An herbstlich nebligen Tagen entdecken Reisende Europas Ruhestätten als Sehenswürdigkeit. In Paris, Wien oder Prag gibt es besonders schöne.
"Der Tod muss so schön sein. In der weichen Erde zu liegen, während das lange Gras über einem hin und her schwankt, und der Stille zu lauschen." Oscar Wilde hat schon zu Lebzeiten den Zauber der Melancholie von Grabstätten besungen; heute liegt er selbst auf einem der schönsten Friedhöfe Europas begraben: Der Cimetière du Père-Lachaise im Osten von Paris wurde 1803 eröffnet. Er ist nach dem Beichtvater von Ludwig XIV. benannt; der hatte den Hügel in bester Lage über der Stadt einst als Fluchtpunkt entdeckt.
Heute wie damals kommen die Pariser gern für eine stille Pause hierher, um dem Trubel der Großstadt für eine Weile zu entfliehen. Beim Bummel zwischen Kapellen und Säulen über das Kopfsteinpflaster fühlt sich mancher mystisch berührt, weil viele der Begräbnishäuser beinahe noch bewohnt wirken. Fast fühlte man sich bemüßigt, nach dem Klingelknopf suchen.
Wer in Père-Lachaise bestattet ist, der hat es im Leben zu etwas gebracht. So treffen sich an dieser Stätte Künstler, Literaten, aber auch Politiker, die sich vermutlich auch im wirklichen Leben gut verstanden hätten. Eine tröstliche Vorstellung: An der einen Ecke fachsimpeln Balzac und Molière, an der anderen stehen Chopin, Bizet und Rossini zusammen. Und dort hinten sitzt Edith Piaf traut vereint mit Jim Morrison und Yves Montand unter den Zypressen.
"Verkauft's mein Gwand, ich fahr in Himmel." Wiens Musikerfürst Johann Strauß hat den ganz besonderen Hang seiner Heimatstadt zum Morbiden treffend auf den Punkt gebracht. Und nirgendwo wird der offenbarer als auf dem Zentralfriedhof. Prunkvolle Tempelchen, verwunschene Arkadengruften und Heerscharen träumerischer Marmorstatuen machen den Gottesacker fast schon zum Melancholiemuseum. Ob die Leich' einmal katholisch, evangelisch oder jüdisch war, darauf kommt es nicht an - der Zentralfriedhof steht allen Konfessionen offen.
Besonders reizvoll ist wegen seines verblichenen Zaubers der verwilderte, alte jüdische Teil. Im Bereich der Gräbergruppe 23 lockt der "Park der Ruhe und Kraft": Fünf Landschaftsgruppen wie Menhir, Platz der Tränen und Steinkreis bieten Besuchern, die an Geomantik glauben, die Gelegenheit, Kontakt mit den Kräften der Natur herzustellen. Das Herz des Friedhofs bilden die über 600 Ehrengräber rund um die Präsidentengruft. Beethoven, Schubert und Brahms ruhen auf der einen Seite. Auf der anderen scheinen Curd Jürgens und Hans Moser im Zwiegespräch zu sein, daneben ruhen Bruno Kreisky und Helmut Qualtinger. Von Qualtinger stammt die bitterböse Bemerkung über die Wiener und ihren Totenkult: "In Wien musst' erst sterben, bevor sie dich hochleben lassen."
Steine hoch, Steine schräg, Steine quer: Auf dem alten jüdischen Friedhof in Prag ist die Vergänglichkeit fast plastisch zu spüren. Auf dem ältesten Grabstein steht das Jahr 1439, er markiert das Grab des Dichters und Lehrers Avigdor Karo. Weil Platz im jüdischen Getto immer schon begrenzt war, wurden die Toten in Lagen übereinander bestattet. So entstanden viele kleine Hügel, und im Laufe der Zeit haben sich die Grabsteine untereinander, nebeneinander und ineinander geschoben. An manchen Stellen hat man bis zu zwölf Schichten festgestellt. Heute führt ein schmaler Weg durch das Gewirr der Gräber. 12 000 Grabsteine stapeln sich an diesem Ort, darunter ruhen 200 000 Menschen. Der bekannteste ist Rabbi Löw, um den sich viele Legenden ranken. Er gilt als Erschaffer des Golem, jenes Kunstwesens ohne Stimme aus der jüdischen Geheimlehre, das durch eine magische Spruchformel aus dem Buch der Schöpfung zum Leben erweckt werden kann. Der jüdische Friedhof war all die Jahre aber auch der einzig grüne Platz im Getto der Prager Altstadt. Er diente daher auch als Park. Hierher kam man, um frische Luft zu atmen, der dunklen Enge zu entfliehen und sich an den schönen Grabsteinen zu erfreuen. Sie sind geschmückt mit Weintrauben, dem Zeichen für Fruchtbarkeit, oder mit Löwen, Gänsen und Bären, welche die Familiennamen symbolisieren. Musikinstrumente und Handwerkszeug erzählen vom Beruf des Toten. Die Steinchen, die auf den meisten Grabmälern liegen, sind übrigens Gesten der Erinnerung, ähnlich wie Blumen auf christlichen Gräbern - nur haltbarer.
Natürlich lohnt auch ein Besuch in Ohlsdorf - auf dem größten Parkfriedhof der Welt mit beeindruckenden Grabstätten. Jetzt ist die Zeit, um dort mal über sich und das Leben nachzudenken und die Ruhe wirken zu lassen.