Wer mit Familie nach Florida fährt, trifft auf Glitzermetropolen und Palmenstrände. Eine Rundtour, auf der auch die Kinder bei Laune bleiben
"Die Straße kenne ich", ruft Nima, als wir die Brücke überqueren, die von Downtown nach Miami Beach führt. "Stimmt", sagt Navid, "ist wie in 'Gangster Miami'." Offenbar hat unser Neunjähriger seinem drei Jahre älteren Bruder über die Schulter geschaut, als der während des Fluges am iPod spielte und auf der Flucht vor der Polizei denselben Weg nahm wie wir gerade. Am Ocean Drive, der Flaniermeile in South Beach, an der teure Sportwagen parken und wo Menschen in den Cafés neugierig nach deren Besitzern Ausschau halten, kommen dann auch meinem Mann und mir Abziehbilder in den Sinn, allerdings aus einer Zeit, in der es noch keine iPods gab. Dafür waren weiße Sakkos mit Schulterpolstern in Mode und Cops, die auf Yachten lebten und im roten Ferrari durch die Fernsehserie "Miami Vice" sausten. Eine Floridareise ist eben immer auch ein Besuch bei den eigenen Klischees.
Nach vier Tagen in der Glitzermetropole meinten die Jungs dann allerdings, Miami sei in echt viel aufregender. Da hatten wir zum ersten Mal im Leben in einem Hochhaus übernachtet, noch vor dem Frühstück aufs Meer geblickt und die Jogger am Strand gezählt. Wir hatten uns den pastellfarbenen Art-déco-District angesehen, die knallbunten Graffiti-Fassaden im Künstlerquartier Wynwood und waren auf Key Biscayne einem quietschgrünen Leguan über den Weg gelaufen. Zu Salsa-Klängen aus dem lokalen Radiosender waren wir der Calle Ocho, der Lebensader des Kubaner-Viertels Little Havanna, gefolgt, bis sie als Tamiami Trail in die Everglades führt, vorbei an ziemlich modernen Indianerdörfern und hinein in die uralten Sümpfe. Wir hatten am Biscayne Boulevard nördlich von Downtown das Andiamo entdeckt, eine großartige Pizzeria in einer ehemaligen Autowaschanlage, und waren in dem Einwandererviertel Little Haiti Pater André begegnet, einem Priester, der in seiner "Botanica", einem haitianischen Voodooladen, unglaublichen Krimskrams hortet. Darunter eine Totenkopf-Kerze, mit der Nima nun sein Zimmer vor bösen Geistern schützt.
Außer Miami hatte zunächst nur Orlando einen festen Platz in unserer Urlaubsplanung gehabt. Den Kindern die Vergnügungsparks vorzuenthalten, kam nicht infrage. Aber was würden wir noch sehen wollen: Ostküste oder Westküste? Atlantik oder Golf? Surferwellen oder karibische Strände? Alles natürlich! Blieb die Frage nach der richtigen Dramaturgie: Sollten wir als Kontrastprogramm zur Großstadt Miami gleich Sanibel Island ansteuern, wo kein Haus höher als eine Palme sein darf? Oder umgekehrt: uns auf der naturbelassenen Insel im Golf von Mexiko vom Freizeitstress Orlandos erholen? Eine Florida-Kennerin mit Kind riet uns: erst die Vergnügungsparks, dann der Badeurlaub. Als ich in den Universal Studios in einem begehbarem Comicstrip folgenden Spruch entdeckte, musste ich an sie denken: "I'm going to need a vacation from this vacation" stand dort in einer riesigen Sprechblase. Ich werde Urlaub brauchen von diesem Urlaub.
Zum Glück führte unser Weg erst einmal die entspannte Ostküste hinauf. In Boca Raton, wo der Kino-Film "Tortuga" gedreht worden war, machten wir halt. Hier fließt der Golfstrom, von dem sich Meeresschildkröten um die Welt treiben lassen, bis sie zum Brüten an den Strand ihrer Geburt zurückkehren, besonders dicht am Land entlang. Aus Rücksicht auf die bedrohten Reptilien, die sich bei Licht verirren, sind die Ampeln an der Küstenstraße während der Brutsaison ausgeschaltet. Im Gumbo Limbo Nature Center, einem Naturerlebnispark, werden kranke oder verletzte Schildkröten liebevoll aufgepäppelt. Ehrenamtliche führen Besucher durch ihre Einrichtung, zu der auch ein Schmetterlingspark und ein kleiner Regenwaldpfad gehören.
Im Kennedy Space Center, das mein Mann als Kind der Apollo-Ära auf die Agenda gesetzt hatte, sahen wir erst mal Alligatoren, die dort in Wassergräben rumlungern, weil sich die Sicherheitszone um Cape Canaveral zum größten Tierschutzgebiet der Ostküste entwickelt hat. Dann kletterten wir in ein ausgedientes Spaceshuttle und erlebten im Shuttle Launch Simulator, wie es sich für echte Astronauten anfühlt, ins Weltall katapultiert zu werden: Ich hatte das Gefühl, meine Gesichtshaut rutsche hinter die Ohren, und war dankbar, dass meine mutigen Söhne mir die Hände hielten, als uns beim simulierten Raketenstart außerirdische Kräfte in den Sitz pressten. Am nächsten Tag landeten wir in Cocoa Beach, einem Badeort an der Space Coast, wo sich die Wellenreiter bei Ron Jon einkleiden, einem Surfershop, so groß wie eine Mall, in dem selbst moderesistente Jungs ins Flip-Flop-Fieber geraten. Während die Amerikaner in den Kneipen auf dem Pier längst vor Tellern mit Shrimps und Austern hockten, kamen Nima und Navid erst wieder aus den Wellen, als ich berichtete, was im Reiseführer stand: dass es bei Einbruch der Dunkelheit gefährlich wird, weil dann die Haie nach Beute Ausschau hielten.
Einem Hai sind wir dann doch noch begegnet, dem weißen von Steven Spielberg, bei Jaws, einer Attraktion in den Universal Studios in Orlando. Die Kinder hatten die Wahl: Disney oder Universal? Mickey Maus & Co. sei wohl eher Mädchensache, orakelten sie, und wollten lieber Spiderman, den Terminator, die Simpsons und Harry Potter treffen. Und so standen ihre Eltern zwei Tage lang mit ihnen in den beiden Universal Parks an 3-D-Kinos und Fahrgeschäften an. Und sorgten sich, ihre Söhne könnten aus den rasanten Achterbahnen, in die sie sich selbst nicht reintrauten, rausgeschleudert werden - weil es zwar für Dicke XXL-Sitze gibt, aber keine XXS-Modelle für europäische Durchschnittskinder. Nur einmal begleiteten wir sie, dahin, wo Muggeleltern sonst der Zutritt verboten ist: nach Hogwarts, Teil der Wizarding World of Harry Potter, einem Hybrid aus Achterbahn und grandioser Hightech-Illusion, die einem vorgegaukelt, man fliege auf einem Zauberbesen und spiele mit Harry Quidditsch.
Die Rückkehr in die bezaubernde Realität fiel den Kindern nicht leicht, zumal sie einen Besuch des Premium Outlets am International Drive bedeutete. Die angemessene Kompensation für unseren Langmut, fanden wir, und erklärten unseren Einkaufsmuffeln, warum wir angesichts des günstigen Dollarkurses extra Platz in den Koffern gelassen hatten und was "Shop until you drop" bedeutet: Einkaufen bis zum Umfallen. Während des restlichen Urlaubs kamen wir dann jedoch so gut wie ohne Kleidung aus, dafür waren die Badehosen im Dauereinsatz.
Auf dem Weg nach Sanibel Island besuchten wir in Fort Myers die "Edison & Ford Winter Estates", die Winterresidenzen von Thomas Alva Edison und seinem Freund und Nachbar, dem Autobauer Henry Ford. Und erfuhren, dass der geniale Erfinder nicht nur mit Glühbirnen und Phonographen experimentiert hatte, sondern auch mit Pflanzen, weshalb sein Anwesen einem botanischen Garten gleicht - mit Alleen von Mangobäumen und gigantischen Banyan-Feigen, deren Wurzelwerk aussieht wie ein Haufen Riesenmakkaroni.
Sanibel, diese nahezu karibische kleine Insel, holte uns vollends in die Wirklichkeit zurück, allerdings in eine fast märchenhafte. Wir sahen Pelikane, die vor unserer Nase Fische aus dem Meer schnappten, und weiße Schmuckreiher mit schwarzen Beinen und gelben Füßen, die dazu zu faul sind und lieber den Anglern am alten Leuchtturm den Fang stehlen. Auf Captiva, der durch eine kleine Brücke mit Sanibel verbundenen ehemaligen Pirateninsel, dümpelten Seekühe im Yachthafen und tobten Delfine hinter dem Ausflugsdampfer her, der dort ablegt. Im J. N. "Ding" Darling National Wildlife Refuge hüpften lustige Fische aus dem Wasser, während wir durch die dichten Mangrovenwälder des Naturschutzgebietes paddelten. In der Tierklinik CROW sahen wir, wie verletzte Wildtiere und Waschbärenwaisen fit gemacht werden für ihre Rückkehr in die Natur. Und am Strand brauchte Navid nicht mal eine Schaufel, weil sich dort die Muscheln türmen, darunter handgroße, mit denen es sich ganz prima Buddeln lässt.
"Irgendwie ist hier in Amerika al-les größer als bei uns", meinte Navid, als wir abends in unserem Lieblingsrestaurant R.C. Otter's vor großen Portionen saßen. "Die Burger, die Autos, die Hochhäuser." "Stimmt", sagte Nima. "Und nicht zu vergessen: Die Vergnügungsparks, die Bäume - und sogar die Muscheln."