Ahrensburg. Die Leichtathletik im Kreis Stormarn hat Nachwuchsprobleme. Reinbeks Coach Gunnar Weitschat spricht mit dem Abendblatt über die Folgen.
Die Leichtathletik in Stormarn steckt in einer Krise. Mit John Schlegl (ehemals Ahrensburger TSV, jetzt Hamburger Sport-Verein) und Sabrina Schröder (VfL Oldesloe, LAV Bayer Uerdingen/Dormagen) verlor der Kreis-Leichtathletik-Verband erst kürzlich seine beiden Ausnahme-Talente. Doch nicht nur das: Der Mangel an Nachwuchs im Leistungsbereich lässt befürchten, dass Athleten aus Stormarner Vereinen bei Landestitelkämpfen, norddeutschen oder Deutschen Meisterschaften bei der Vergabe von Medaillen in den Altersstufen U16, U18 und U20 in absehbarer Zeit kaum eine Rolle spielen werden.
Anders die Situation vor wenigen Jahren: Da sorgten junge Leichtathleten der im Kreis tonangebenden Vereine LG Reinbek-Ohe, VfL Oldesloe, SV Großhansdorf und Ahrensburger TSV bei überregionalen Wettkämpfen regelmäßig für eine wahre Medaillenflut. Das Abendblatt sprach mit Gunnar Weitschat, dem Trainer der LG Reinbek-Ohe und Medienwart des FC Voran Ohe, über die Gründe der Misere, aber auch über die mögliche Aussicht auf bessere Zeiten. Diese erlebte der 40-Jährige noch vor wenigen Jahren, als die Reinbeker im Jugendbereich führend in Schleswig-Holstein waren und mit Andreas Lange den Deutschen Meister über 800 Meter in der Halle stellten.
Herr Weitschat, der Deutsche Leichtathletik-Verband klagt seit Jahren über rückläufige Mitgliederzahlen bei den Sieben- bis 14-Jährigen. Ist Leichtathletik nicht mehr cool, sprechen wir im Bezug auf Leistungssport sogar von einer Smartphone-Generation ohne Biss und den Willen, sich zu quälen?
Gunnar Weitschat: (lacht) Das trifft genau den Punkt. Die Bereitschaft der Kinder und Jugendlichen, sich auf leistungsorientierten Sport einzulassen, hat stark nachgelassen. Die Leichtathletik hat nichts an ihrer Attraktivität verloren. Den Kindern fehlt die Vorstellung, wie Leistungssport funktioniert und welche Freude er bringt. Sie sind das Leben in einer Spaßgesellschaft gewohnt. Daran tragen auch die Eltern eine gewisse Mitschuld. Unter dem Deckmantel der Freiheit überlassen sie zu häufig die Entscheidungsgewalt den Kindern. So vermeiden sie Konflikte, aus Angst, etwas falsch zu machen.
Die Kinder werden sich später sowieso in einer Leistungsgesellschaft behaupten müssen, in der sie beruflich und gesellschaftlich unter Druck stehen. Welche Rolle spielt der Leistungssport in ihrer Entwicklung?
Eine sehr wichtige, denn Druck ist ja nicht immer negativ belastet. Sich als Kind oder Jugendlicher frei zu fühlen und gleichzeitig erfolgreich zu sein, ist kein Widerspruch. Für eine Orientierung benötigen Kinder aber eine Anleitung und klare Regeln. Ohne sie nehmen sie sich zu früh als kleine Persönlichkeiten wahr, die sie im Grund noch gar nicht sind. Sie lernen Konflikten lieber aus dem Weg zu gehen und ziehen sich stattdessen in ihre Komfortzone zurück. Leistungssport vermittelt die nötige Orientierung und fördert die Sozialkompetenz.
Kinder erleben heutzutage selten Langeweile. Vieles ist im Überfluss und jederzeit verfügbar. Sind Rückschläge und Enttäuschungen, die sie im sportlichen Wettkampf erleben, für eine zeitgemäße Persönlichkeitsentwicklung nicht umso wichtiger?
Ja, denn nicht nur sportliche Erfolge sind dabei wichtige Faktoren, auch der richtige Umgang mit Frustrationen ist prägend. Leistungssport vermittelt zudem Werte wie Disziplin, Respekt und Zusammenhalt – im krassen Gegensatz dazu sehe ich eine von WhatsApp, Snapchat und Facebook dominierte Freizeit der Kinder.
Sie selbst sind Vater einer siebenjährigen Tochter. Wie gehen sie als Eltern mit den gestiegenen Anforderungen um?
Es wäre vermessen zu sagen, wir hätten nicht mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Aber meine Frau und ich bemühen uns, in einigen Belangen bewusst gegenzusteuern. Mal gelingt es, mal weniger gut. Wichtig ist, als Eltern ab und zu innezuhalten und sich zu hinterfragen, ob wir unserem Kind den richtigen Weg vorleben.
Welche Rolle kann der Schulsport übernehmen, um das Interesse an der Leichtathletik zu fördern?
Die Bewegungsgrundlagen der Kinder müssen schon in der Grundschule gezielt gefördert werden. Viele Jugendliche haben heutzutage mit starken motorischen Problemen zu kämpfen. Wie soll jemand für eine Sportart Spaß und Leidenschaft entwickeln, wenn er die grundsätzlichen Fähigkeiten, sie auszuüben, nie entwickelt hat. Er wird nie das Gefühl erleben, zum Beispiel im Weitsprung den perfekt getimten Absprung geschafft oder im Fußball den genialen Pass geschlagen zu haben. Aber auch die Bundesjugendspiele müssen wieder attraktiv, das Mitwirken in einer Schulmannschaft wieder als große Ehre angesehen werden.
Vor Kurzem sind der FC Voran Ohe und die TSV Reinbek mit dem Sachsenwaldgymnasium eine Kooperation eingegangen, um ihre Nachwuchsprobleme im Trainer- und Übungsleiterbereich zu lösen. Können sie schon erste Erfolge vermelden?
Mehr als 20 Oberstufenschüler aus dem Sportprofil des Reinbeker Gymnasiums sind dabei, eine Übungsleiter-C-Lizenz für den Breitensport abzulegen. Wir hoffen, dass sie sich anschließend ehrenamtlich in Vereinen engagieren.
Was erwarten sie von den Eltern, wie können sie die Leidenschaft ihrer Kinder für den Leistungssport wecken?
Sie müssen gemeinsam mit den Trainern an einem Strang ziehen und dafür sorgen, dass gewisse Werte auch zu Hause gelebt werden. Die Eltern könnten sich mehr in die Vereinsarbeit einbringen und damit den Übungsleitern den Rücken stärken. Wir Trainer sind zwar mit viel Leidenschaft und Engagement bei der Sache, doch auch wir leiden immer mehr unter dem Werteverfall. Nicht wenige von uns haben ihre Belastungsgrenze erreicht, ein Ausstieg aus dem Sport dient letztendlich dem Selbstschutz.
Erkennen sie Licht am Horizont?
Ich glaube, wir haben die Talsohle durchschritten. Gespräche mit Eltern haben mir kürzlich gezeigt, dass auch sie die akuten Probleme erkannt haben. Zudem habe ich die Bestätigung bekommen, dass ich mit meiner Meinung nicht allein dastehe.