Glinde. Kitschiger geht’s fast nicht: Niklas Kehr vom TSV Glinde ist praktisch fünf Jahre dauerverletzt, macht im ersten Spiel gleich ein Tor.

Eine kurze Umarmung zur Begrüßung – mehr Zeit bleibt Niklas Kehr auf der Konfirmation seines Cousins Paul nicht, dann muss er schon wieder los. Zum Fußball. Einem Sport, mit dem sein Körper seit fünf Jahren auf Kriegsfuß steht. Wäre es nach Oma Ulla gegangen, hätte Niklas die Schuhe längst an den Nagel gehängt. „Merkst du nicht, dass es nicht dein Sport ist?“, hatte die Großmutter mal gemahnt. Eine nachvollziehbare Sichtweise. Schließlich ist der 23-Jährige, seitdem er im Herrenbereich spielt, quasi dauerverletzt. Doch was sind ein Ellenbogenbruch und zwei Kreuzbandrisse im gleichen Knie schon im Vergleich zur unbändigen Leidenschaft für den Sport?

10 Minuten Spielzeit zwischen zwei Kreuzbandrissen

Kehr jedenfalls ist nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder fit und musste nicht lange überlegen, als seine Mannschaft, die Zweite Herren des TSV Glinde II, anfragte, ob er wegen akuter Personalsorgen nicht kurzfristig gegen den Farmsener TV II aushelfen könne. Es sollte ein Startelf-Comeback werden, das sich Rosamunde Pilcher nicht kitschiger hätte ausdenken können. Denn nach 33 Minuten steht der so gebeutelte Stürmer goldrichtig und staubt zum zwischenzeitlichen 1:1 ab. „So viele Kisten Bier kannst du gar nicht ausgeben“, frohlocken seine Mannschaftskameraden.

Rückblick. Im September 2015 ist Niklas Kehr ein ambitionierter, junger Fußballer und gerade der A-Jugend entwachsen. Bis dato ist er nicht auffällig häufig verletzt, obwohl er schon einen Wadenbeinbruch überstanden hat. Die Saison ist ein paar Partien alt, als sich der Glinder den linken Ellenbogen bricht. Ausfallzeit: rund acht Wochen. Doch die Zeit ohne Blessur beträgt genau eine Trainingseinheit. Das Abschlussspiel ist fast vorüber, als Kehr noch einen Sprint ansetzt. Dabei reißt das Kreuzband im rechten Knie. Ausfallzeit bei Amateur-Kickern: rund ein Jahr.

Der zweite Kreuzbandriss hat längerfristige Folgen

Doch es zieht sich. Weil er kurz vor dem Abitur steht, verschiebt er die Operation auf Anfang 2016. Auch bedingt durch einen Auslandsaufenthalt dauert es bis Mai 2017, ehe Niklas Kehr wieder auf dem Platz steht. Das Kreuzband hält, die Fitness stimmt. Dann kommt im Juli das erste Testspiel in Aumühle, Kehr wird zur Pause eingewechselt und spielt genau zehn Minuten. „Ich habe bei einem Abschluss den Ball verfehlt und bin beim Aufkommen weggeknickt. Ich habe sofort gespürt, dass es nichts Gutes war“, erinnert er sich. Und tatsächlich: Wieder ist das gleiche Kreuzband durch!

Irgendwann danach empfiehlt Oma Kehr, die Sportart zu wechseln. Denn jetzt reicht eine OP nicht mehr. Die erste, vorbereitende verheilt ein halbes Jahr, erst dann kann das Kreuzband erneut geflickt werden. Allerdings ist Niklas Kehr jetzt in guten Händen. Seine Mutter ist Sekretärin von Dr. Helge Riepenhof, einem Knie-Spezialisten vom BG Klinikum Boberg. „Der stand mit Rat und Tat zur Seite. Und meinte auch, ich könnte wieder spielen, wenn ich meine Muskulatur rund um das Knie stärke.“

Ein Jahr trainiert Kehr nur für sich und speckt ab

Und doch zieht er sich – inzwischen schreiben wir den Sommer 2019 – gleich wieder einen Muskelfaserriss zu. Erneut sind das mehrere Wochen Pause. Danach macht es klick. Kehr hört fortan auf seinen Körper, setzt selbst bei kleinen Zipperlein aus. Ein Jahr trainiert er zudem nur für sich und speckt nebenbei die Kilos ab, die sich in der langen Pause auf den Hüften angesetzt haben. „Ich habe 108 Kilo gewogen und mit Ernährungsstellung über 20 Kilo abgenommen. Jetzt sind es wieder ein paar mehr“, sagt Kehr.

Dass sein Bruder Tobias Kehr inzwischen auch wieder bei Glinde II spielt, gibt Niklas den letzten Ansporn. Einen Kurzeinsatz hatte er bereits hinter sich, als nun das Startelf-Comeback gegen Farmsen II (Endstand 2:2) anstand. Niklas Kehr spielt eine Halbzeit („Ein geiles Gefühl“) und fährt nach seinem Tor zurück zur Konfirmation. Dort empfängt ihn auch Oma Ulla mit einem Lächeln im Gesicht.