Jeppe Nielsen ist Koch und Sammler. Aus dem, was in der Natur wild wächst, kreiert er köstliche Gerichte, die er in seinem Vier-Sterne-Haus serviert.

Küchenchef Jeppe Nielsen tauscht Schürze gegen Anorak. Regelmäßig geht der 38 Jahre alte Koch in die Wildnis Grönlands und sucht - Kräuter. Probiert, probiert aus. Das, was der Meister im Vier-Sterne-Haus Hotel Arctic in Ilulissat zubereitet, ist klare Küche auf höchstem Niveau. Das Restaurant Ulo am Ufer der Disko-Bucht gehört zu den renommiertesten des ganzen Landes, er selbst zu den führenden Köchen Grönlands. Sein moderner, schlichter Kochstil, seine Hingabe an einheimische Produkte begeistert die Gäste im höchsten Norden.

Für Jeppe Nielsen heißt Kochen und Kulinarik auch und vor allem: "essen, was vor der Tür wächst und lebt!" Einheimisch ja, aber moderner. Dabei immer noch frisch und schlicht wie früher. Und überraschend ist das sowieso. Folgen wir Jeppe Nielsen an einem kühlen, klaren Morgen erst einmal nach draußen. Kniehohe Sträucher krallen sich auf den Granit, die Gegend ist karg, viel gibt - so scheint es - die Natur in Grönland gewiss nicht her. Ein wolkenloser Himmel spannt über eine grandiose Einsamkeit, in der Disko-Bucht treiben Eisberge so groß wie Wohnblocks. Abweisend auf den ersten Blick, doch ist das Wasser voll von Fisch und Meeresfrüchten. Und auf dem Land wachsen im kurzen arktischen Sommer Kräuter zuhauf, leben Lamm, Ren und Moschus-Ochse. Dies ist die Trilogie - Fisch, Wild, Kräuter; der Genuss aus Grönland. Der Rest kommt mit dem Flugzeug oder Frachtschiff.

+++Expedition in die Eiswelt+++

Jeppe hat einen Pflanzenführer und den Sammelbeutel dabei, er kniet sich hin und pflückt eine kleine Blume mit zarten weiß-violetten Blüten. "Probier mal; die Blüten schmecken wie Honig und die Wurzeln nach Pastinake!" Das tun sie in der Tat. Pedicularis Hirsuta, ein Sommerwurzgewächs mit dem wenig appetitlichen Namen "Läusekraut", hat einen feinen Geschmack. So ein Kraut nimmt er mit. Und Oxyria Digyna ebenfalls, Jeppe kniet wieder zwischen den Sträuchern und zupft am sattgrünen Bodendecker: Schmeckt angenehm säuerlich-frisch wie Sauerklee - der "Alpen-Säuerling". Der taucht später beispielsweise in Salaten wieder auf.

Auf den Felsen wachsen Flechten. Natürlich probiert Jeppe auch diese Gewächse (Flechten sind eine Lebensgemeinschaft aus Algen und Pilzen). Sie haben je nach Sorte einen ausgeprägten, teils bitteren Geschmack, der mit nichts Küchenüblichem vergleichbar ist. "Wir haben Flechten schon in Desserts verwendet. Zum Beispiel in Verbindung mit Erdbeeren, um deren natürliche Säure auszubalancieren", erklärt Jeppe Nielsen.

+++So werden die Sterne an Restaurants vergeben+++

Ein Ende von Jeppes kulinarischen Expeditionen ist nicht in Sicht: "Wenn ich etwas Schönes oder Interessantes sehe, muss ich es probieren! Und wenn es toll schmeckt, nehme ich es mit", sagt er. Dann wird in der Küche experimentiert. Den Großteil seines Wissens über essbare, mithin in der Küche verwendbare Grönland-Gewächse verdankt er seiner "kindlichen Neugierde" (Jeppe über Jeppe). Und der Tradition: Krähenbeeren sind beispielsweise von alters her ein wichtiger Bestandteil der grönländischen Küche - sie liefern Vitamin C. Viel schiefgehen kann nicht: Bevor etwas Neues auf die Teller kommt, wird getestet und natürlich recherchiert.

Grönlands Pflanzen werden nicht nur gegessen: Zusammen mit Sägemehl verwendet die Küchenmannschaft das Kraut der Krähenbeere zum Räuchern des Heilbutt für das Frühstücksbüfett. Für die Krähenbeeren selbst, welche im späten Sommer in Hülle und Fülle geerntet werden können, gibt es vielfache Verwendungsmöglichkeiten. Man muss es nur probieren - und ausprobieren. In diesem Sommer hat Jeppe Nielsen ein Sorbet daraus entwickelt, "diese Beere ist überhaupt sehr vielseitig: Wir verwenden sie für Marmeladen, Kompotts oder Eis." Und weil er nicht nur ein klasse Koch ist, sondern auch kreativ, gehen Gäste im Ulo mit Blick auf Eisberge in der Bucht und Geheul der Schlittenhunde im Ohr eben auch auf eine kulinarische Grönland-Reise.