbergen heute eine diakonische Einrichtung mit Altenheim, Hospital, Hospiz und einem hübschen Gästehaus. Wer nicht aufs Wasser möchte, der erkundet die 72.000-Einwohner-Stadt Brandenburg zu Fuß und das umliegende Havelland per Fahrrad. Als „Loriots Weg“, benannt nach dem in Brandenburg geborenen und 2011 verstorbenen Komiker Vicco von Bülow, führt die Route vom Altstädtischen Rathaus mit der Statue des wehrhaften Rolands aus dem Jahr 1474 hinüber zum mehr als 1000 Jahre alten romanisch-gotischen Dom St. Peter und Paul.
Radler erkunden auf den beiden gekennzeichneten Routen Havel-Radweg und Havelland-Radweg die Urlaubsregion. Mit guter Planung lassen sich beide Routen als 250 Kilometer langer Rundkurs zu einer ausgedehnten Wochentour kombinieren.
Beliebtes Zwischenziel am Havelland-Radweg ist das an Sommerwochenenden überlaufene Ribbeck mit dem hübsch restaurierten Schloss, bekannt durch Theodor Fontanes Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand ...“.
Von dort lohnt ein Abstecher abseits der gekennzeichneten Route über holprige Nebenstrecken nach Groß Behnitz. Verträumt liegt dort das Landgut A. Borsig, das im 19. Jahrhundert die Beschäftigten der Borsig-Maschinenfabriken in Berlin mit Lebensmitteln versorgte. Zu dieser Zeit war das Unternehmen Europas größter Eisenbahn- und Lokomotivhersteller. Ab 1941 fanden auf dem Landgut mit Dr. Ernst von Borsig jr. die konspirativen Treffen des Kreisauer Kreises statt – der Widerstandsbewegung um Graf von Moltke und Graf Yorck von Wartenburg gegen das Nazi-Regime.
Während der DDR-Zeit verfielen die Backsteinbauten zusehends. Doch seit 2007 werden die denkmalgeschützten Gebäude mit Millionenaufwand restauriert und renoviert. Radtouristen können in dem ehemaligen Logierhaus der Borsigs übernachten und die Stille am Groß Behnitzer See genießen.