Reinbek. Eine Arztpraxis in Reinbek kritisiert die Schließung der Stormarner Impfzentren. Die Kreisverwaltung will die Situation prüfen.

Menschen, die älter als 70 Jahre sind, legt die Ständige Impfkommission dringend die dritte Corona-Impfung zur Auffrischung ans Herz. Das Land Schleswig-Holstein fordert seine Bürgerinnen und Bürger dieser Altersgruppe seit Wochen sogar schriftlich auf, einen Termin beim Hausarzt zu machen. Doch die Stormarner Impfzentren in Reinbek, Großhansdorf und Bad Oldesloe sind seit Ende September geschlossen. Die Booster-Aktion überlässt die Politik derzeit vorwiegend den Arztpraxen und noch zehn mobilen Impfteams, die landesweit unterwegs sind.

Die Schließungen seien angesichts der rasant steigenden Zahl der Covid-19-Fälle das falsche Signal, ist sich Dr. Kai Kompisch, einer der vier Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis am Rosenplatz in Reinbek, sicher. Das Stormarner Gesundheitsamt meldet von Montag- auf Dienstagnachmittag 46 Neuinfektionen, 252 Personen sind aktuell infiziert. Eine Frau, die älter als 70 Jahre alt und mit Covid-19 infiziert war, ist gestorben. Die Sieben-Tage-Inzidenz im Kreis Stormarn (rund 244.000 Einwohner) entspricht 85,6 Infektionen pro 100.000 Einwohnern. 89 Neuinfektionen der vergangenen Woche betreffen vollständig geimpfte Personen. Kein Wunder, dass die Patienten jetzt in die Praxen drängen, die Ärzte aber schlagen Alarm.

Corona in Stormarn: Hausärzte haben kaum Zeit für Drittimpfung

„Das ist wieder eine Aktion des Versagens mit Anlauf und Ansage“, sagt Kai Kompisch empört. „Die Hausarztpraxen können doch nicht das kompensieren, was die Impfzentren geleistet haben. Die Bundes-KV und die Politik haben ja gut reden, aber wir hätten erst wieder ab März freie Termine für diese Auffrischung.“ Die Terminvergabe hat das Praxis-Team aktuell gestoppt.

Denn die Gemeinschaftspraxis will versuchen, eine zweite werktägliche Impfsprechstunde einzurichten und so die Kapazität auf 100 pro Tag verdoppeln. „Wir überlegen jetzt, wie wir das organisieren“, sagt der Internist. Das könne nur mit Überstunden funktionieren.

Aktuell verimpfen die Mediziner in der Praxis etwa 50 Dosen pro Tag. Mehr sei parallel zur regulären Sprechzeit nicht zu leisten. „Wir müssen für jeden Impfpatienten einen hohen bürokratischen Aufwand leisten und ihn nach der Immunisierung noch 15 bis 30 Minuten überwachen. Nebenbei impfen wir noch in den Senioreneinrichtungen“, sagt Kompisch.

„Wir brauchen dringend Impfzentren oder andere ergänzende Angebote“

„Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin, die alles perfekt vorbereitet hatte, habe ich neulich zweieinhalb Stunden in einem Pflegeheim 60 Bewohnerinnen und Bewohner die Corona-Impfung aufgefrischt und auch noch 40 gegen Grippe geimpft“, erzählt der Mediziner. Sein Team mit 18 Mitarbeiterinnen und drei angestellten Ärztinnen lobt er: „Ohne sie wäre dies alles überhaupt nicht möglich“, sagt Kai Kompisch und kritisiert: „Die Menschen wedeln mit den Schreiben des Landes, und wir müssen alle vertrösten, dafür werden wir beschimpft und bepöbelt. Unsere Mitarbeiterinnen sind am Rande ihrer Kräfte.“ Den Hausarztpraxen schiebe man den Schwarzen Peter zu.

Diese Corona-Impfstoffe sind in Deutschland zugelassen

  • Biontech/Pfizer: Der erste weltweit zugelassene Impfstoff gegen das Coronavirus wurde maßgeblich in Deutschland entwickelt. Der mRNA-Impfstoff, der unter dem Namen Comirnaty vertrieben wird, entwickelt den vollen Impfschutz nach zwei Dosen und ist für Menschen ab zwölf Jahren zugelassen. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat er eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent – das heißt, die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, sinkt bei Geimpften um den genannten Wert. Ebenfalls von Biontech stammt der erste für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren zugelassene Impfstoff in Deutschland.
  • Astrazeneca: Der Vektorimpfstoff des britischen Pharmaunternehmens wird unter dem Namen Vaxzevria vertrieben. Aufgrund von seltenen schweren Nebenwirkungen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), den Impfstoff nur für Patienten zu verwenden, die älter als 60 Jahre sind. Offiziell zugelassen ist der Impfstoff aber für Menschen ab 18 Jahren. Vaxzevria weist laut BMG nach zwei Impfdosen eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen auf.
  • Moderna: Der von dem US-Unternehmen entwickelte mRNA-Impfstoff mit dem Vertriebsnamen Spikevax ist für alle ab 12 Jahren zugelassen, die Stiko empfiehlt aufgrund eines erhöhten Risikos schwerer Nebenwirkungen aber, ihn auf die Altersgruppe der über 30-Jährigen zu beschränken. Der Moderna-Impfstoff hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen, wenn der volle Impfschutz nach zwei Impfdosen erreicht worden ist.
  • Johnson&Johnson: Das US-Unternehmen hat einen Vektorimpfstoff entwickelt, der bereits nach einer Impfdosis Schutz vor dem Coronavirus entwickelt. Er wird unter dem Namen Covid-19 Vaccine Janssen vertrieben. Das Präparat hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 70 Prozent bezogen auf schwere Erkrankungen – zudem ist die Zahl der Impfdurchbrüche im Vergleich zu den anderen Impfstoffen erhöht, daher empfiehlt die Stiko für mit Johnson&Johnson Geimpfte schon nach vier Wochen eine zusätzliche Impfdosis mit Comirnaty oder Spikevax, um den vollständigen Impfschutz zu gewährleisten.
  • Novavax: Das US-Unternehmen hat den Impfstoff Nuvaxovid entwickelt. der mitunter zu den sogenannten Totimpfstoffen gezählt wird. Er enthält das Spike-Protein des Covid-19-Erregers Sars-CoV-2. Dabei handelt es sich aber genau genommen nicht um abgetötete Virusbestandteile, die direkt aus dem Coronavirus gewonnen werden. Das Protein wird stattdessen künstlich hergestellt. Das menschliche Immunsystem bildet nach der Impfung Antikörper gegen das Protein. Der Impfstoff wird vermutlich ab Ende Februar in Deutschland eingesetzt und soll laut BMG in bis zu 90 Prozent der Fälle vor Erkrankung schützen.
  • Weitere Impfstoffe sind in der Entwicklung: Weltweit befinden sich diverse Vakzine in verschiedenen Phasen der Zulassung. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit das umstrittene russische Präparat Sputnik V sowie die Impfstoffe der Hersteller Sinovac, Sanofi und Valneva. Der deutsche Hersteller CureVac hat seinen Impfstoff vorerst aus dem Zulassungsverfahren zurückgezogen.

„Wir brauchen dringend Impfzentren oder andere ergänzende Angebote“, sagt der Internist. Kai Kompisch hat in dieser Sache bereits Bürgermeister Björn Warmer und die Kassenärztliche Vereinigung angeschrieben. Die Antwort der Kassenärztlichen Vereinigung ist für ihn wenig zufriedenstellend, man sehe keinen Grund zur Eile. Bürgermeister Warmer indes sei bemüht um eine Lösung.

In neun Monaten mehr als 202.000 Dosen Impfstoff in Stormarn verteilt

Der Corona-Schutz sei zwar aus medizinischer Sicht nach zwei Impfungen bereits recht gut, bestätigt Kompisch. Doch die Menschen wollten sich nach der Aufforderung des Landes bestmöglich schützen.

In neun Monaten hatten die drei Stormarner Corona-Impfzentren bis Ende September mehr als 202.000 Dosen an den Standorten in Bad Oldesloe, Großhansdorf und Reinbek verteilt. Die Kreisverwaltung, die mit Organisation, Personal und Öffentlichkeitsarbeit unterstützte, zog eine positive Bilanz. Andreas Rehberg, Fachbereichsleiter Gefahrenabwehr beim Kreis, will das aktuelle Thema mit dem Gesundheitsamt besprechen. Nichts sei entsorgt worden. „Sollte es erforderlich werden, könnten wir schnell reagieren und wieder ein Impfzentrum in Betrieb nehmen“, sagt er. Die Stormarner seien zuvor durch die Zentren gut versorgt gewesen. In Bad Oldesloe werden gerade noch 300 Menschen mit der Grippeschutzimpfung versorgt.