Der Rock-Blog von Uwe Bahn - direkt von Bord
Tag 1
Klar zum Entern - wir sind an Bord. Eingecheckt auf den Rock-Liner ("Mein Schiff" von TUI Cruises). Vier Tage Rock the Boat Richtung London. Die 2000 Passagiere kommen eine Stunde nach uns. Schon der Bustransfer vom Hotel Atlantic zum Schiff - eher ein Seaside Shuttle. Alle da: Panik Orchester, Nina Hagen und Udo Lindenberg. Der hat sich extra eine Captains-Udoform schneidern lassen. Udo unter uns: Ich bin nicht sicher, ob die Abzeichen an der Jacke das Steuern von Hochsee- oder Binnenschiffen erlauben. Jan Delay kommt zu spät. Das sagt sein Name ja schon. Udo hält eine Ansprache im Bus, von wegen "Lebenstraum mit dem Rock-Liner erfüllt". Das hat sich ja in den 70iger mit der Andrea Doria schon angekündigt.
Check-In am Cruise-Terminal Hamburg. Der sieht eher so aus, als würden wir ein Frachtschiff besteigen. Trotzdem: Alle bester Laune und - kaum zu glauben - alle kommen durch den Sicherheitscheck. Udo muss den Panik-Gürtel, das Jacket ablegen - den Hut darf er aufbehalten. Erste Orientierung an Bord: Bars, Restaurants, Theater - die drei Grundbedürfnisse sind abgedeckt.
Dann der erste Soundcheck im Casino: Das Panik-Orchester geht heute Abend zur ersten Jam-Sesssion auf die Bühne. Morgen Abend die erste Show. Aber vorher das erste Highlight: Rettungsübung. Udo Lindenberg mit Hut und Schwimmweste - das gibt’s nur auf’m Schiff. Um 19 Uhr sticht der Rock-Liner in See. Und Udo juckt es: Zwei Songs zum Anlaufen...entscheidet er kurzfristig. Aber sonst war heute wieder alles klar...
Tag 2
Wir sind auf See. Der Rock-Liner dümpelt im erschreckend friedlichen Ärmelkanal, Kurs Dover/London. Der Himmel - fast wolkenlos. Die Panik-Passagiere aalen sich in Udo-Merchandising-Shirts auf den Liegen. Sonnenbrille muss heute sein. Nicht nur wegen der Sonne. Es war für viele eine kurze Nacht. Und ein ereignisreicher erster Tag auf dem Rock-Liner. Zum Auslaufen in Hamburg standen sie alle an der Reling. Und Udo Lindenberg sang "Goodbye Sailor" - das wird die Rock-Liner Hyme auf dem Törn werden. Bodyguard Eddy Kante hat am Abend Muskelkater - ständig muss er seinem Panik-Schutzbefohlenem den Weg bahnen. Das werden fünf Tage Autogrammstunde - viel Spaß! Aber Udo mischt sich unters Panik-Volk. Das haben sie eben alle mitgebucht. Und so steht er bei der Rettungsübung brav neben ihnen: Mit Rapper-Pudelmütze und Schwimmweste. Besser isses. Schließlich ist die Andrea Doria gesunken. Damit das dem Rock-Liner nicht auch blüht, immer wieder Durchsagen: "Rauchen Sie bitte nur in den ausgewiesenen Raucherzonen!" TUI-Cruises-Chef Richard Vogel weist jeden Passagier persönlich dezent auf die Aschenbecher hin. Schließlich gibt’s für die Reederei auch noch ein Kreuzfahrtleben nach dem Rock-Liner.
Abends auf der Casino-Stage Jam-Session. Teile des Panik Orchesters rocken den Raum. Auf anderen Schiffen tanzen vermutlich zur selben Zeit Passagiere zum Silberhochzeit-Sound. Davon sind die Protagonisten des Abends weit entfernt. Und auch für "betreutes Rocken" hat Udo noch ein paar Jährchen und Likörchen Zeit. Er nippt an seiner Cola light. Und nascht Eierlikör-Schokolade (!) Und dann hält es ihn nicht länger - er steigt in ein in die Cruise-Comby: "Johnny B. Goode". "Ich kann nur die erste Strophe erzählt er mir", erzählt er mir. Geschenkt. Ist halt ein Deutsch-Rocker. Beim Abgang hat Eddy Kante wieder reichlich Arbeit. In der Bord-Disco ist auf dieser Tour Lady-Gaga-Verbot. Stattdessen: AC/DC, Status Quo und Led Zeppelin bis in den frühen Morgen. Übrigens: Wo ich das hier in die Tasten tippe, heiratet gerade ein Panik-Pärchen in der X-Lounge. Trauzeuge Lindenberg fällt allerdings aus. Der probt im Theater für die erste Show heute Abend. Dresscode für die Passagiere: Lederjacke & Hut. Aber sonst ist heute wieder alles klar...
Tag 3
Land in Sicht! Von meinem Ausguck (Hängematte auf’m Balkon) kann ich schon Dover sehen. Von da soll es durch die Rush Hour gen London gehen. Rock’n'Roll-Tour. Ma gucken. Gestern Abend die erste von zwei Udo-Shows an Bord. Fast drei Stunden spielt der Mann! Der hat richtig Lust auf den Rock-Liner! Auf See ist der Panik-Captain in seinem Element. Das Schiff schwankt etwas, dazu Udos coole Cruise-Choreografie - das sieht dann leicht "rolling stoned" aus. Wie auf der Festlandstour schwebt er mit der Raumkapsel von der Decke und entsteigt als Udonaut. Und dann das volle "Stark wie zwei" - Programm: "Mein Ding" (Warum war das eigentlich keine Single?), "Wenn Du durchhängst", "Der Greis ist heiß".
Und nicht nur der Greis ist heiß. Der Text aus Honky Tonky Show trifft auf den Punkt: "Im Saal ist es heiß wie inner Sauna!" Ich frag’ die Reederei mal, was die Klimaanlage eigentlich beruflich macht. Jan Delay steigt mit auf die Bühne zum Duett an Deck. Ist übrigens ein sehr netter Typ! Das Publikum knipst sich mit den Kameras einen digitalen Wolf. Viele haben Udo den ganzen Abend nur durch den Sucher gesehen... Und Udo erzählt. Vom Mädchen aus Ost-Berlin, von der Kreuzfahrt, die früher Reisen mit Greisen war (Den Vers hab’ ich ihm mal gesteckt). Und dass alle, die Ihre Klampfen mithaben, heute bei der Midnight-Session jammen können. "Candy Jane" wird geübt. Das soll schließlich gemeinsam an der Reling gerockt werden, wenn der Rock-Liner wieder in Hamburg einläuft. "Ist easy, nur drei Griffe. A-E-D - wir gehen auf Tournee!" (O-Ton Lindenberg, manchmal ist er genial).
Bodyguard Eddy Kante serviert derweil dem Vortragenden Eierlikör. Bitte nicht zu viel! Das könnte den Seegang auf der Bühne verstärken und außerdem braucht der Meister das Zeug auch noch zum Malen seiner Likörelle (kann man auch an Bord kaufen). Jeder spürt: Er hat so eine Lust auf diesen Rock-Liner - hier wird ein Traum wahr. 45 Minuten Zugaben! ("Andrea Doria", "Sonderzug", und, und, und) Mit einem letzten Likörchen wird die Stimme geölt. Udo, ich rede mal mit den Behörden, ob Du heute am Kreidefelsen von Dover knabbern darfst. Das ist gut für die Stimme. Und auf Dauer gesünder. Schließlich wollen wir doch die nächsten zehn Jahre gemeinsam mit dem Rock-Liner zur See fahren. Aber sonst ist heute wieder alles klar...
Tag 4
Hamburg - are you ready to rock? Wir sind schon auf Heimat-Kurs. Gegen 21.30 Uhr wird der Rock-Liner mit Panik-Captain Lindenberg beim Hafengeburtstag auf der Standby-Position einparken. Bis dahin hat Udos Soundspezi Norbert alles an die Reling gestellt, was Marshall jemals an Verstärkern gebaut hat. Wir werden uns in Ruhe das Feuerwerk anschauen und dann fahren wir vor (Queen Mary 2, bitte Platz machen, für Dich bleibt heute leider nur die Teatime). Hundert Rock-Liner Gitarristen sind hungrig, sehr hungrig. Dann wird Udo das Geburtstagsständchen rocken, das wir hier jede Nacht proben bis die erste Morgenmöwe uns in den Schlaf kreischt.
Gestern Abend die zweite Show von Udo im Theater. Panik perfekt. Da saß alles. (Nein Udo, man hat nicht gehört, dass Du höllisch erkältet bist). Da steht dieser Typ zweieinhalb Stunden auf der Bühne, Bodygard Eddy Kante eskortiert ihn durch die Decks und dann steigt dieser Lindenberg zur Jam Session auf die Casino-Bühne. Setzt sich ans Schlagzeug, als wolle er die Titanic wieder nach oben trommeln. Und alle, die 'ne Klampfe halten können, steigen ein. Und immer wieder das Bad in der Menge (Udo, es gibt doch auch Duschen auf den Kabinen). Übrigens liebe Mitreisende: Ihr braucht keine Angst vor Eddy Kante zu haben - er will nur spielen...
Gespielt haben wir gestern auch im Rock-Museum in der O2-World in London („British Music Experience“). Jeder konnte da mit Gibson-Gitarren einem Computer-Coach nachspielen. Interaktiver Musikunterricht. Supersache. Auch die Zeitreise durch 60 Jahre britische Rockgeschichte. Der Rock-Trip hat sich gelohnt. Danach noch die Kreditkarte in der Oxford Street zum Glühen gebracht und den HMV-Store leergekauft (Robert Plant Solo-Album, Best of Lynyrd Skynyrd, die cruisen übrigens auch). Die anderen Ausflüge waren weniger rockig. Touri-Pflichtprogramm - britisch Basics. Hey, wir wollen auf dieser Tour Rockingham und nicht Buckingham. Und wir wollen auch nicht noch mal eine Stunde im Dover-Terminal warten. Nur weil so ein englischer Johnny Controlletti das nicht geregelt kriegt. Dann serviert zur Überbrückung zumindest Eierlikör. Das stimmt die Panik-Passagiere in der Regel milder.
So, ich muss auf meine Kabine. Lederjacke an, Klampfe holen. Das Highlight Hafengeburtstag wartet. Ich drücke den Fahrstuhl, die Tür öffnet sich und: Der ganze Lift ist voller Udos! Es sind ein Dutzend Doppelgänger an Deck. Aber sonst ist heute wieder alles klar...
Tag 5
Was sich da gestern Abend im Hamburger Hafen ereignet hat, davon werde ich meinen Enkeln später nichts erzählen. Denn sie werden es mir nicht glauben. Sie werden nicht glauben, dass da ein vom Wahnsinn geschickter Sänger mit Hut ein riesiges Schiff gekapert hat. Und dass er dieses Schiff fünf Tage in Grund und Boden gerockt hat. Mit 2000 Passagieren, mit dem Panik-Orchester, mit Jan Delay mit Nina Hagen. Ein Passagier schreibt gerade diese Zeilen und fragt sich ernsthaft, wie er jemals wieder in das bürgerliche Leben zurückfinden soll. Dieser Rock-Liner von Udo Lindenberg wird in die Geschichte der Seefahrt eingehen.
Es ist 22 Uhr als wir den Hamburger Hafen erreichen. Langsam schiebt sich der Rock-Liner auf die Warteposition. Direkt vor Bloom & Voss. Dort wo Schiffe geflickt werden, damit sie danach wieder auf See können. Hamburg feiert seinen Hafengeburtstag, die Stadt funkelt und wir erkennen die Menschenmassen, die da auf der Kaimauer warten. Ich stehe auf Deck 12. Udos Soundexperte Norbert hat bis zum Horizont alles voller Verstärker gestellt. Marshall-Amps so weit das Auge reicht. Und ich bin mir sicher: Hinterm Horizont geht’s weiter.
Kennen Sie die kleinen roten Lampen an diesen Boxen, die bedeuten "Standby". Alle Amps sind "standby" - sie glühen vor. Und dann kommen immer mehr Leute, die eine E-Gitarre um den Hals haben. Und immer mehr stöpseln ihre Kabel-Klinken in die Verstärker. "Highway to Hell" dröhnt es, "Smoke on the water" oder "Brown Sugar". Die Rock-Liner Heroes üben ihre Riffs. Denn gleich nimmt der Wahnsinn hier seinen Lauf. Ich sehe nur noch Gitarren und glühende Amps um mich herum. Noch zehn Minuten.
In diesem Moment taucht an unserer Backbord Seite die Queen Mary 2 auf. Schüchtern fährt sie an uns vorbei, als wolle sie sagen: "Viel Spaß, aber wir haben hier nichts mehr verloren." Deren Passagiere haben keine Klampfen, sondern Krawatten um. Gute Fahrt und angenehme Nachtruhe. Die Schiffsschrauben des Rock-Liners beginnen sich zu drehen. Wir nehmen Fahrt auf. Dann kommt Udo. Und es beginnen zwanzig Minuten, die hier keiner mehr vergessen wird. Die ersten Keyboard-Klänge von Odyssee. Und jetzt wird erst klar, was Norbert hier alles aufgetürmt hat: Wir rocken auch für Kiel, Neumünster und Rendsburg. "Odyssee, Odyssee - keiner weiß wohin die Reise geht!" Das Panik-Orchester spielt mit einem Druck von Deck - dieser Rock-Liner ist eine Revolution. Die ersten SMS surren auf meinem iPhone ("Das glauben wir nicht").
Und dann kommt der Moment für die Panik-Passagiere. Hundert Gitarristen rocken an der Reling! Und dann steigt Udo ein: "Ich hab’ jeden, jeden Film von Dir geseh’n, Candy Jane. Du auf’m Pferd zusammen mit John Wayne!" Hermjo Klein, Udo’s Tourmanager, wischt sich Tränen aus den Augenwinkeln. "Das gibt es nicht!" Und er hat immerhin schon die Rolling Stones Tournee gemacht. Dieser Udo L. ist wirklich von einem anderen Stern. In den Achtzigern hat er die Mauer mürbe gesungen, dann das große Comeback und jetzt beginnt ein neues Kapitel der Kreuzfahrt. Um Mitternacht legt der Rock-Liner an. Ich habe gerade gefrühstückt, und die Passagiere checken sprachlos aus. "Das können wir keinem erzählen." Und schon gar nicht den Enkeln. Thanx, Udo. Am 28. August startet der zweite Rock-Liner von Kiel. Wieder mit "Mein Schiff" von TUI Cruises (Reederei-Chef Richard Vogel - alle Achtung für den Pioniergeist!). Rock-Liner zwei - ich bin dabei: "Odyssee, Odyssee – keiner weiß wohin die Reise geht!"