Reinbek. Vlada Shchavinska organisiert Benefizveranstaltung im Schloss Reinbek. Mit dabei: ein gerade aus Odessa geflüchteter Komponist.

Seit dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine fahren die Gefühle der ukrainischen Sopranistin Vlada Shchavinska (25) Achterbahn. Die mehrfach ausgezeichnete junge Sängerin, die aktuell den Masterstudiengang Oper an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) in Hamburg absolviert, ist in Gedanken bei ihren Verwandten, die in der Heimat ausharren.

Ein Nothilfefonds unterstützt Künstler und ihre Familien

Shchavinska sagt: „Sie wollen nicht weg, sie wollen in der Ukraine bleiben und überleben.“ Weil ihr das das Herz breche und „um mich nicht hilflos zu fühlen“, organisiert die Künstlerin im Großraum Hamburg Konzerte und sammelt dabei Spenden.

So auch bei dem großes Benefizkonzert unter dem Titel „Vom Herzen zum Herzen“ am Freitag, 18. März (19 Uhr), im Schloss Reinbek (Schlossstraße 5). Der Eintritt ist frei, die Künstler freuen sich über Spenden für den Nothilfefonds „Ukraine“ der HfMT, der die Studierenden und ihre Familien in finanziellen Notlagen unterstützt.

Medizinische Versorgung im Kampfgebiet wird schlechter

Pianist und Komponist Serafim Ivanov ist aus Odessa geflüchtet. Seine Mutter blieb in der Ukraine, sie wird als Ärztin gebraucht.
Pianist und Komponist Serafim Ivanov ist aus Odessa geflüchtet. Seine Mutter blieb in der Ukraine, sie wird als Ärztin gebraucht. © Ekaterina Miller

Mit auf dem Programm steht der ukrainische Pianist und Komponist Serafim Ivanov (24), der erst seit einigen Tagen in Deutschland ist. Ihm gelang die Flucht aus Odessa, der Stadt, in der auch die Großeltern von Shchavinska leben. „Sie können nicht flüchten, weil es ihnen gesundheitlich nicht gut geht“, berichtet die Sängerin. Zwar sei es in Odessa derzeit noch ruhig, aber die Krebserkrankung ihrer Großmutter könne nicht mehr behandelt werden.

Die Situation für Menschen mit schweren Erkrankungen ist besonders prekär: die medizinische Versorgung eingeschränkt, Medikamente fehlen und die angespannte Lage wirkt sich ungünstig auf den Krankheitsverlauf aus. Glücklicherweise gibt es mutige Menschen wie Ivanovs Mutter, die als Ärztin weiterhin mit dafür sorgt, dass die Menschen in der umkämpften Region um Mykolajiw zumindest in Notfällen medizinisch behandelt werden.

Verwandte sind Angriffen der russischen Armee ausgeliefert

Auch in jener Stadt hat Shchavinska Verwandte, eine Tante mit Familie, mit der sie ständig in Kontakt steht, außerdem einen Cousin in Kiew. Er ist ebenfalls Arzt, operiert inzwischen kostenlos. Seine Mutter hat es nicht übers Herz gebracht, ihn allein zu lassen. „In meiner Familie haben alle die Entscheidung getroffen, zusammenzubleiben“, sagt die Sängerin. Jetzt sind alle „eingesperrt und der Angst und den Bombenangriffen der russischen Armee ausgeliefert“.

Die russische Armee verstärkt ihre Luftangriffe auf Mykolajiw und verschont dabei weder Kliniken noch Schulen. Weil Lebensmittel knapp werden, hat die Sopranistin ihrer Tante „extra viel Geld geschickt, damit sie viel Essen kaufen können“. Sie ist nun die Einzige, die ihre Verwandtschaft finanziell unterstützen kann. Ihre Eltern leben mit dem kleinen Bruder (8) in Moskau und können von dort aus kein Geld mehr in die Ukraine transferieren.

Angreifer rechnen nicht mit Widerstand der Bevölkerung

Das Handy ist Shchavinskas ständiger Begleiter. Vom Ausbruch des Krieges hat sie als Erstes per WhatsApp von ihrer Mutter erfahren. Ihr Bruder habe der Mutter berichtet, dass er mit russischen Kindern über den Krieg gesprochen habe. Sie hätten gesagt, dass Putin ein Held sei, Selenskyj hätten sie hingegen beschimpft. „Die Kinder spiegeln nur wider, was sie von den Eltern hören“, sagt die Sopranistin.

„Viele Russen mögen es stark zu sein, sind stolz auf sich und meinen, man könne so einfach ein kleineres Land wie die Ukraine überfallen“, fährt Shchavinska fort. „Das ist asozial.“ Doch der Einmarsch sei nicht so leicht wie gedacht, „unsere Männer leisten erbitterten Widerstand und die russischen Soldaten sterben für nichts“. Die Ukraine habe die Ideen eines starken Zusammenhalts. „So haben wir es geschafft, in der Nähe eines so mächtigen Nachbarn unsere Identität zu bewahren.“

Sängerin wurde in Moskau aufgrund Herkunft gemobbt

Bevor sie nach Hamburg kam, studierte sie am Konservatorium Gnesin in Moskau. „Ich war die Jüngste, aus der Ukraine und wurde gemobbt, ich war eine Außenseiterin“, berichtet sie. Ihr Zimmerfenster in der elterlichen Wohnung habe in Richtung eines Parks gelegen, aus dem in der Zeit der Annexion der Krim immer wieder die Rufe „Die Krim ist unser“ zu hören gewesen seien. „Irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen, dort zu leben“, sagt sie.

In Deutschland habe sie bessere Erfahrungen, auch hinsichtlich der Qualität des Unterrichts, gemacht. „Hier habe ich ganz praktische Kenntnisse erworben, wie man singt, spricht und ein Lied vorbereitet.“ Dass Musik über Grenzen und Nationalitäten hinweg verbindet, zeigt sich auch darin, dass bei den von Vlada Shchavinska organisierten Konzerten auch russische Künstler auftreten. Wie beim Solokonzert eines russischen Pianisten, das sie „allen mutigen Russen“ gewidmet hat.

„Meine Familie, das sind mehr als 44 Millionen Menschen“

Das Benefizkonzert im Schloss moderiert sie auch und erzählt Geschichten. „Die Moderation zählt dazu, der emotionale Kontakt ist tiefer.“ Eigene Erlebnisse will sie dabei aber nicht in den Mittelpunkt stellen. „Es ist eine Katastrophe für alle Ukrainer“, sagt sie. „Was ich tue, tue ich für alle. Meine Familie, das sind mehr als 44 Millionen Menschen. Wir sind tief miteinander verbunden.“

Gemeinsam mit anderen Studierenden gestaltet Shchavinska ein berührendes Programm. Unter anderem präsentieren sie und Serafim Ivanov fünf Lieder von Sergej Rachmaninow. Der Pianist stellt außerdem eigene Kompositionen vor. Im zweiten Teil spielen Dulguun Chinchuluun (Klavier) und Michael Heupel (Cello) „schöne Stücke für die Seele“ von Fauré, Saint-Saëns, Schumann, Tchaikovsky und Glazunov. Den dritten Teil des Konzerts bestreitet wiederum das Duo Ivanov/Shchavinska.

Bei einem solchen Vortrag ist es ihr schon passiert, dass Emotionen sie übermannt haben. „Ich dachte, ich könnte professionell bleiben, habe aber am Anfang durch Tränen gesungen.“

Spenden: Wer die ukrainischen Studierenden und ihre Familien unterstützen will, kann auf das Konto des Nothilfefonds bei der Deutschen Bundesbank, IBAN DE63 2000 0000 0020 1015 24, unter dem Stichwort „Ukraine-Hilfe“ spenden.