Zum 100. Jahrestag der deutschen Jugendherbergen geht der Blick nicht nur zurück, sondern auch nach vorn.
Abendblatt: Das Jugendherbergswerk feiert in diesem Sommer seinen 100. Geburtstag. "Herbergen für wandernde Volksschüler", ausgestattet mit Strohsäcken, "Koch- und Brausegelegenheiten", das waren im Sommer 1909 die Anfänge. Aber auch die ältere Generation unserer Tage erinnert sich noch an Muckefuck, Graubrot, Kernseife und Zapfenstreich abends um zehn Uhr. Was hat sich geändert in der guten alten Jugendherberge?
Angela Braasch-Eggert: Jugendherbergen haben sich längst den Standards und Gewohnheiten unserer Zeit angepasst. So können die Gäste etwa zwischen unterschiedlichen Teesorten, Bohnenkaffee und Kakao wählen und sich an gesunden Frühstücksbüfetts bedienen. Abends gibt es oft regionale Spezialitäten. Schlafsäle sind durch Zwei- bis Sechsbettzimmer ersetzt, überwiegend mit eigenen Bädern und Toiletten. In vielen der über 500 deutschen Herbergen kann man seine Mails am Computer checken. Und die Regeln sind natürlich liberaler: Großstadtjugendherbergen haben bis spät nachts geöffnet, man darf gern auch mit dem Auto anreisen und auch unverheiratete Paare dürfen selbstverständlich im Doppel- oder Familienzimmer übernachten.
Abendblatt: Sind aus Herbergseltern inzwischen Hotelmanager geworden?
Braasch-Eggert: In manchen Großstadtherbergen ist die Leitungstätigkeit teilweise durchaus mit ähnlichen Jobs in der Hotellerie vergleichbar. Aber die Atmosphäre ist doch eine völlig andere. Noch immer holen einige Herbergseltern zuweilen ihre Gitarre raus und musizieren, gern auch mal am Lagerfeuer, mit den Gästen aus aller Welt und niemand findet das altmodisch. Wir pflegen Traditionen, gehen aber ohne Muff fröhlich in die nächsten 100 Jahre.
Abendblatt: Das klingt gut. Was ist aber konkret geblieben von den Idealen des Gründers Richard Schirrmann - "Heimat in der Ferne", "wandernde Schule", "zurück zur Natur" ...?
Braasch-Eggert: Richard Schirrmann war Reformpädagoge und hat vor allem neue soziale Akzente gesetzt, die bei uns bis heute gelebt werden: Toleranz, interkulturelle Begegnungen, Neugier und Wissbegierde, gesunde Lebensweise und Umweltbewusstsein - 100 Jahre alte Ideale, die ganz aktuell sind.
Abendblatt: Das DJH ist auch ein großer Reiseveranstalter, bietet weltweite Aktiv- und Erlebnisferien für Singles, Familien, Kinder und Schulklassen, Schüleraustausch, Programme in der Dritten Welt und sogar Auszeiten "für Body and Soul" an. Was unterscheidet DJH-Reisen von kommerziellen Veranstaltern?
Braasch-Eggert: Sehr viel: Wir sind ein gemeinnütziger Verein. Deshalb finden unsere Programme fast nur in Jugendherbergen statt. Sie müssen unseren Zielen, aber auch steuerrechtlichen Kriterien entsprechen. Jugendaustausch, zum Beispiel mit Frankreich oder Polen, wird nach den Kriterien der entsprechenden Jugendwerke gefördert.
Abendblatt: Jugendherbergen stehen Reisenden aller Altersgruppen offen, werden immer öfter von Familien, alleinerziehenden Müttern und Vätern genutzt. Ist also aus dem Wanderlager ein modernes Budgethotel geworden?
Braasch-Eggert: Wir sind gewiss günstig, aber von "normalen" Billigunterkünften unterscheiden wir uns meilenweit, schon durch die besondere Atmosphäre. Dazu gehört ganz bewusst auch die Mithilfe unserer Gäste beim Bettenbauen, Stubefegen, Tischdecken. Wir wollen mehr bieten als "Bett und Brötchen" für die billige Tour. Und das wird auch so bleiben.