Ahrensburg. Ahrensburger jubeln über Neuregelung des Deutschen Fußball-Bunds. Künftig darf auch mitkicken, wer weder Mann noch Frau ist.
Emma (24) und Mary (26) sitzen vor einer Kneipe an der Langen Reihe nahe dem Hamburger Hauptbahnhof. „Offen für alle“ steht in großen Buchstaben über dem Eingang. Der Slogan ist Programm, der Laden auch ein Treffpunkt für Menschen, die ihr Alsterwasser nicht überall entspannt trinken können.
An diesem Wochenende werden die beiden jungen Frauen wieder auf dem Fußballplatz stehen. Für das Fußballteam der Roter Stern Kickers aus Ahrensburg, das in der Frauen-Kreisliga antritt, startet die Vorbereitung auf die neue Saison. Trainingsauftakt im Sommer, das bedeutet immer einen kleinen Neuanfang und Aufbruchstimmung. In diesem Sommer aber beginnt für die Gruppe und den Verein zweifelsohne ein völlig neues Kapitel. Es ist ein Signal und ein Durchbruch für einen Teil der Gesellschaft, der häufig Diskriminierung und Unverständnis ausgesetzt ist.
Transpersonen bestimmen den Zeitpunkt des Wechsels selbst
Dieses Signal geht zum einen von den Fußballerinnen selbst aus, die einstimmig entschieden haben, sich künftig als FLINTA*-Team zu bezeichnen (siehe unten). Wenige Tage darauf folgte – völlig überraschend – eine Pressemeldung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), der eine Regelung zum Spielrecht trans*, inter* und nicht-binärer Personen verabschiedet hat. Das bedeutet, dass künftig auch jene Menschen am offiziellen Spielbetrieb teilnehmen können, die auf dem Papier weder Mann noch Frau sind.
Im Kern sehe die Regelung vor, „dass Spieler*innen mit dem Personenstandseintrag „divers“ oder „ohne Angabe“ und Spieler*innen, die ihr Geschlecht angleichen lassen, künftig selbst die Entscheidung treffen können, ob ihnen die Spielberechtigung für ein Frauen- oder Männerteam erteilt werden soll“, heißt es in der Pressemitteilung. „Dies gilt auch für transgeschlechtliche Spieler*innen, die nun zu einem selbstbestimmten Zeitpunkt wechseln können oder zunächst in dem Team bleiben, in dem sie bisher gespielt haben.“
Bislang war das im Ausweis eingetragene Geschlecht entscheiden
Bislang war das in den Personaldokumenten eingetragene Geschlecht – männlich oder weiblich – maßgeblich für die Erteilung der Spielberechtigung und Zuteilung ab der A-Jugend. Eine explizite Regelung für Personen mit dem Personenstandseintrag „divers“ oder „ohne Angabe“ gab es bisher nicht. Nun reagierte der DFB auf zahlreiche Anfragen von der Basis. Dass er das schon jetzt und nicht erst in mehreren Jahren tun würde, damit hätte kaum jemand gerechnet.
Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, DFB-Botschafter für Vielfalt, sagte: „Der Fußball steht für Vielfalt, und auch der DFB setzt sich dafür ein. Mit der Regelung des Spielrechts schaffen wir weitere wichtige Voraussetzungen, um auch Spieler*innen unterschiedlichster Geschlechteridentitäten das Spielen zu ermöglichen.“
Regelung ist eine große Erleichterung für nicht-binäre Menschen
Emma spielt seit diesem Jahr für die Roter Stern Kickers, den antifaschistischen Sport- und Kulturverein aus der Schlossstadt vor den Toren Hamburgs. „Aus meiner Sicht ist das eine richtig große Sache“, sagt sie über die Neuregelung des DFB. „Menschen, die sich nicht im binären Spektrum von Mann oder Frau identifizieren, haben bisher keinen Platz gefunden. Wir haben uns in den vergangenen Monaten viel damit beschäftigt, wie alle Menschen bei uns spielen können. Deshalb ist die Regelung eine große Erleichterung für uns.“
Die Studentin, die aus Angst vor Anfeindungen ihren Nachnamen nicht öffentlich machen möchte, hat eine längere Vereinssportpause hinter sich. Früher kickte Emma beim SSC Hagen Ahrensburg – als Junge. Dass sie sich in ihrem Körper nicht wohlfühlte, habe sie schon sehr früh bemerkt, erzählt Emma. Mit 17 habe sie diesem Gefühl das erste Mal einen Namen geben können. Vier Jahre später traf sie die große Entscheidung: Hormontherapie, eine sechsstündige geschlechtsangleichende Operation und eine Korrektur-OP. Im November 2020 lag der offizielle Bescheid vom Amtsgericht im Briefkasten: Personenstand geändert.
Manche werden wegen ihrer Geschlechteridentität verstoßen
Viel Verständnis und Unterstützung habe sie aus ihrer Familie, dem Freundeskreis und auch von der Universität erhalten, erzählt Emma. Von anderer Seite seien aber auch Beleidigungen gekommen. „Und ich kenne Menschen, die aus ähnlichen Gründen von ihrer Familie verstoßen wurden.“ Verstecken kann sich Emma mit ihrer besonderen Geschichte nicht, selbst wenn sie wollte. Ihre Namensänderung muss sie gegenüber Behörden, Banken und anderen Institutionen regelmäßig erklären – und sich dabei jedes Mal outen.
Mann oder Frau – Emma hat sich entschieden. Wobei es ihr und ihrer Teamkollegin ein Anliegen ist, etwas Grundlegendes zu erklären. Mary, die als Erzieherin in Glinde arbeitet, sagt: „Ich werde als Frau gelesen und bin auch biologisch eine Frau von Geburt an. Aber man muss sich nicht unbedingt festlegen. Ich finde es wichtig, darüber nachzudenken, dass das binäre System falsch ist. Es gibt so viele Facetten und eigentlich so viele Geschlechter, wie es Menschen gibt. Die Identität sollte mehr im Fokus stehen, als das Geschlecht.“
Die Kommentare in den sozialen Medien waren ernüchternd
Auch deshalb fühlt sich Mary im Ahrensburger FLINTA*-Team zu Hause und freute sich riesig, als die Pressemitteilung des DFB veröffentlicht und in den sozialen Medien vielfach geteilt wurde – bis sie die Kommentare las. „Die waren überwiegend sehr abwertend. Da schrieben Männer, dass sie sich jetzt auch ihr Geschlecht aussuchen, damit sie mit den Frauen duschen können. Viele Leute haben einfach keine Ahnung von den Realitäten, die existieren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass darüber geredet und unsere Situation sichtbar gemacht wird.“
Auch Emma könnte Dutzende Beispiele aufzählen, wie – vor allem Männer – ihre Ansichten ins Lächerliche ziehen oder sich auf diffuse Weise angegriffen fühlen. „Viele tun so, als ob wir mehr Rechte als andere beanspruchen würden. Dabei wollen wir einfach nur dieselben Rechte haben, auf so vielen Ebenen. Es geht darum, dass die Alltagsdiskriminierung aufhört.“
Im Ahrensburger FLINTA*-Team haben Emma und Mary einen Safe Space, eine sichere Umgebung gefunden. Bis sie ihr Alsterwasser überall mit gutem Gefühl trinken können, dürfte es noch ein weiter Weg sind. Die ersten Schritte sind gemacht.
FLINTA* – darum geht’s:
FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen. Das Sternchen bindet zudem alle Menschen ein, die sich in keiner der aufgeführten Kategorien wiederfinden, aber keine biologischen Männer sind, die sich mit ihrem Geschlecht identifizieren.
Die Roter Stern Kickers in Ahrensburg nehmen als erster Verein in Schleswig-Holstein mit einem auch offiziell so bezeichneten FLINTA*-Team am Spielbetrieb teil.
„Die Umbenennung in FLINTA* ist für uns kein Selbstzweck, sondern ein Statement, welches wir mit Leben füllen wollen“, schrieb der Verein in einer Mitteilung. „Unser Team möchte ein Schutzraum sein, in welchem sich FLINTA* willkommen fühlen und in dem wir uns so zeigen können, wie wir sind und fühlen. Außerdem ist es uns wichtig, ein sichtbares Zeichen der geschlechtlichen Vielfalt nach außen zu senden. Wir möchten gemeinsam dafür kämpfen, dass intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen sich nicht in eine Kategorie zwingen lassen müssen, die ihnen ein bestimmtes Geschlecht zuschreibt, sondern in einem Umfeld Sport treiben können, das ihre persönliche Geschlechtsidentität respektiert und anerkennt.“