Reinbek. Reinbeker Armutsbericht: Besonders ältere Bürger leiden unter verdeckter Armut. Seniorenbeirat fordert mehr geförderte Wohnungen.

Die Reinbeker haben ein vergleichsweise hohes Einkommen: Laut dem aktuellen Reinbeker Armutsbericht liegt die Kaufkraft je Haushalt in der Stadt bei etwa 10.000 Euro über dem schleswig-holsteinischen Durchschnitt. Die allgemeine Kaufkraft liegt landesweit im Schnitt bei 58.000 Euro pro Haushalt im Jahr. Doch der Schein trügt: Wenngleich die Arbeitslosenquote nur bei 4,2 Prozent liegt, liegen auch 31 Prozent der Reinbeker Haushalte unter der Einkommensgrenze von 25.000 Euro pro Jahr, gelten somit als arm. Das können jetzt alle auch online unter www.reinbek.de nachlesen.

Es gibt sie also doch, die armen Reinbeker. „Wir haben in Reinbek zwei Tafeln, eine Suppenküche, eine Kleiderkammer und ein Sozialkaufhaus“, unterstreicht Torsten Christ, Leiter des Sozialamts. Dies sei nicht ohne Grund so. Bei den Einkommen gehe die Schere immer weiter auseinander. „Als Stadt müssen wir im Rahmen der kommunalen Daseinsfürsorge für die da sein, die wenig haben“, erklärt er. „Jetzt können wir der Politik Input geben und sagen: Das sind die Daten. Damit können sie im Sinne der Reinbeker Bürger entscheiden.“

Forum 21 gab Anstoß für Reinbeker Armutsbericht

Den Anstoß von Forum 21, einen Armutsbericht für die Stadt mit aufzulegen, hat Torsten Christ deshalb 2017 dankbar angenommen. Denn der Bund erwartet seit 2015 mit dem Beschluss der Agenda 2030 von den Kommunen, dass sie überprüfen, wie weit sie die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele erfüllen. Daher gibt es für sie die Möglichkeit, Zuschüsse dafür zu beantragen. „Die meisten verstehen diese Ziele im Sinne des Umweltschutzes“, erläutert Torsten Christ. „Doch Nachhaltigkeit berührt noch weit mehr Themenfelder. Es geht auch um Wirtschaft und Soziales.“

„Die alten Menschen sparen an allem, nur nicht an der Miete“, sagt Torsten Christ,  Leiter des Ordnungsamtes.
„Die alten Menschen sparen an allem, nur nicht an der Miete“, sagt Torsten Christ,  Leiter des Ordnungsamtes. © Susanne Tamm | Susanne Tamm und René Soukup

Für den Reinbeker Armutsbericht hat die Politik daraus neun Ziele ausgewählt, unter anderem das Vermeiden der Armut, gleichberechtigte Bildung sowie Geschlechtergleichstellung. Anstatt dass sich alle Abteilungen im Rathaus einzeln mit den Zielen beschäftigen, hat die Politik beschlossen, dass alle unter Beteiligung der Fraktionen, der Wohlfahrtsverbände und vieler weiterer Ehrenamtlicher an einem Strang ziehen. Unter der Leitung von Politologin Dr. Anke Butscher haben sie seit einem Jahr in fünf Workshops daran gearbeitet. Die Stadt hat mit ihren Räumen und der Arbeitskraft ihrer Fachleute investiert, die wissenschaftliche Arbeit hat das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.

Wohnen ist der Haupt-Armutsfaktor

Beteiligt war auch Dr. Heinz-Dieter Weigert, Vorsitzender des Seniorenbeirats: „Das war manchmal anstrengend und ging auch mal bis in die Nacht, aber innovativ und verantwortungsvoll“, sagt er. „Es ist toll, dass das gemacht wurde.“ Der Bericht eröffne der Politik die Chance, aufgrund von Daten zu handeln – auch wenn es manche Daten leider nicht gebe. „Die Frage ist natürlich, was man nun daraus macht“, stellt Weigert fest. Deshalb hat er auch an die Stadtverordneten appelliert, als diese gleich eine fortschreitende Aktualisierung des Berichtes beschlossen haben: „30 Prozent Arme, 30 Prozent mit Hartz-IV, dabei nur 1,2 Prozent geförderte Wohnungen, davon nur 0,6 Prozent für Senioren“, fasst Dr. Heinz Weigert, Vorsitzender des Seniorenbeirats, die Schlaglichter des ersten Reinbeker Armutsberichtes zusammen und ermahnt die Stadtverordneten: „Wohnen ist der Haupt-Armutsfaktor: Hier muss etwas getan werden!“ Seit zehn Jahren gehe die Zahl der geförderten Wohnungen in Reinbek nur zurück. Übrig sind noch 212, 112 davon für Senioren. „Das ist erschreckend wenig“, mahnt Weigert. „Die Politik sollte von privaten Investoren fordern, dass sie mindestens 30 Prozent Sozialwohnungen bauen, und dass die Stadt bei der Belegung mitredet.“

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Denn die Altersarmut steigt – mit einer hohen Dunkelziffer. Waren es im Jahr 2014 noch 161 Reinbeker im Alter von 67 Jahren aufwärts, die Grundsicherung beziehen, sind es vier Jahre später bereits 208. Doch in dieser Generation ist die Schwelle, bevor man zum Amt geht, hoch. Deshalb ist von einem höheren Bedarf auszugehen. Darüber sind sich Heinz-Dieter Weigert und Torsten Christ einig. „Die alten Menschen sparen an allem, nur nicht an der Miete“, sagt Christ. Nur 1,6 Prozent der Senioren beantragen Grundsicherung – im landesweiten Vergleich wenig.

5,3 Prozent der Senioren müssen Rente aufbessern

Beide werben dafür, dass die Senioren das Geld beantragen, das ihnen zusteht. „Das ist keine Schande“, betont Weigert. Er findet es beschämend, wenn Senioren im Alter noch im Discounter Regale einräumen müssen: 5,3 Prozent der Senioren müssen ihre Rente aufbessern. Christ möchte, dass beispielsweise die Enkel oder Kinder derartige Hilfen gemeinsam mit den Senioren online beantragen können, um die Hemmschwelle zu senken.

Der Bericht offenbart auch, dass zudem alle 543 Pflegeplätze der Stadt belegt sind, der Bedarf aber steigt. „Selbst bei der höchsten Pflegestufe erhalten die Bewohner nur etwa 2000 Euro im Monat, ein Pflegeplatz ist aber kaum unter 3500 zu haben“, rechnet Weigert vor. „Diese Bewohner erhalten nur ein Taschengeld, sie sind arm.“ Die Differenz zahlen zunehmend die Steuerzahler. Der Kreis aber ist mit seinen Zahlungen im Verzug. „Ein Pflegeheim zu betreiben oder gar zu bauen, lohnt sich nicht.“ Er schlägt Wohn- und Pflegegemeinschaften als Abhilfe vor. Aber auch dafür fehlen die Gebäude und vor allem Grundstücke. Der Armutsbericht wird weiter die Schwachstellen offenbaren – wie auch die Kinder- und Jugendarmut.

Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) sind politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen, die weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene dienen sollen. Sie wurden in Anlehnung an den Entwicklungsprozess der MDGs (Millenniums-Entwicklungsziele) entworfen und traten am 1. Januar 2016 mit einer Laufzeit von 15 Jahren (bis 2030) in Kraft. Im Unterschied zu den MDGs, die besonders Entwicklungsländern galten, sind die SDGs an alle Staaten gerichtet. Der offizielle deutsche Titel lautet „Transformation unserer Welt: Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.“ Zentrale Aspekte sind das Voranbringen des Wirtschaftswachstums, Chancengleichheit sowie ein nachhaltiges Management natürlicher Ressourcen, das Ökosysteme bewahrt.