Eine Vater-Tochter-Tour durch Südafrikas Kapregion ist auch ein kleiner Bildungsurlaub. Nicht fehlen dürfen ein Besuch in der Township und eine Safari auf den Spuren der „Big Five“

Dieser „Doktor“ hat für alles eine Lösung. Geldsorgen? Gerichtsprozess am Hals? Fehlende Potenz? Kein Problem für den Mann in der Bretterbude mitten in der Township Langa. Was auch immer seine Klientel plagt, ihr kann geholfen werden. Sie muss nur daran glauben, dass der Zauber funktioniert. Behandlungen mit einer kühnen Mischung aus Homöopathie und Hokuspokus sind hier, in einer der ältesten Schwarzensiedlungen Kapstadts, wie fast überall im Land tägliche Praxis. Da wird beschworen und in Trance getanzt, eine Tinktur aus Tierknochen gemixt oder mit sonderbarem Pulver hantiert, dass sich Europäer nur wundern können. 200.000 traditionelle Heiler soll es in Südafrika noch geben.

Langa, übersetzt „Sonne“, ist eine Station der Township-Tour, die ich für mich und meine 13 Jahre alte Tochter Antonia übers Internet bei Camissa Operations gebucht habe. So heißt eine kleine Agentur, die Fremden auch jene Seiten Kapstadts zeigt, die ihnen sonst verborgen bleiben. Denn noch immer gilt in Südafrika der Rat an Weiße, sich nicht ohne ortskundige Begleitung in die weitläufigen Cape Flats zu begeben. Zu groß ist hier die Kriminalität, zu undurchschaubar das soziale Gefüge, zu verwirrend das Wegenetz.

Pünktlich um 9.30 Uhr hat uns Samantha, selbst eine Xhosa, mit ihrem Minibus im Hotel abgeholt und zuerst zu Kapstadts District Six gefahren. Die Brachfläche in bester Citylage war einst ein lebendiges Viertel, bis Ende der 1960er-Jahre im Zuge der Rassentrennung alle schwarzen und farbigen Bewohner in die Townships zwangsumgesiedelt wurden. Unsere Führerin stoppt bei einem Kindergarten, wo die Kleinen „no educaton, no future“ singen, „ohne Bildung keine Zukunft“. In einem Haus, ursprünglich für Wanderarbeiter errichtet, leben fünf Familien auf engstem Raum. Vor der Tür gibt es kaum Grün, Müll fliegt herum. An der Straße schmoren Schafsköpfe auf offenen Feuern. Läden, die Lebensmittel verkaufen, sind in alten Seecontainern untergebracht, weil man die gut sichern kann.

Als vor knapp 20 Jahren die Apartheid endlich ein Ende fand, hofften viele, dass sich die Lage auch wirtschaftlich verbessern würde. Doch der Weg zur strahlenden Regenbogennation war steiniger als gedacht, trotz neuer internationaler Akzeptanz, einer Bildungsoffensive und der Fußball-WM 2010. Obwohl es viele staatliche Programme gibt, haben 25 Prozent der Südafrikaner keinen Job, die Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen gelten als problematisch, die Löhne als niedrig.

Der Tourismus immerhin zählt zu den wachsenden Wirtschaftszweigen des Landes. Das Angebot an kleinen Boutique-Hotels, B&Bs und privaten Wildlife-Lodges wird immer größer, sodass es Besuchern leichtfällt, sich eine Rundreise zusammenzustellen. Am besten leiht man sich gleich am Flughafen einen Mietwagen. Wer nächtliche Touren vermeidet, sich an Tempolimits hält und womöglich ein Automatikfahrzeug wählt, dürfte mit dem Linksverkehr kaum Schwierigkeiten haben. Die Straßen sind gut ausgebaut, die Wegweiser meist eindeutig.

Eine Rundfahrt durch Südafrika wirkt sogar auf der mit rund 800 Kilometern vergleichsweise kurzen Distanz zwischen Kapstadt und Port Elizabeth wie eine Reise durch ganz verschiedene Länder, vor allem, wenn man sich – wie wir – für den Schlenker durch die Kleine Karoo entschieden hat. Immer wieder verändern sich Topografie und Vegetation, tut sich nach einer Passfahrt eine neue Welt auf. Fruchtbare Täler, karge Savannen und dichte Wälder wechseln sich ab, schroffe Berge und grandiose Panoramen würzen die Strecke. Am Straßenrand lungern hin und wieder sogar Paviane herum.

Bei einem Afrika-Trip mit Teenager gehören Tiere natürlich zu den großen Attraktionen. Wer den weiten Weg zum Krüger-Nationalpark scheut, aber trotzdem Safari-Flair sucht, bucht sich am besten in einem der malariafreien Game Reserves zwischen Port Elizabeth und Grahamstown ein. Hier wurden ehemalige Farmländereien in private Wildparks umgewandelt. Auch für uns soll dort die Begegnung mit den „Big Five“ – Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard – den krönenden Abschluss bilden.

Die Townships von Kapstadt, das lässige Camps Bay, die Pinguine vom Boulders Beach und das Weinland rund um Stellenbosch noch in den Köpfen, machen wir uns über die Route 62 aber zunächst auf in Richtung Oudtshoorn. Dort sind wir, nach einer kurzen Nacht in der Dezeekoe Guest Farm, frühmorgens an einer Straßenkreuzung verabredet – zu einer Busch-Safari im Kleinformat. Es ist noch stockdunkel, als um 5.40 Uhr ein alter Pick-up heranrollt. Ein fröhlicher Mann mit Lockenkopf und kurzen Hosen steigt aus: „Hallo, mein Name ist Rudolf. Ich bin Mitarbeiter von Meerkat Man Devey Glinister und bringe euch zu den Erdmännchen. Heißen Tee und Kaffee habe ich dabei.“ Nach ein paar Kilometern stoppt Rudolf vor einem Gatter, schließt auf und lässt uns passieren. Es geht weiter über einen Feldweg. Der Mietwagen, ein Nissan Tiida, schwingt heftig in den Federn, setzt aber nicht auf. Dann sind wir am Ziel.

Die Nacht endet, der Tag beginnt, und der Himmel hängt voller Wolken. Manchmal tröpfelt es. „Wenn es zu nass ist, bleiben die Erdmännchen in ihrem Bau“, sagt Rudolf – und blickt in entsetzte Gesichter. Aber dann macht er gleich wieder Hoffnung: „So schlecht ist das Wetter aber wohl nicht. Ich glaube, es wird nur etwas dauern.“ Kurz darauf sitzen wir auf Klappstühlen um einen löchrigen Haufen Sand herum, bibbern ein wenig in der morgendlichen Kälte – und warten darauf, dass sich die Tiere zeigen.

Langsam erhellt sich der Horizont. Rudolf erzählt, wie Erdmännchen leben, was sie essen – und dass es seine Zeit gebraucht habe, bis sich die scheuen Tiere an Menschen, die vor ihrem Bau hocken, gewöhnt hätten. Gerade als er das sagt, klettert ein erstes Erdmännchen aus dem Loch, stellt sich am Rand auf die Hinterbeine und beäugt die Umgebung. Wie angekündigt, schaut es durch uns Menschen förmlich hindurch, wir scheinen nicht zu existieren. Nach und nach tauchen weitere Exemplare auf. Zum Schluss sind es 15 Stück, die erst aufrecht herumstehen, nach Feinden wie Schakal oder Kobra Ausschau halten – und sich dann im Laufschritt vom Acker machen. „Die haben Babys unten, ein Weibchen bleibt hier und passt auf, wenn die anderen jagen gehen“, erklärt Rudolf noch. Dann klappen wir die Stühle zusammen und gehen zurück zu den Autos.

Meine Tochter, die bei Erdmännchen bis jetzt nur an Timon aus Disneys „König der Löwen“ dachte, ist müde, aber glücklich: „Toll, so etwas in freier Natur zu sehen!“ Mittags folgt ein Besuch auf einer Straußenfarm, dann geht es schon wieder weiter auf unserer Vater-Tochter-Tour am Kap. Wir fahren zurück in Richtung Küste, vorbei an Wilderness nach Knysna. Der Ort zählt zu den Hotspots der Garden Route und gilt als guter Ausgangspunkt fürs Whale Watching. Weil gerade keine Wal-Saison ist, begnügen wir uns mit einer Bootstour innerhalb der Lagune – vorbei an propperen Anwesen, die Austern-Königen und anderen reichen Südafrikanern gehören. Da wir die letzten drei Nächte in jeweils neuen Unterkünften verbrachten, wird es langsam Zeit, mal wieder irgendwo länger als 20 Stunden zu bleiben. Dafür haben wir uns die Hog Hollow Country Lodge kurz hinter Plettenberg ausgesucht. Sie liegt etwas abseits der N2 und ist so an den Hang gebaut, dass Gästen ein grandioses Waldpanorama zu Füßen liegt. Man kann reiten und wandern, auch der Strand ist nicht weit.

Und dann sind da noch – die Geparden. Sie leben in Tenikwa, einer Aufzucht- und Pflegestation für Raubkatzen und andere Wildtiere. „Können wir da auch hin?“, hatte mich Antonia schon in Hamburg gelöchert, doch der Cheetah Walk, ein einstündiger Spaziergang mit angeleinten Geparden, ist eigentlich erst ab 16 Jahren möglich. „Nur wenn Ihre Tochter groß genug und nicht ängstlich ist, werden die Ranger es erlauben“, hieß es am Telefon.

Vor Ort ist die Sache schnell geklärt. „Ja, das geht“, sagt die Frau an der Kasse. Auch der Ranger nickt und ergänzt: „Aber nicht vergessen – das sind weder Hunde noch Hauskatzen. Geparden sind schnell und haben viel Kraft. Das Tier bestimmt, wann und wie gegangen wird. Zur Not lässt du die Leine einfach los.“ Eigentlich klingt es ja bescheuert, mit einem angeleinten Gepard durch den Wald zu rennen. Aber die Tenikwa-Betreiber versichern, dass es den Großkatzen Spaß mache, weil sie dann mal aus dem Gehege kommen. Und dass beide Geparden, die mit uns laufen, nicht mehr ausgewildert werden könnten. Ihre Aufgabe sei es, Menschen für die Anmut der bedrohten Art zu begeistern – und Eintrittsgelder zu generieren, um die Auffangstation am Laufen zu halten. Am Ende des Cheetah Walks sind wir ziemlich verschwitzt und die Geparden, wieder hinter Gittern, hungrig. Gierig stürzen sie sich auf die vorgesetzten Fleischberge. „Gut, dass die jetzt erst fressen wollen“, sagt meine Tochter und schüttelt sich.

Es bleibt der einzige Kontakt mit Geparden während unserer Tour. Denn dort, wo wir später in freier Wildbahn im fast 100 Quadratkilometer großen Privatreservat Amakhala auf echte Safari gehen, halten sie sich genauso versteckt wie die Leoparden. Zu weitläufig ist das Gelände, und anders als die Löwen, die wir im hohem Gras entdecken, sind Geparden und Leoparden nicht mit einem Ortungschip versehen. Man kennt zwar ihre Lieblingsplätze, dennoch bleiben Begegnungen Glückssache. Ansonsten aber zieht die Natur hier alle anderen Register: Giraffen, Elefanten, Büffel, Zebras und Gnus streifen in Herdenstärke umher, auch Springböcke und Warzenschweine gibt es mehr als genug. Für 48 Stunden in der neu erschaffenen Wildnis von Amakhala ist die Hillsnek Lodge unser Quartier. Sie besteht aus einem Haupthaus und drei Zeltkonstruktionen. Eine kleine Crew kümmert sich um das Wohl der Gäste. Jeweils frühmorgens und spätnachmittags macht Trevor, ein schlaksiger Blondschopf, der seine Jugend in Simbabwe verbracht hat und nun in Südafrika als lizenzierter Wildhüter arbeitet, den offenen Landcruiser startklar. Dann geht es ab ins Gelände, und das ist viel größer als gedacht. Von den 30 Elefanten, die hier umherstreifen und manchmal sogar am Pool der Lodge einen Zwischenstopp einlegen sollen, ist weit und breit nichts zu sehen. Nach einer Stunde, in der wir vor allem Warzenschweinen und Antilopen begegnet sind, die erste heiße Spur: ein Haufen Dung mitten auf dem Weg. Travor stoppt, steigt aus, kickt mit dem Fuß in die Hinterlassenschaft des Elefanten und steckt einen Finger hinein. „Noch warm“, sagt er, und etwas später, als die Gäste über diese Fährtenlesung schmunzeln: „Africa is not for Sissis.“ Spätestens jetzt ist es da, dieses Busch-Gefühl, das uns noch gefehlt hat. Und es wird noch besser, denn natürlich findet Trevor eine Elefantenherde, die sich am Fluss entlang durchs Gebüsch mampft.

Auch Nashörner bekommen wir zu Gesicht – wundern uns aber über den weißen Wagen, der ganz in der Nähe steht. In ihm sitzt ein bewaffneter Wachmann, der aufpasst, dass keine Wilderer den Tieren nahe kommen. Denn leider, auch das lernen wir, sterben in Südafrika jedes Jahr Hunderte der bedrohten Rhinos, weil in Asien die Mär erzählt wird, Medizin aus den Hörnern der Tiere könne Krebs heilen oder die Potenz steigern. Nur deshalb gibt es die aberwitzigen Schwarzmarktpreise von bis zu 80.000 Dollar pro Horn.

Asiaten, die an Heiler und Naturmedizin glauben, sollten vielleicht mal den „Doktor“ in der Langa-Township konsultieren. Er weiß garantiert, dass zerriebenes Nashorn noch niemandem geholfen hat.