Mit mehr als 300 km/h im Hochgeschwindigkeitszug AVE unterwegs durch La Mancha, das Land des Don Quijote
Noch 20 Minuten bis zur Abfahrt des AVE 05100 nach Valencia. Wir schlendern durch einen tropischen Garten, Welten entrückt vom Getriebe der Hauptstadt - und doch noch mitten im Herzen Madrids. Atocha, einer der beiden Fernbahnhöfe der spanischen Metropole, wurde vor knapp 20 Jahren zur Hälfte in einen Palmenpark verwandelt. Üppiges Grün wuchert unter der Jugendstilkuppel aus Gusseisen und Glas, die um 1890 herum errichtet wurde.
Der Zug in die Zukunft steht an Gleis 1 zum Einsteigen bereit, 200 Meter futuristische Eleganz. Martha lächelt an der Tür zum Wagen Nr. 9. Es ist ein stolzes Lächeln, Martha ist Zugbegleiterin und erst seit dem 10. Dezember 2010 bei Renfe angestellt, der spanischen Eisenbahn-Gesellschaft. Seit diesem Tag verbindet der Hochgeschwindigkeitsexpress die quirlige Hauptstadt mit Valencia, der neuen Trendstadt am Mittelmeer, eine ideale Kombination für den boomenden Städtetourismus. Die Fahrtzeit ist von über vier auf gut anderthalb Stunden geschrumpft.
Die Lokomotive mit dem Entenschnabel zieht einen von 86 Zügen, die täglich mit bis zu 300, einige wenige sogar mit 350 Stundenkilometern durch Spanien gleiten. Die erste superschnelle Verbindung wurde 1992 zwischen Madrid und Sevilla eröffnet. Heute belegt Spanien mit seinem Highspeed-Netz von gut 2100 Kilometer hinter China und Japan den dritten Platz in der Welt, deutlich vor Frankreich und Deutschland. Nahezu lautlos schließen sich die Türen, sanft setzt sich die Ente von Talgo, dem spanischen Unternehmen mit der längsten Erfahrung im Bau ultraleichter Gliederzügen, in Bewegung. Die Ausstattung in der Touristenklasse wirkt hell, freundlich, funktional; sie entspricht der ersten Klasse eines ICE. José, ein mürrischer Kollege von Martha, die wir später im Barwagen fröhlich lachend wiedersehen, verteilt Kopfhörer. Zumindest einer der vier Musikkanäle, zwischen denen wir die Wahl haben, kommt uns spanisch vor: Flamenco auf dem Endlosband. Aber auch Nachrichten und einige Informationen zum Zug sind zu empfangen, allerdings nur in der Landessprache.
Die Vorstädte von Madrid fliegen vor dem Fenster vorbei, die Anzeige auf dem elektronischen "Tacho" über der Tür zum nächsten Waggon steigert sich rasch: 120, 140, 180 Stundenkilometer. Draußen macht das zersiedelte Suburbia einer nahezu vegetationslosen Landschaft Platz; wir rauschen durch La Mancha, Spaniens größte Hochebene, Heimat der literarischen Figur des Don Quijote. Gleich darauf bedecken Weinplantagen über viele Kilometer die flache Region, dann wieder nur rostrote Erde und ein paar Bäumchen bis zum Horizont. Ein trockenes Land, so wirkt es selbst aus dem Schnellzug, und das ist auch die Bedeutung der ursprünglich arabischen Bezeichnung: Al Mansha.
Manchmal legt sich die Ente leicht abgebremst, aber keineswegs quietschend, in eine Kurve. Sofort danach zieht der Lokführer das Tempo wieder an: 260 Stundenkilometer, 280, 295 ... Señor Rodriguez, mein Sitznachbar, wird unruhig, nicht weil es ihm zu schnell ist, er zückt die Digitalkamera. Fünf Minuten muss er warten, dann springt die Anzeige auf 300, für Sekunden sogar auf 303 km/h. Alberto Rodriguez, 65 Jahre alt und Winzer von Beruf, schickt das Beweisfoto sofort an seinen Enkel Carlos. Danach hat er Zeit, mir temperamentvoll von den guten Tropfen der Mancha, Spaniens größtem Weinbaugebiet, vorzuschwärmen.
Die Rotweine aus La Mancha hatten über Jahrzehnte den Ruf solider Tisch- und Landweine, gut genug für den Eigenbedarf der Region. Seit zehn oder 15 Jahren aber ist viel Geld und Herzblut investiert worden, und nicht nur Señor Rodriguez exportiert seither drei Viertel seiner Weine in alle Welt, immer häufiger auch nach Deutschland. Einige Etiketten auf den Flaschen der Mancha-Weine zeigen das Symbol des Landstrichs, die Windmühlen.
Kaum sprechen wir darüber, sehen wir auf den Hügeln Dutzende jener Mühlen, gegen die der Held der Region, Don Quijote de la Mancha, in Miguel Cervantes` weltberühmtem Werk so ausweglos gekämpft hat. Wein, Windmühlen, der Ritter von der traurigen Gestalt, sein Gaul Rosinante, sein Gefährte Sancho Panza ... Viel Gesprächsstoff auf dem schnellen Weg durch die große Ebene. Cervantes hat es schon vor 400 Jahren gewusst: "Wer viel liest und viel reist, sieht vieles und erfährt vieles."
Um 12.18 Uhr, 98 Minuten nach dem Start in Madrid, läuft die superschnelle Ente pünktlich und alles andere als watschelnd in den neuen Bahnhof von Valencia an. Kühl und futuristisch wirkt er, dem Zug der Zeit angepasst. Aber die Valencianos haben auch eine Brücke zur Vergangenheit zu schlagen gewusst: Die Station ist nach Joaquin Sorolla benannt, einem Maler des Impressionismus, einem der bedeutendsten Söhne der Stadt. Und gleich wird Alberto Rodriguez im avantgardistischen Ambiente der Lounge - früher hieß so was Wartesaal - eine Gruppe guter Kunden zu einer Weinverkostung begrüßen.
Der Zug verbindet bis zu 15-mal täglich Madrid und Valencia. Weitere superschnelle Züge (die nicht alle wie Enten aussehen) verkehren u. a. zwischen Madrid und Sevilla, Malaga, Zaragoza und Valladolid. Eine Fahrt von Madrid nach Valencia in der Touristenklasse kostet regulär ca. 80 Euro; im Internet, weit im Voraus gebucht, kann es günstiger werden. Unser Autor hat knapp 50 Euro bezahlt. Buchungen: www.renfe.com oder z. B. über Ibero Tours in Düsseldorf, Tel. 0211/864 15-20, www.ibero.com