Aumühle.

In Aumühle soll in Zukunft mit einem Stolperstein an Anita Zoellner (1888-1945) erinnert werden. Initiator des Projektes ist der Aumühler Kulturwissenschaftler Nikolaj Müller-Wusterwitz. Heute berät der Umweltausschuss um 20 Uhr im Sport- und Jugendheim (Sachsenwaldstraße 18) und wird über den Beschlussvorschlag entscheiden.

Die Jüdin Anita Zoellner lebte mit ihrer Familie in der Sachsenwaldgemeinde und schied am 14. Februar 1945, einen Tag vor ihrem 57. Geburtstag, aus Angst vor der drohenden Deportation aus dem Leben. Nikolaj Müller-Wusterwitz hat sich in seiner Heimatgemeinde auf die Spurensuche zum Thema „Jüdische Mitbürger in Aumühle“ gemacht und ist dabei auf Zoellners tragische Geschichte gestoßen.

Leiche durfte nicht auf den Waldfriedhof gebracht werden

Aus dem Aumühler Gemeindearchiv hat Nikolaj Müller-Wusterwitz die Kopie eines Schreibens vom 5. Januar 1939 erhalten, in dem der damalige Amtsvorsteher mitteilte, dass Anita Zoellner Jüdin sei. Am 7. Februar 1945 wurde sie von der Gestapo aufgefordert, sich eine Woche später, am 14. Februar, für den Transport zum Deportationssammelpunkt in Hamburg am Aumühler Bahnhof einzufinden.

„Ich habe aus Gesprächen mit älteren Aumühlern erfahren, dass sich die Familie Zoellner am 13. Februar zu Hause versammelt hatte und Anita Zoellner ihrem Mann und den Kindern mitteilte, dass sie sich das Leben nehmen werde“, berichtet der Kulturwissenschaftler. Dies hätten ihm auch ältere Aumühler bestätigt. Aus dem Sterbebuch geht hervor, dass Anita Zoellner am 14. Februar 1945 durch eine Gasvergiftung gestorben ist. Da sie Volljüdin war, durfte ihre Leiche nicht durch den Ort auf den Waldfriedhof gebracht werden. Der Leichenwagen musste einen Umweg durch den Wald fahren. Der damalige Pastor Karl Giesecke habe eine Trauerfeier in der Kirche abgelehnt. Die Grabrede hielt deshalb Anita Zoellners Sohn Kurt Zoellner. Er lebte bis zu seinem Tod 2002 in Aumühle, wo er sich als Gemeindevertreter und von 1955 bis 1970 als Bürgervorsteher engagierte.

Stolperstein auf öffentlichen Gehweg sollte an Zoellner erinnern

„Der Stolperstein soll an das Schicksal von Anita Zoellner erinnern und für die Zukunft vor jedem Extremismus mahnen“, sagt Nikolaj Müller-Wusterwitz  Kulturwissenschaftler.
„Der Stolperstein soll an das Schicksal von Anita Zoellner erinnern und für die Zukunft vor jedem Extremismus mahnen“, sagt Nikolaj Müller-Wusterwitz  Kulturwissenschaftler. © Stephanie Rutke | Stephanie Rutke

Bereits 2008 hatte der emeritierte Pastor Jörg Giesen, der in Aumühle lebt, die Initiative ergriffen: Ein Stolperstein auf dem öffentlichen Gehweg sollte an Zoellner erinnern. Doch das Projekt wurde nicht umgesetzt, weil die damalige Eigentümerin der Villa, dem letzten Wohnsitz von Anita Zoellner, dies abgelehnt habe. Sie fürchtete einen Wertverlust ihrer Immobilie, berichtet Müller-Wusterwitz. Er selbst forscht seit 2015 zu Kriegs- und NS-Toten in Aumühle. Er gehört zu den Organisatoren der Reihe „75 Jahre Kriegsende – Frieden“, die eigentlich von Februar bis Oktober mit diversen Veranstaltungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern sollte. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden fast alle Veranstaltungen abgesagt, einige sollen jedoch später noch nachgeholt werden.

2017 war das Thema „Stolperstein“ im Friedhofsausschuss der Gemeinde erneut angesprochen worden.„Daraufhin habe ich bei dem Künstler Gunter Demnig, der seit 1996 mit Stolpersteinen an die NS-Opfer erinnert, nachgefragt, wie sie gesetzt werden können“, erzählt der Kulturwissenschaftler. Nikolaj Müller-Wusterwitz hat weiter zum Thema recherchiert und am 13. Februar 2020 den Antrag für den Stolperstein vor dem Haus an der Pfingstholzallee 1 bei der Gemeinde eingebracht. „Der Stolperstein soll an das Schicksal von Anita Zoellner erinnern und für die Zukunft vor jedem Extremismus mahnen“, begründet Müller-Wusterwitz sein Engagement.

SPD-Fraktion ist nach wie vor für einen Stolperstein

Was die Beschlussempfehlung zu diesem Thema für heute Abend angeht, sind sich die Fraktionen der Gemeindevertretung fast einig: „Wir haben uns bereits 2008 für einen Stolperstein ausgesprochen und sind nach wie vor dafür“, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Uwe Edler gestern. „Gerade momentan ist es wichtig, an die Geschehnisse im Jahr 1945 zu erinnern“, mahnt er mit Blick auf zunehmenden Extremismus. „Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen.“ Genauso sieht es die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen: „Stolpersteine sind uns in jeder Hinsicht wichtig und es ist wichtig, auf die Opfer des Nationalsozialismus hinzuweisen“, sagt die Fraktionsvorsitzende Petra Michalski.

„Wir befürworten das Thema grundsätzlich“, erklärt auch Kaspar von Wedel, Fraktionsmitglied der UWG. Allerdings möchte seine Fraktion zunächst den Kontakt zum heutigen Eigentümer der Villa suchen, um das Projekt im Einvernehmen umzusetzen. „Stolpersteine sind ein wichtiges Instrument gegen das Vergessen“, stellt von Wedel fest. Auch in der FDP findet die Idee volle Zustimmung. „Stolpersteine gehören dazu, um die Erinnerung wach zu halten“, sagt der Fraktionsvorsitzende Hendrik Wolters. „Wir leben mit der Geschichte und das Thema NS-Opfer ist ein Teil davon.“

Seitens der CDU hingegen gibt es dazu aktuell keine Aussage. „Darüber wurde in Corona-Zeiten nicht gesprochen“, sagt CDU-Fraktionschefin Andrea Nigbur nur. Sie will sich darüber hinaus nicht äußern.

Weitere Infos: Die „Stolpersteine“ sind ein Kunstprojekt von Gunter Demnig. Der 72-Jährige stellt sie selbst her und verlegt die kleinen Mahnmale im Gehweg. Sie sollen an Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert wurden oder auf andere Weise dem Holocaust zum Opfer fielen. Die Steine, die auf der Oberseite kleine Messingplatten mit den Namen und Lebensdaten der Opfer tragen, verlegt er vor deren einstigen Wohnungen im Straßen- oder Gehwegpflaster. Das 1996 begonnene Projekt ist mit 75.000 Steinen in 1265 deutschen Kommunen und in 24 Staaten Europas seit Jahren das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Mehr Informationen gibt es auch auf der Website des Künstlers unter www.stolpersteine.eu.