Reinbek/Großensee. Geschlossene Bühnen – wie geht die Branche mit den aktuellen Beschränkungen um? Das Abendblatt hat bei Kulturschaffenden nachgefragt.

Vielerorts fallen vor allem die kleinen Bühnen in Cafés und Clubs der Krise zum Opfer, und selbstständige Künstler leben am Existenzminimum. „Was ist nach der Pandemie überhaupt noch da? Wo soll man hin als Künstler?“, fragt sich die Reinbeker Poetry-Slammerin Victoria Helene Bergemann. Lokale Kulturschaffende machen aufmerksam, blicken nach vorn, hoffen auf 2021.

Wohl jeder Reinbeker kennt die Crazy Crackers: Die Rock-’n’-Roll-Gruppe bespielt seit 30 Jahren kleine und große Bühnen der Region. Doch vieles musste 2020 ausfallen, an ein Jubiläumskonzert im September war nicht zu denken. Drummer Diethard „Didi“ Joppich hat gemischte Gefühle: „Ich merke, wie viel Zeit ich plötzlich habe. Aber ich spiele ja auch gerne.“ Als pflegerischer Leiter der Intensivstation der Großhansdorfer LungenClinic muss er nicht wie Frontsänger Lutz Vangelis seine Brötchen mit der Musik verdienen. Besonders bitter: Vangelis zweites Standbein als Fitnesscoach bricht nun auch noch durch den Lockdown weg. Joppich: „Künstler werden zwangsarbeitslos gemacht.“ Für seinen Bandkollegen hofft er auf angekündigte Hilfen für November. Sein Appell: „Kauft Tonträger von Kleinkünstlern.“

Musiker Wolfgang Nicklaus betreibt eine Musikschule.
Musiker Wolfgang Nicklaus betreibt eine Musikschule. © Susanne Tamm

Der Reinbeker Wolfgang Nicklaus (64) ist Komponist, betreibt eine Musikschule. Im ersten Lockdown musste er diese vorübergehend schließen. Zunächst fand er mit Onlinekursen einen Kompromiss, heute gibt er auf Abstand mit Maske Einzelunterricht am Klavier, E-Piano und am Keyboard. „Der Unterricht ist das, was mich am Leben hält“, sagt er. Bereits im Sommer hatte er ein Konzert in der Nathan-Söderblom-Kirche abgesagt. Er hätte nur 40 Karten verkaufen können, seine Mitmusiker nicht bezahlen können. „Dass die Kultur, die für mich systemrelevant ist, nun komplett zugeriegelt wird, finde ich schade und bedenklich. Infektionszahlen sind nicht durch Leute entstanden, die diszipliniert ins Konzert gegangen sind“, sagt Nicklaus.

Victoria Helene Bergemann (23) ist in Reinbek aufgewachsen und lebt in Kiel. Als Poetry-Slammerin hat sie sich im deutschsprachigen Raum einen Namen gemacht, organisiert regelmäßig Dichterwettstreite im Reinbeker Schloss. Ihr Vollzeitjob ist es, auf der Bühne zu stehen, das tut sie seit nunmehr zehn Jahren. „Ich weiß nicht, was ich sonst machen sollte“, sagt sie. Doch statt 20 Auftritten im Monat geht heute gar nichts. „Ich habe vor allen Dingen Angst, denn es kommt nichts rein, alle warten seit Monaten auf staatliche Hilfe.“ Per Facebook hält sie ihre Fans auf dem Laufenden und hat wie viele andere Künstler einen Spendenlink eingerichtet. Sie hofft auf Unterstützung, erinnert: „Vergesst nicht die Kultur, sonst ist sie weg.“

Reinbek. Freizeit-Liedermacher Torsten Lange hat ein Reinbek-Lied veröffentlicht. Das Lied ist eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt.
Reinbek. Freizeit-Liedermacher Torsten Lange hat ein Reinbek-Lied veröffentlicht. Das Lied ist eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt. © NEWS & ART | Carsten Neff

Der Liedermacher Torsten Lange (58) aus Reinbek ist froh, dass die Musik „nur“ sein Hobby ist, er einen Job als Hausmeister bei der Volkshochschule Sachsenwald hat. Trotzdem: „Es macht mich traurig, ich hatte einige Auftritte geplant, mich darauf vorbereitet. Gerade, wenn man eine CD herausgebracht hat, möchte man seine Lieder auch vorstellen“, sagt er. „Für dieses Jahr war’s das, ich habe keine großen Hoffnungen, setze auf 2021“, sagt er. Aber so ganz ohne Musik geht doch nix, findet Lange und nimmt fleißig neue Lieder auf. Auch beim Online-Kulturfestival der Bergedorfer Zeitung stand er zweimal auf der Bühne. Jetzt überlegt er, ein Online-Weihnachtskonzert auf die Beine zu stellen. „Aber die Motivation schwindet, nach den ganzen Absagen.“

Sebastian Dunkelberg (57) lebt seit 20 Jahren in Reinbek und ist als Film- und Theaterschauspieler und Moderator tätig. Aufträge sind rar, doch die laufenden Kosten bleiben, und eine vierköpfige Familie will ernährt werden. „Bisher hat der Staat von seinen Versprechen nicht viel umgesetzt“, bedauert er, spricht von hohen Hürden. „Und die meisten Künstler haben keine großen Reserven.“ Sie müssten jetzt, „flexibel und fantasievoll sein“. In der ersten Novemberwoche hätte Dunkelberg eigentlich ein Krimifestival auf Kampnagel moderiert. Was gerade geht: Unterrichten an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Außerdem vertonte Dunkelberg jüngst zwei Krimis des australischen Autors Garry Disher als Hörbuch.

Katharina Maria Kagel hat neue Ideen für die Zukunft.   
Katharina Maria Kagel hat neue Ideen für die Zukunft.   © Laura Treskatis

Sängerin und Stimmbildnerin Katharina Maria Kagel stammt aus Großensee, hat sich auch außerhalb Stormarns einen Namen gemacht. Zumindest sei ihre aktuelle Lage besser als jene im Frühjahr, so die Künstlerin. „Ich habe die Zeit genutzt, um meine Talente weiter auszubauen.“ Und ihre Tätigkeiten in bestimmten Bereichen wie Meisterkursen zu verstärken. Sie sei inzwischen auch einige Male bei Trauerfeiern und Gottesdiensten aufgetreten und hoffe, dass das bald wieder möglich sei. Die neuerlichen Beschränkungen treffen sie nicht mit voller Härte, denn: „Durch diesen Soft-Lockdown darf ich weiter musizieren, unterrichten und proben.“ Bitter sei, dass sie nach wie vor keine Konzerte geben dürfe. „Die Weihnachtszeit ist sonst die Zeit mit den meisten Aufträgen“, sagt Kagel. Die Erfahrungen aus der Krise sorgen dafür, dass sie sich breiter aufstellen will. „Ich könnte Seminare unter freiem Himmel anbieten, bei Opernprojekten oder Konzerten müsste ich eventuell wegen des besseren Wetters ins Ausland ausweichen.“ Oder Kunstreisen leiten. „Wenn ich nichts zu tun habe, frisst mich das auf.“